Politik Blickpunkt: Rheinland-Pfalz hat gewählt: Im Endspurt das Blatt gedreht

Julia Klöckners Christdemokraten sind geschockt vom schlechten Abschneiden. Die SPD ist von ihrem eigenen Erfolg überrascht. Bei den Grünen beginnt die Suche nach Fehlern. Die FDP legt die Messlatte für Koalitionsgespräche hoch. Über ihr „gigantisches Ergebnis“ freut sich die AfD. Unsere Redaktionsmitglieder Karin Dauscher, Arno Becker und Andreas Ganter haben am Wahlabend in Mainz die Parteien beobachtet.

Das Ambiente will nicht zur Stimmung passen: Im Mainzer Schloss sind rund 500 Gäste versammelt, viele haben sich in Schale geworfen. Stille, als die erste Hochrechnung über den Bildschirm läuft: Die SPD hat fünf Punkte Vorsprung, die CDU ist geschockt. Ein erschrockenes Raunen über das zweistellige Ergebnis der AfD. Selbst Lutz van der Horst von der ZDF-Satiresendung „Heute-Show“, hält kurz inne. Erklärungen? Es war die Flüchtlingskrise, sagt der Pfälzer CDU-Chef Christian Baldauf. „In drei, vier Monaten hätte das Ergebnis anders ausgesehen, aber die Wahl ist nun mal jetzt.“ Über die Bildschirme flimmert gerade der Auftritt von Ministerpräsidentin Malu Dreyer in der SPD-Fraktion. Die Christdemokraten wenden sich ab. Dann ertönt Jubel am Eingang: Julia Klöckner kommt und wird gefeiert – trotz allem. Dass AfD und FDP die CDU Stimmen gekostet haben, sagt sie, dass Rot-Grün abgewählt ist. Glückwunsch an die SPD, die nun den Auftrag zur Regierungsbildung hat: „Wir sind wach, wir sind dabei“, sagt sie. Wenn das kein Angebot ist! Auf Nachfrage verweist sie aber an die Parteigremien. Jubel bei den Grünen! Applaus und Hurra-Rufe – allerdings erst als das Wahlergebnis aus Baden-Württemberg auf der Leinwand im „Schon Schön“ übertragen wird. Ganz anders die Szenerie um 18 Uhr. Ein kleiner grüner Balken erscheint: Gerade einmal sechs Sitze werden der Regierungspartei zu diesem Zeitpunkt für den neuen Landtag prognostiziert. Derzeit sind es 17. Anne Spiegel, Abgeordnete aus Speyer, schlägt sich die Hand vor die Augen. Der Westpfälzer Fred Konrad atmet tief durch, bläst die Backen auf und lässt die Luft langsam entweichen. Er ist erleichtert, er hatte Schlimmeres befürchtet. Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner spricht von einem „bitteren Tag“. Er sagt, seine Partei habe es nicht geschafft, die eigenen Erfolge der Regierungsarbeit im Wahlkampf zu kommunizieren. Fraktionsvorsitzender Daniel Köbler räumt ein, das Wahlziel nicht erreicht zu haben. Er ringt um Worte: „Ich habe Fehler gemacht.“ Nicht den kleinsten Fehler hat sich die SPD vorzuwerfen. Schon vor 18 Uhr macht ein Genosse „so viele strahlende Gesichter“ aus. Als die ersten Prognosen über die Bildschirme flimmern, geht alles im frenetischen Jubel unter. Mehr als drei Jahre lang war die SPD in Umfragen hinter der CDU hergehechelt, im Endspurt des Wahlkampfs hat sie das Blatt gedreht. Die Genossen feiern sich selbst. „Malu“-Rufe. Und als Malu Dreyer kommt, wird die Stimmung heiß wie im Stadion nach dem dritten Tor der Heimmannschaft: „Jetzt geht’s los!“, singt die Anhängerschar und „So sehen Sieger aus!“ Die Genossen loben sich dafür, dass sie einen Wahlkampf hingelegt haben, der das schier Unmögliche möglich gemacht hat. Und schon wenige Minuten nach 18 Uhr stellen sie sich auf ihre alte neue Rolle als führende Kraft im Landtag ein: Die Pfälzer Abgeordnete Barbara Schleicher-Rothmund meldet Interesse am Amt der Landtagspräsidentin an. Später sagt Alexander Schweitzer, er wolle Fraktionsvorsitzender bleiben. Euphorie herrscht bei der FDP nicht, eher Erleichterung, dass der Wiedereinzug in den Landtag gelungen ist. Der Wermutstropfen im süßen Wein: Mit der erhofften Regierungsbeteiligung unter Führung der CDU wird es nichts. Stattdessen sieht sich die FDP nun vor der möglichen Rolle, als dritter Koalitionspartner Rot-Grün wieder in den Sattel helfen zu dürfen. Malu Dreyer macht keinen Hehl daraus, dass sie um die FDP buhlen wird. Eine große Koalition sei die „Ultima Ratio“, sagt sie. Derweil legen FDP-Chef Volker Wissing und seine Stellvertreterin Daniela Schmitt die Messlatte hoch: Die FDP werde sich Gesprächen nicht verschließen, könne aber auch mit einer Rolle in der Opposition gut leben. Auf keinen Fall werde die Partei ihre Überzeugungen für irgendwelche Ämter opfern. Auch in den eigenen Reihen werden Wissing und Schmitt noch viel verhandeln müssen: Der frühere Landtagsabgeordnete Matthias Frey aus Neustadt zum Beispiel nennt es „einen schwierigen Weg, eine abgewählte Regierung zu unterstützen“. Bis zuletzt hielt die AfD aus Angst vor Demonstranten geheim, wo sie am Wahlsonntag feiert. In einem Gewölbekeller im Mainzer Ortsteil Weisenau jubeln knapp 300 Anhänger der Partei über das zweistellige Ergebnis. Polizisten schirmen das Lokal weiträumig ab. Ein paar hundert Meter entfernt demonstrieren zwei Dutzend Jugendliche. Es bleibt friedlich. Der stellvertretende Landesvorsitzende, Joachim Paul, spricht von einem „gigantischen“ Ergebnis. Den Absturz der Grünen bezeichnet er als „I-Tüpfelchen“ auf dem Erfolg seiner Partei. Paul sagt, die Wähler hätten mit den Altparteien gebrochen. Sie vertrauten nun auf die AfD. Er kündigt „harte Arbeit“ im Parlament an. Mit Blick auf die Ergebnisse der AfD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt spricht Paul von einer „Sternstunde“ und einem „politischen Erdbeben“, das die Bundesrepublik erschüttern werde.

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