Rheinpfalz Der Neandertaler in uns

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Er war kleiner und gedrungener als wir, hatte ausgeprägte Augenwülste und eine flache, fliehende Stirn. Auf heutigen Partnerschaftsbörsen hätte der Neandertaler wohl kaum punkten können. Aber für seine Zeit war er offenbar attraktiv genug. Jedenfalls kam es zwischen ihm und dem Homo sapiens zum Sex, und der sorgte dafür, dass der Neandertaler, obwohl er vor etwa 30.000 Jahren ausstarb, zumindest in unserem Erbgut weiterlebt. Was zwar beim einzelnen Menschen nur zwei bis vier Prozent ausmacht, doch weil jedermann andere Abschnitte des Neandertal-Genoms in sich trägt, hat in der europäischen Bevölkerung insgesamt ein Fünftel davon überlebt. Dass dies nicht spurlos an uns vorübergeht, belegt nun eine Studie, die jetzt im Magazin „Science“ erschienen ist. Das Forscherteam unter Tony Capra von der Vanderbilt University in Tennessee suchte im Genom von 28.000 Krankenhauspatienten nach bestimmten Neandertalfragmenten und überprüfte, inwieweit deren Anzahl mit dem Auftreten von Krankheiten korrelierte. Dabei zeigte sich, dass Osteoporose, Blutgerinnungsstörungen und Herzinfarkte öfter auftreten, wenn ein Mensch die Neandertaler-Variante des entsprechenden Gens in sich trägt. Und bei der Nikotinabhängigkeit ist dieser Zusammenhang sogar besonders stark ausgeprägt. Was zunächst verblüffend klingt, weil der Neandertaler sicherlich nicht Zigaretten paffend in seiner Höhle hockte. „Vermutlich werden über dieses Gen mehrere Körpervorgänge gesteuert“, erklärt Capra. Die Nikotinsucht ist also wohl nur das Nebenprodukt einer genetischen Entwicklung, die eigentlich einen Überlebensvorteil bietet. Manchmal wird aber auch im Laufe der Jahrtausende eine ursprünglich positive Anlage zum gesundheitlichen Risiko, weil sie von der Geschichte überrollt wird. So zeigt auch Diabetes Typ 2 einen Zusammenhang mit dem Erbgut des Neandertalers. Ihm brachte es vor 40.000 Jahren, als noch Nahrungsknappheit und Hungersnöte herrschten, einen Überlebensvorteil, ein guter Futterverwerter zu sein und seine Zellen mit Zucker fluten zu können. Heute jedoch, in Zeiten des Überflusses, birgt diese Eigenschaft das Risiko für eine Krankheit, die das Leben enorm verkürzen kann. Ähnlich verhält es sich bei der Depression, die ebenfalls über Neandertaler-Gene weitergegeben wird. Wie Psychologin Bettina von Helversen von der Universität Basel betont, muss sie im „Survival of the fittest“ (englisch: Überleben der Bestangepassten) ihre Vorteile gehabt haben, „denn sonst wäre sie durch die Evolution schon längst ausgelöscht worden“. Vermutlich sorgte sie dafür, dass der Betroffene sich aus der Welt der sozialen Kontakte zurückzog, um sich auszuruhen und ohne Ablenkung von außen nachdenken zu können. Doch während der Neandertaler sich noch ohne Ansehensverlust zum Grübeln in seiner Höhle verkriechen konnte, wird heute vom Menschen in Europa erwartet, dass er unermüdlich Präsenz und Leistungsbereitschaft zeigt. Antriebslosigkeit und Rückzug gelten als Zeichen von Schwäche, weswegen sie in der Regel unterdrückt und verschwiegen werden, was aber ihre Intensität verstärkt. Und so ist aus der, wie von Helversen betont, „eigentlich sinnvollen Veranlagung“ zur Depression eine Krankheit geworden, die den Betroffenen sogar in den Selbstmord treiben kann. Dass man überhaupt das Erbgut von Neandertaler und Mensch miteinander vergleichen kann, liegt daran, dass es im Jahr 2013 einem internationalen Forscherteam gelang, das komplette Erbgut einer Neandertalerfrau zu entschlüsseln, deren Überreste man in Südsibirien gefunden hatte. Danach hat man auch schon – ohne Fokussierung auf die Krankheiten – erste Vergleiche mit den Genen von mehr als 1000 modernen Menschen angestellt. Dabei stellten sich vor allem jene Bereiche als „neandertalerisch“ unterwandert heraus, die für die Produktion von Kreatin zuständig sind – einem Eiweiß, aus dem Haut und Haare gebildet werden. Sie sorgten vermutlich dafür, dass der Homo sapiens seinerzeit genug Unterhautfett und Haare ausbildete, um als afrikanischer Einwanderer in der europäischen Kälte überleben zu können. Möglicherweise machten sie aber auch, wie Kay Prüfer vom Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie vermutet, „die Haut des Menschen widerstandsfähiger gegenüber Krankheitserregern“. Ebenfalls in engem Zusammenhang mit den Gen-Einkreuzungen unseres robusten Urverwandten stehen die so genannten Toll-Like-Rezeptoren des Immunsystems. Diese zellulären Andockstellen reagieren überaus sensibel, wenn sie Kontakt zu Bakterien, Pilzen und Viren bekommen, und daraufhin wird eine entsprechende Immunreaktion ausgelöst. Was beispielsweise das Risiko für die berüchtigte Helicobacter-Infektion des Magens reduziert. Der Haken dabei: Unser Immunsystem schießt durch die hohe Sensibilität der Rezeptoren öfter über das Ziel hinaus. Es reagiert auch schon auf Strukturen, die nur entfernt an die Erreger erinnern. Wenn also demnächst die Pollensaison beginnt, dürfen Allergiker durchaus auf den Neandertaler schimpfen. Denn ohne dessen Gene würden sie wohl weniger schniefen und niesen müssen.

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