Bad Dürkheim Bis zum letzten Atemzug daheim

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Das Leben mit dem Sterben (5): Der Ambulante Hospizdienst aus Bad Dürkheim begleitet Menschen bis zum Tod. Wenn möglich in gewohnter Umgebung. Das Beispiel des schwer erkrankten Roland Schuster zeigt, wie tagaufhellend ein solcher Besuch sein kann. Trotzdem wissen bisher nur wenige von diesem Angebot. Wir haben die Hospizhilfe begleitet.

Das Leben ist nichts für Feiglinge. Roland Schuster (54) weiß, was dieser Satz bedeutet. Es ist inzwischen 30 Jahre her, dass ihn die Diagnose ereilte, die sein damals noch junges Leben langsam, aber nachhaltig verändern sollte. Er war Industriekaufmann, wohnte in Heidelberg, hatte ein recht erfülltes Dasein. Bis eines Tages seine Sehfähigkeit nachließ. Multiple Sklerose – eine chronisch-entzündliche Nervenkrankheit – lautete die Diagnose der Ärzte. Jahr für Jahr ließ seine Kraft nun nach, inzwischen sitzt er seit 17 Jahren fest im Rollstuhl, der vor 21 Jahren angeschafft werden musste. Die tückische Krankheit hat ihn heute ganz im Griff. Und nicht nur ihn. Seine Ehefrau Christine ist fast rund um die Uhr an seiner Seite. Sie pflegt ihn, kauft ein, kocht und putzt. Sie ist seine Begleiterin und seine Vertraute. Gleichzeitig ist sie Leidensgenossin, denn auch sie hat seit vielen Jahren Multiple Sklerose. Die Diagnose bekam sie zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie ihr Mann. Doch der Verlauf ihrer Krankheit ist anders. Meist ist sie noch sehr müde, wenn das alltägliche Programm am frühen Morgen beginnt. „Manchmal würde ich gerne noch schlafen. Ich bin dann nicht gut drauf“, sagt sie. Gemeinsam mit einer Pflegekraft macht sie ihren Mann fertig für die nächsten Stunden. Er muss aus dem Bett in den Rollstuhl, in dem er ungefähr den halben Tag verbringt, bevor es am frühen Nachmittagswegen Müdigkeit schon wieder ins Bett geht. Vorher heißt es jedoch Waschen und Anziehen. Regelmäßig kommt die Logopädie, Krankengymnastik und Ergotherapie ins Haus. Über die Lebenserwartung des 54-Jährigen kann man nicht sehr viel sagen: „Wer weiß schon, was danach kommt. Ob das besser oder schlechter ist“, sagt er in nicht leicht verständlichen Worten, aus denen auch Angst herauszuhören ist. Die Ungewissheit beschäftigt ihn fast mehr als die Angst vor Schmerzen. „Das Sprechen fällt ihm zusehends schwerer“, sagt Christiane Kicherer, die an diesem Mittwoch mit am Esstisch sitzt. Als geprüfte Hospizschwester ist sie seit November mit der Situation des Ehepaars vertraut. „Wir begleiten schwerstkranke und sterbende Menschen auf ihrem letzten Lebensweg“, erklärt sie das Selbstverständnis des Ambulanten Hospizdienstes der Christlichen Sozialstation Bad Dürkheim-Freinsheim. Das können zwei Jahre sein, das können aber auch nur Tage sein. Ziel sei es, die Lebensqualität der Patienten in ihrem gewohnten Umfeld so lange wie möglich zu erhalten. In letzter Instanz geht es darum, dass kranke Menschen in Würde zu Hause sterben können. Dafür setzt sich die Ambulante Hospizhilfe ein. Auf den ersten Blick ist Roland Schuster trotz allen Haderns mit dem eigenen Schicksal und eines Suizidversuchs vor einigen Jahren ein einigermaßen positiver Mensch geblieben, der sich einen sympathischen, mitunter selbstironischen Humor bewahrt hat. Er sei mehr der Stubenhocker, kommentiert er beispielsweise die abhanden gekommene Möglichkeit, sich selbstbestimmt im Freien bewegen zu können. Die Vorliebe für einen ganz eigenen Humor ist es auch, die er mit Irmgard Banspach teilt. Irmgard Banspach war sehr lange Lehrerin. Ganz ausgefüllt war ihre Leben jedoch nicht. Für sie hatten die Themen Tod und Sterben immer „etwas Beängstigendes“, wie sie es ausdrückt. Sie habe sich damit konfrontieren wollen und absolvierte im Jahr 2009 ein Seminar beim Hospizdienst. Was dazu führte, dass sie inzwischen schon einige Menschen beim Sterben begleitet hat. Sie baut eine Beziehung zu den Menschen auf, versetzt sich in sie hinein, gibt viel und nimmt meist auch viel mit nach Hause. Positives, versteht sich. So hat Banspach das Thema Tod in ihr eigens Leben integriert. Rund drei Stunden verbringt sie pro Woche mit Roland Schuster. Eine Zeit, in der seine Frau mal Zeit für andere Dinge hat. Gleichzeitig mag Roland Schuster die Besuche, denn mit seiner Begleiterin hat er vor allem eines gemeinsam: einen Faible für den israelischen Schriftsteller Ephraim Kishon. Banspach liest Schuster vor und beide können darüber lachen oder wenigstens schmunzeln. „Ich bin ein Mensch, der gerne gibt. Materielles spielt bei mir eine untergeordnete Rolle“, sagt die ehrenamtliche Hospizbegleiterin. Für Roland Schuster bedeutet der Besuch eine Abwechslung vom manchmal tristen Alltag. Eine andere Ansprechpartnerin, mal nicht nur Fernsehprogramm. Kosten entstehen den Schusters aus dieser Betreuung nicht. Christiane Kicherer, die als Hauptamtliche über alles wacht, hat auch hier ein Händchen bewiesen, denn nicht immer passen die Begleiter und die kranken Menschen so gut zusammen. „Dann muss man darüber reden“, sagt Kicherer selbst. Wie lange Irmgard Banspach und Roland Schuster sich noch sehen, ist völlig ungewiss. Gewiss ist aber, dass beide keine Feiglinge sind. Zur Serie „Unser Hospiz“ – selten haben sich die Menschen in Bad Dürkheim so intensiv für ein Projekt engagiert. In einer Serie befasst sich die RHEINPFALZ mit verschiedenen Aspekten des Sterbens.

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