Rheinland-Pfalz Die Pfalz und der „lutherische ufrur“

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Reformationsforschung im Südwesten: Wie die lutherische Lehre sich verbreitete.

Luther war nie in Speyer, er nahm auch nicht das Angebot des der Reformation wohlgesonnenen Ritters Frank von Sickingen an, ihm Zuflucht auf der Ebernburg zu gewähren, wie so vielen anderen Anhängern der neuen Lehre. Luther war in Worms, beim Reichstag, aber Luther war auch in Heidelberg, in der Hauptstadt der alten Kurpfalz. Dort verteidigte er im April 1518 in einer Disputation, einem wissenschaftlichen Streitgespräch, seine Thesen – kaum sechs Monate nach deren Verkündung in Wittenberg. Anlässlich des 500 Jahre nach dem Thesenanschlag zu feiernden Lutherjahres haben sich Pfälzer Protestanten auf Spurensuche nach Luther in ihrer Region gemacht, die – so jedenfalls eine weit verbreitete Auffassung – weit mehr von den reformierten Anhängern Calvins geprägt war. Eine Auffassung, die der Pfälzer Ruhestandspfarrer Bernhard H. Bonkhoff gewiss nicht teilt. Er ist Herausgeber eines Bandes mit Aufsätzen über die Anfänge der Reformation in der Pfalz und hat selbst den Beitrag über Speyer verfasst, der deutlich macht, welche Bedeutung diese Stadt für die Verbreitung von Luthers Reformideen hatte. Noch immer wird darüber gestritten, wie es möglich war, dass Luther in seinen Tischreden die Details des Ölbergs – der steinernen Figurengruppe, die das biblische Geschehen darstellt – am Dom zu Speyer genau zu beschreiben wusste. Viel wesentlicher aber ist, dass beispielsweise zwischen 1522 und 1525 nicht weniger als 17 verschiedene Luther-Schriften nachgedruckt wurden. Die Speyerer Drucker Johann Eckhart und Jakob Schmidt trugen ganz wesentlich zur Verbreitung der reformatorischen Ideen bei. Und nicht zuletzt stammten auch viele Luther-Mitstreiter wie etwa Philipp Melanchthon, wenn nicht aus Speyer selbst, so doch aus dem Bistum. Dort sah man den „lutherischen ufrur“ zwar mit wachsendem Unbehagen, konnte aber nicht verhindern, dass Speyer zu einem Sammelplatz der Luther-Anhänger wurde und, sagt Bonkhoff, neben Basel und Straßburg zum Hauptverlagsort für Lutherschriften wurde. Viel überraschender als die Rechtfertigung Speyers als Lutherstadt, die auf dem europäischen Stationenweg jetzt im Jubiläumsjahr nicht fehlen darf, ist die Entdeckung, wie viele Mitstreiter der Reformator im Südwesten hatte, sei es in der Kurpfalz mit dem Zentrum Heidelberg oder im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken. Die 13 leider nicht in einem Anhang vorgestellten Autoren des von Bonkhoff herausgegebenen Bandes blicken dabei zwar kenntnisreich auch auf die beiden Hauptschauplätze Heidelberg – wo nicht wenige Pfälzer Studenten der Disputation beiwohnten und begeistert die Thesen weitertrugen – und Worms. Im späteren Reichstagsort wird 1523 die erste Priesterehe geschlossen, etliche Geistliche in der Stadt folgen diesem Beispiel. Aber die Ideen der Reformation verbreiten sich flächendeckend In Neustadt predigt der Stiftsdekan Michael Weinmar Luthers Lehre und heiratet ebenfalls. Im südpfälzischen Minfeld verfasst Jakob Schorr für Herzog Ludwig II. von Pfalz-Zweibrücken einen „Radschlag über den lutherischen Handel“, in Zweibrücken selbst ist es der Hofprediger Johannes Schweblin, der zum Reformator des gesamten Herzogtums wird, so wie Priester Johannes Bader die Reichsstadt Landau reformiert. In Obermoschel setzt sich Johannes Odenbach, Prädikant zu Moscheln unter Landsberg, für Gefangene ein, die wegen ihres Glaubens verurteilt wurden. Man trifft auf so manchen wenig bekannten Namen – Aber natürlich auch auf einen so bedeutenden wie Martin Bucer, den späteren Reformator Straßburgs, der zuvor in Landstuhl und Weißenburg lehrte. Man erfährt aber auch von der Existenz eines Propheten mit Namen Johannes Lichtenberger aus Baumholder, der sich Claromontanus (um 1426 bis 1503) nannte und lange vor Luther große Umbrüche für Staat und Kirche ankündigte. Man lernt auch, dass die Ebernburg keinen Alleinstellungsanspruch als „Herberge der Gerechtigkeit“ hat, sondern dass auch auf den Burgen der Ritter von Dahn evangelisch gesinnte Mönche Schutz fanden. Im Jahr des Reformationsjubiläums ist dieser Band eine wichtige Ergänzung auch zu der Ausstellung „Neuer Himmel – Neue Erde“, die noch bis 14. Mai im Stadtmuseum Zweibrücken zu sehen ist, danach in Kaiserslautern und im Jubiläumsjahr der pfälzischen Kirchenunion 2018 in Ludwigshafen gezeigt wird. Lesezeichen Bernhard B. Bonkhoff (Hrsg.): Die Anfänge der Reformation in der Pfalz. Beiträge zum 500. Jubiläum des Thesenanschlags“; Band 31 der Schriftenreihe des Stadtmuseums Kaiserslautern; Conte-Verlag; 457 Seiten; 19,90 Euro.

Bonkhoff
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