Speyer Alltagsflucht lässt Kassen klingeln

91-55531168.jpg

„Hexenpeitsche“ und „Gerippe“ heißen zwei Gerichte der „Fleischbräterei“. Das sind vulgo: eine lange Mettwurst vom Schwein und Spare Ribs. Der Renner ist allerdings der „Zyklopenspieß“ – Gegrilltes aus echtem Schweinenacken. Durchgestylt bis ins Detail: das ist das „Mittelalterlich Phantasie Spectaculum, das am Wochenende in Speyer gastierte.

Das Festival ist dank rund 120 Ständen mit „mittelalterlicher“ Gewandung und Accessoires wie Schmuck, Lederkorsetts, Schwertern, Bogen und Gürteln auch ein Einkaufsparadies. Es ist der Wunsch, einmal für kurze Zeit auszubrechen aus der Uniformität des Alltags und einzutauchen in eine andere Welt, die auf dem weitläufigen Gelände von Domgarten und Rheinstadion die Kassen klingeln lässt. Der allgegenwärtige Kommerz wird mit einer Einrichtung wie dem „Goldzelt“, wo Kaufwütige sich mit der EC-Karte „Taler“-Nachschub besorgen können, sogar augenzwinkernd auf die Schippe genommen. Manche Standinhaber werben zudem mit einem eigenen „EC-Kartenzauber“ – sprich: einem mobilen EC-Karten-Lesegerät. Bei strahlend schönem Wetter bilden sich schon am frühen Samstagnachmittag lange Schlagen an den Verpflegungsständen. Am kühleren und verregneten Sonntag war auf dem matschig gewordenen Gelände deutlich weniger los. Doch nicht alles rund um die Vermarktung des Wunschs nach dem Anderssein ist reine Show. Unter den Machern finden sich imposante Charakterköpfe: Charlie Allan, Frontmann der Band „Saor Patrol“, ist einer von ihnen. Der langbärtige Schotte und seine Mitstreiter vom „Clanranald Trust for Scotland“ sind seit 1995 dabei, das mittelalterliche Dorf Duncarron nahe der schottischen Stadt Stirling aufzubauen. Dadurch wurde Allan auch zum Experten der damaligen Waffen und Kampftechniken. Und so wurde sogar Hollywood auf ihn und seine Männer aufmerksam, und sie spielten als Stuntleute in Filmen wie „Braveheart“, „Gladiator“ und „Robin Hood“ mit. Gerade laufen die Dreharbeiten für „Outlander“ nach der Saga von Diana Gabaldon, erzählt Allan am Rande des Festivals. Doch vor allem beschäftigt ihn derzeit ein großes Thema: das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinten Königreich am 18. September. Allan ist ein Verfechter der „Independence“. Schließlich habe Schottland sehr viele eigene Ressourcen, zum Beispiel Erdöl. „Wir könnten so reich werden wie Norwegen“, sagt er. Dass die Mehrzahl der Schotten gegen eine Abspaltung sei, ist für ihn „reine Propaganda“. Sollte es dennoch zum Nein kommen und die historische Chance verpasst werden, werde er seiner Heimat in den Highlands den Rücken kehren, auswandern, droht der kampferprobte Recke: nach Norwegen oder Deutschland.

x