Politik Briten wählen neues Parlament

Heute sind die Briten aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Premierministerin Theresa May hatte den Wahltermin um zwei Jahre vorgezogen, weil sie sich eine stabile Mehrheit für die Verhandlungen über einen EU-Austritt erhoffte. Aber nun bestimmt das Thema Sicherheit die Endphase des Wahlkampfs. Und für May könnte es eng werden.

Normalerweise ist in Zeiten der Terrorbedrohung Solidarität das Gebot der Stunde. Nicht so im britischen Königreich. Nach dem Terroranschlag an Pfingstsamstag geht der politische Streit mit voller Härte weiter. Denn heute wird in Großbritannien das Unterhaus neu gewählt, und die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien wollen einander beim Thema innere Sicherheit nichts schenken. Premierministerin Theresa May verkündete, dass jetzt „keine Zeit für Anfänger“ sei, und unterstrich, dass ihr Herausforderer, der Labour-Chef Jeremy Corbyn, sich gern damit gebrüstet habe, gegen jedes Anti-Terror-Gesetz gestimmt zu haben. Corbyn im Gegenzug rief dazu auf, Theresa May an diesem Donnerstag einen Denkzettel zu verpassen und dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass sie als ehemalige Innenministerin für die drastischen Personalkürzungen bei der Polizei verantwortlich sei, der seit 2010 immerhin 20.000 Beamtenstellen zum Opfer gefallen sind. Auch Sadiq Khan, der Bürgermeister von London, mischte sich in den Streit ein: Nach den Plänen der Regierung kämen auf die Londoner Polizei Budgetkürzungen in Höhe von 1,1 Milliarden Pfund zu, bis zu 12.800 Stellen müssten gestrichen werden. „Polizisten auf unseren Straßen sind die Augen und Ohren der Sicherheitsdienste und liefern die Informationen, geplante Terrorattacken zu vereiteln“, sagte Khan. „Einschnitte in dieser Dimension würden es schwieriger machen, in Zukunft Terroranschläge zu verhindern – und als Bürgermeister werde ich nicht daneben stehen und das zulassen.“ Außenminister Boris Johnson wiederum versuchte, von der Kritik an May abzulenken, und beschuldigte die Sicherheitskräfte der Nachlässigkeit. Der Inlandsgeheimdienst MI 5, zusammen mit der Polizei für Terrorabwehr zuständig, müsse sich peinliche Fragen gefallen lassen: „Wenn die Menschen heute die Zeitung aufschlagen, werden sie sagen: Wie um Himmels willen konnten wir diesen Terroristen durchs Netz schlüpfen lassen?“ MI 5 und Polizei hätten gefälligst Antworten zu liefern. Johnson bezog sich damit auf Berichte über den Rädelsführer Khuram Butt, der der Polizei bekannt war. Butt war im radikalislamischen Milieu gut vernetzt: Er hatte Verbindung zu diversen Hasspredigern und arbeitete für den Fitnessstudiobesitzer Sajeel Shahid, der Trainingcamps in Pakistan organisierte. Butt wurde den Behörden mehrfach gemeldet: Von einer Mutter, als er deren Kinder für den Islam gewinnen wollte, und von einem Jugendlichen, den Butt im exklusiv muslimischen Fitnessstudio „Ummah“ ansprach, ob er nicht dem IS beitreten wolle. Doch nichts geschah. Nach einer anfänglichen Untersuchung der Polizei im Spätsommer 2015 wurde Butt in der Datenbank bekannter Dschihadisten und Gefährder nur unter „Restrisiko“ geführt. Mark Rowley, bei Scotland Yard Chef der Terrorabwehr, verteidigt diese Entscheidung: Die Liste von Terrorverdächtigen umfasse 3000 Namen. Die Sicherheitskräfte hätten einfach nicht die Ressourcen, um sämtliche Verdächtige zu überwachen. Der Streit um Versäumnisse und Verantwortlichkeiten gibt dem Endspurt des Wahlkampfs seine eigene Würze. Ob er allerdings am Ausgang der Wahl etwas drehen wird, bleibt ungewiss. Zwar sieht eine Umfrage des Instituts Survation Theresa Mays regierende Konservative Partei nur einen einzigen Prozentpunkt vor Labour. Andererseits melden andere noch einen Vorsprung für die Tories von elf bis zwölf Prozent. Unbestritten ist der Trend: Von einer stratosphärisch hohen Führung zu Beginn der Wahlkampagne sind die Konservativen mittlerweile zumindest in die Reichweite der Labour-Opposition zurückgefallen. May hat deutlich an Popularität verloren, während Jeremy Corbyn keine schlechte Figur gemacht hat. Verhelfen die Terroranschläge von Manchester und London dem Labour-Chef zur Macht? Das können sich in Großbritannien außer den eingefleischten Corbynisten die wenigsten vorstellen. Wer es dennoch tut, denkt mit Grauen daran, dass ab Freitag die Terrorabwehr womöglich in den Händen der von Labour als Schatten-Innenministerin benannten Diane Abbott liegen könnte. Abbott hat sich bisher in einer Reihe von Interviews mit einer Mischung von Arroganz und Inkompetenz bis auf die Knochen blamiert. In einem wurde sie gefragt, was die von Labour beabsichtigte Aufstockung der Polizei um 10.000 weitere Beamte denn kosten würde. Die künftige Innenministerin hatte keine Ahnung. 300.000 Pfund, sagte sie, also pro Beamter 30 Pfund im Jahr. Der Clip, wie Abbott in den folgenden Minuten stammelt, sich korrigiert und widerspricht, ist auf der Internet-Videoplattform Youtube zum Hit geworden. Von der Labour-Wahlkampfleitung hat Abbott mittlerweile Interview-Verbot bekommen. Corbyn selbst dagegen überraschte. Seine beigen Anzüge hat er in den Schrank gehängt und einen neuen Schneider gefunden. In Debatten erwies er sich als ruhig, überlegt und sogar humorvoll. In seinen Reden demonstriert er einen angenehmen Kontrast zu May, die roboterhaft ihre Botschaften wiederholt und selten etwas Neues sagt. Corbyn dagegen spricht über politische Inhalte, verspricht ein Ende der Sparpolitik, wirbt für die Nationalisierung von Bahn, Post und Energieunternehmen; er will den Mindestlohn ebenso erhöhen wie die Steuern für die Reichen. Ob der Labour-Chef das ab Freitag als neuer Premierminister umsetzen kann, ist allerdings unwahrscheinlich – betrachtet man den Stand der Wetten. Sämtliche Wettbüros sehen May als klare Favoritin. Für eine Labour-Mehrheit bekäme man beim Buchmacher Skybet zur Zeit das 16-fache des Einsatzes.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x