Panorama Ein Fall für zwei

91-75069673.jpg

Wien. Im Internet kursieren unzählige Falschmeldungen. Ganz besonders über Flüchtlinge. Ein Deutscher und ein Österreicher haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Fakes zu entlarven.

Wie Detektive sitzen der 38-jährige Andre Wolf und der 45-jährige Tom Wannenmacher vor ihren Bildschirmen in ihrem Wiener Büro. Wenn sich Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen ihren Weg durchs Internet bahnen, sind der Deutsche und der Österreicher kaum zu stoppen: Erhält ein Flüchtling in Rostock 1004,50 Euro monatlich bar auf die Hand? Müssen Wiener Sozialbau-Mieter beim Braten von Schweinefleisch künftig die Fenster geschlossen halten? Ist ein Mädchen gestorben, weil es an einem Ladekabel lutschte? Drei von unzähligen Fragen, auf die Wolf und Wannenmacher eine Antwort fanden: Achtung, Falschmeldung. „Wenn überzogene Dramatik im Spiel ist oder etwas nach dem Muster ,Die Tochter einer Freundin meiner Mutter hat erzählt’ gestrickt ist, ist an der Sache oft was faul“, sagt Wolf. Was ist Lüge, was ist wahr? Darum dreht sich die Arbeit der zwei Macher von Mimikama, einem Verein zur Bekämpfung von Internetmissbrauch, den der gelernte Konditor Tom Wannenmacher 2011, nachdem er selbst Opfer eines Internetbetrugs geworden war, auf die Beine stellte. Offenbar ist das Bedürfnis der User nach Orientierung im virtuellen Lügenlabyrinth groß. „Zuerst dachte ich, das wird nur so eine Nebenhersache. Aber innerhalb kürzester Zeit hat es eine Dynamik entwickelt, dass es mein Hauptjob war“, sagt der 45-Jährige. So holte er sich den Westfalen Andre Wolf mit an Bord. Denn mittlerweile melden sich zwischen 100 und 150 User täglich, um suspekte Internetinhalte überprüfen zu lassen. Im Fokus steht Facebook, der Hauptumschlagplatz für Falschmeldungen. 1.5 Milliarden Menschen sind auf Facebook aktiv und immer mehr informieren sich dort auch über aktuelle Geschehnisse. Soziale Netzwerke dienen bereits gut einem Fünftel der deutschen User als Nachrichtenquelle; Facebook ist dabei mit Abstand auf Platz eins. Eine der beliebtesten Funktionen ist das Teilen von Inhalten, die so nach dem Schneeballprinzip oft Tausende Menschen erreichen. Problematisch wird es, wenn sich darunter Fakes befinden – vorgeblich offizielle Briefe öffentlicher Institutionen, Bilder in falschem Kontext oder schlicht erfundene Meldungen. „Mittlerweile“, sagt Wolf, „kann ich Falschmeldungen förmlich riechen.“ Doch riechen ist nicht genug, Wolf und Wannenmacher brauchen Beweise: Behörden werden angerufen, Bilder geprüft, Quellen analysiert und Spuren zurückverfolgt. Parallel dazu treffen im Minutentakt Nachrichten eines ehrenamtlichen Teams ein, das – verstreut über Österreich, Deutschland und die Schweiz – selbst auf der Suche nach der Wahrheit ist. Ist ein Fall gelöst, wandert dieser samt Dokumentationsmaterial auf die Mimikama-Facebook-Seite: „Zuerst denken – dann klicken“. Ein besonders heißes Eisen sind Flüchtlingsthemen. Je virulenter die Flüchtlingskrise wurde, umso mehr Fakes spürten die beiden auf. Etwa jenes Bild, das vorgab, von Flüchtlingen hinterlassene Müllberge zu dokumentieren. Richtig aber ist: Es handelt sich um ein Foto aus dem Jahr 2012 und zeigt eine illegale Mülldeponie im ungarischen Debrecen. Oder die Meldung über den Rauswurf von Senioren eines Altenheims in Nordrhein-Westfalen zwecks Unterbringung von 300 Flüchtlingen. Die Recherchen ergaben: Das Heim hätte so oder so geschlossen, auch ohne Flüchtlinge. „Manche Falschmeldungen sind das Resultat missverstandener Zusammenhänge“, sagt Wolf: „Aber bei Flüchtlingsthemen steckt tendenziell Bösartigkeit dahinter.“ Doch: Wie wirkungsvoll sind die Richtigstellungen? „Falschmeldungen sind schneller und dramatischer. Wenn über einen U-Bahn-Unfall mit Toten berichtet wird, hat die Meldung, dass dem gar nicht so war, naturgemäß weniger Zugkraft“, sagt Wolf. Und dennoch, die Masse, die gegen den Fakenews-Strom schwimmt, hat längst eine kritische Größe erreicht: Mehr als eine halbe Million Anhänger, genauer: 595.788 zählen die zwei Mimikama-Macher auf ihrer Facebook-Seite, und diese helfen mit, die Wahrheit im Netz zu verbreiten. Bliebe nur noch die liebe Not mit dem Geld. Mehr schlecht als recht finanziere man sich über Werbung, erzählen die beiden. Die Sorge, dass ihnen eines Tages die Arbeit ausgeht, plagt sie dagegen nicht. „Die Lüge ist so alt wie die Menschheit“, sagt Wolf. Im Netz www.mimikama.at

x