Rheinpfalz Am Steuer sind wir alle Blindflieger

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Es sind keine namenlosen Idioten, die auf der Straße vor uns raus- oder reinziehen, abrupt bremsen oder schlingern. Das sind wir selbst, wir Telefonierer und Tipper am Steuer! Ein Kommentar von Michael Konrad

Wie kurz ist es her, dass Sie am Steuer ihres fahrenden Autos saßen und eine Telefonnummer in ihr Handy getatscht haben? Dass Sie sich bei Tempo 150 zu Ihrem Navi gebeugt und das neue Ziel eingetippt haben? Dass Sie dabei den Verkehr vergessen haben, und sei es nur für Sekunden? Was regen wir uns auf, wenn eine junge Frau am Steuer eine Whats-App-Nachricht schreibt, einen Radfahrer totfährt und schließlich mit einer Haftstrafe auf Bewährung davonkommt. Man muss ein solches Urteil nicht gutheißen – aber die Heuchelei hinter dem kollektiven Aufschrei ist unerträglich. Eine Stunde am Straßenrand oder auf der Autobahn hinter die Windschutzscheiben geschaut – und Sie haben zig, wenn nicht Hunderte, Telefonierer und Tipper am Steuer gesehen und noch mal so viele Telefoniererinnen und Tipperinnen. Und mal ganz unter uns: Es sind keine namenlosen Idioten, die da tagtäglich auf unseren Straßen vor uns raus- oder reinziehen, abrupt bremsen, schlingern oder die grüne Ampel verschlafen. Das sind Sie und ich und Ihre Frau und Ihr Mann, Ihr Freund und Ihre Tochter. Wir – nicht die da – sind zu einer Gesellschaft von Blindfliegern geworden, weil wir anscheinend nicht mehr leben können, ohne uns rund um die Uhr der Welt mitzuteilen. Weil wir uns keine Minute des kommunikativen Leerlaufs mehr erlauben, schon gar nicht am Steuer unserer heiligen Blechkiste, wo wir ja extracool und multitaskingfähig sein müssen, wo wir bis tief in unsere Herzen hinein glauben, die Sache jederzeit im Griff zu haben – völlig egal, mit welchem Gerät wir gerade nebenbei herumhantieren. Am Steuer unseres Wagens machen wir, was wir wollen und was wir glauben zu können: alles nämlich. Der Verkehrsclub Europa hat in dieser Woche gefordert, Navis sollten sich nur noch bei stehendem Wagen bedienen lassen. Ein kleiner Schritt. Der große, alles entscheidende, wäre: Ein Auto startet nur noch dann, wenn sämtliche Handys im Umkreis von zehn Metern auf „Aus“ geschaltet sind – und sämtliche Hirne im selben Radius auf „Ein“. Und da wir schon träumen: Drei Monate Fahrverbot für jeden Telefonierer oder Tipper würden fürs Erste reichen. Bei Wiederholung 24. Ich wäre dabei.

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