Sport Der Schwarm

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Was in Kunst, Kultur und Wirtschaft schon etabliert ist, entdeckt nun der Sport für sich: Crowdfunding. Mit dem Geld der Masse kommen Exoten zur Unterwasserhockey-WM, klamme Klubs zu neuen Trikots für die F-Jugend und Afghanistan zu einem Frauen-Handballteam. Sieht so die Zukunft des Sportsponsorings aus?

Moritz Zentner, 17, und Moritz Fladung, 18, hatten zwei Möglichkeiten, ihre Sommerferien zu verbringen. Die eine versprach Plätschern auf der heimischen Fulda, mit ein paar Trainingsstunden im Kanu. Die andere klang so: Wildwasserpaddeln bei der Weltmeisterschaft in Bryson City, North Carolina, USA. Moritz und Moritz haben sich, logisch, für Amerika entschieden. Am Donnerstag sind sie losgeflogen übern großen Teich, heute beginnt dort die Junioren-Wildwasser-WM. In ihrer Spezialdisziplin Sprint wollen sie „bis ins Finale“ und wenn möglich eine Medaille für Deutschland erpaddeln. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, die Fuldaer regieren seit Längerem die wilden Flüsse Europas. Trotzdem stand ihre WM-Teilnahme auf der Kippe. „Es fehlte an Geld.“ Wildwasserkanusport ist nicht olympisch, und deshalb schießt der DOSB (fast) nichts zu. Auch die Sponsoren kratzen nicht an ihren Türen, Kanu ist eben nicht Fußball. Material und Reisekosten müssen die beiden Athleten selbst auftreiben. Anfang Juni haben sie deshalb ein Crowdfunding-Projekt gestartet. Ziel: In 60 Tagen 2000 Euro vom sportbegeisterten (Bundes-)Volk einheimsen. Das klappte in letzter Sekunde. Danach: jubeln, Tasche packen, Abflug. Crowdfunding, Schwarmfinanzierung, ist der neue Star am Sponsorenhimmel. Was in Kunst, Kultur und Wirtschaft schon länger funktioniert, fasst nun auch im Sport Fuß. Statt eines einzelnen Sponsors geben viele Leute Geld für ein Projekt, das im Internet beworben wird: 300 Euro für neue Fußbälle der F-Jugend, 3000 Euro fürs Unterwasserhockey-Nationalteam und seinen WM-Traum oder 20.000 Euro für einen integrativen Reiterhof. Das sind so die Klassiker beim Crowdfunding: teure Übersee-Reisen zu Turnieren in Randsportarten, neue Trainingsklamotten und Sportgeräte für klamme Klubs. Jedes Projekt ist dabei ein kleines Start-up. Führende Plattform im Sport ist „Fairplaid“. Marthe-Victoria Lorenz hat sie 2013 online gestellt. Sie spielte im Basketballteam eines kleinen schwäbischen Vereins; Geld war immer zu wenig da. Als sie recherchierte und merkte, dass „es in Deutschland damals kaum etwas zu Crowdfunding im Sport gab“, schrieb sie ihre Bachelorarbeit darüber und gründete anschließend Fairplaid. 4100 Unterstützer haben bislang 84 Projekte finanziert und 280.000 Euro an Einzelathleten und Vereine überwiesen. Das Prinzip funktioniert so: Alles oder nichts, die Masse entscheidet. Online wird das Projekt mit Text, Bildern und Videos beworben. Die benötigte Summe festgelegt. Dann bleiben 60 Tage Zeit; der aktuelle Spendenstand ist immer sichtbar. Kommt der Betrag nicht zusammen, kriegen alle Leute ihr Geld zurück, das Projekt ist gescheitert. Überweist der Schwarm genügend, wird die Idee umgesetzt. Die Erfolgsquote liegt bei etwa 60 Prozent. So sehen die Zahlen auch in Kunst und Kultur aus. Erfolgreich sind vor allem die, die kräftig die Werbetrommel für ihre Idee rühren – und die Exoten. Die, die zur Heißluftballon- oder Quidditch-WM wollen. Die, die Projekte mit Kindern starten (neue Stutzen für die Zwerge) oder auf die Tränendrüse drücken, dass die großen Verbände ihre Sportart (finanziell) nicht ernst nehmen. „Beim Crowdfunding geht es vor allem auch um Emotionen, die potenziellen Geldgeber sollen berührt werden“, sagt Christiane Siegert von „Visionbakery“, einer Plattform, die auch Sportprojekte betreut. „Die Leute sollen staunen, sich wundern, begeistert sein.“ Ein Aufruf für Frauenhandball in Afghanistan ist so eine Geschichte, die ans Herz geht. Laura Schaible und Ann-Katrina Bregovic wollen in Afghanistan etwas bewegen. In Kabul und Herat gebe es kleine aktive Frauenhandballgemeinden, das Interesse am Sport sei groß, sagt Bregovic, die dort für eine tschechische Organisation arbeitet. Nebenbei trainiert sie die Frauen. Aber es mangelt an richtigen Bällen, Hütchen, Leibchen – an allem. 2500 Euro wollen Schaible und Bregovic sammeln, rund 75 Prozent haben sie zusammen, in drei Wochen endet ihr Aufruf. Bregovic glaubt, dass der Sport das gebeutelte Land schneller einen könne, dass er ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lasse und dass die Frauen selbstbewusster werden. Afghanistan soll zeigen, dass es mehr ist als Trümmer, Terror, Taliban. Beim Crowdfunding darf jeder so viel spenden, wie er will. Fünf Euro oder 5000. Wenn Oma und Opa sehen, dass die Turnabteilung des Enkels eine neue Matte braucht, dann sollen sie dafür ein paar Euro locker machen und am besten auch den Rest der Familie dazu überreden. Mit einem kleinen Beitrag kann so jeder Teil eines großen Projekts werden. Als „Dankeschön“ winken Prämien: eine signierte Postkarte aus der WM-Stadt oder eine persönliche Trainingsstunde mit dem Sportler. Es gab auch schon Jugendliche, die Rentnern den Rasen gemäht haben. Der Klassiker eben: Geld gegen Ware. In Deutschland, so sagen Marthe-Victoria Lorenz und Christiane Siegert, könnte sich Crowdfunding zur dritten Säule der Sportfinanzierung entwickeln; neben der staatlichen Förderung und dem klassischen Sponsoring. Es macht die Athleten unabhängiger von politischen Medaillenvorgaben und (Knebel-)Verträgen. Früher sind die Kassenwarte mit dem Klingelbeutel durch die Dörfer gezogen, heute erreichen sie übers Internet und mit der Crowdfunding-Idee in kürzerer Zeit viel mehr Menschen. Das ermöglicht dann auch Trips zur Kanu-WM in die USA.

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