Politik Opposition ruft zu Protest gegen „Schmarotzergesetz“ auf

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Nachdem die alljährliche Anti-Atomkraft-Demonstration in der weißrussischen Hauptstadt Minsk am Mittwoch ohne Eingreifen der Miliz über die Bühne gegangen ist, befürchten Beobachter, dass es bei den Kundgebungen zum 1. Mai zu Zusammenstößen zwischen der Staatsmacht und der Opposition kommen könnte.

Das Regime Aleksandr Lukaschenko hatte im Vorfeld schon alle Register gezogen, damit der Protestmarsch anlässlich des Jahrestags der Atomkatastrophe von Tschernobyl (26. April 1986) nicht zu groß wurde und auch nicht zu viel Aufmerksamkeit erfuhr. Bis kurz zuvor war nicht klar, ob die Demonstration überhaupt genehmigt würde, und – wenn ja – wann und wo sie stattfinden dürfte. Schließlich zogen am Mittwoch gegen 14 Uhr etwa 600 Protestierer außerhalb des Stadtzentrums im strömenden Regen seines Weges – eskortiert von Einheiten der Miliz mit Gefängnistransportern im Gefolge. In Astrawez nahe der Grenze zu Litauen baut Weißrussland derzeit mit russischer Hilfe sein erstes Atomkraftwerk, dessen erster Block im kommenden Jahr ans Netz gehen soll. Dagegen richtete sich der Protest der Anti-Atomkraft-Bewegung, die in der Bevölkerung jedoch keinen großen Rückhalt hat. Und das, obwohl der größte Teil des radioaktiven Niederschlags 1986 über weißrussischem Gebiet niederging. Die Möglichkeit des Anti-Atomkraft-Protests nutzten aber auch Angehörige der Menschen, die bei der großen Demonstration gegen Langzeit-Präsident Lukaschenko vor einem Monat verhaftet wurden. Nach Auskunft von Lars Bünger von der Schweizer Menschenrechtsorganisation Libereco, die vor allem Belarus und die Ukraine beobachtet, sitzen mindestens 19 Personen immer noch im Gefängnis. Ihnen drohten Anklagen wegen des Schürens von Massenunruhen oder gar der Vorbereitung eines Staatsstreichs. „Diesmal ist es der Regierung gelungen, den Widerstand im Keim zu ersticken“, meint die Minsker Historikerin Milana Zhabkina*. Die Menschen seien schon im Vorfeld der Tschernobyl-Demo durch das Taktieren bezüglich des Orts und des Verlaufs der Kundgebung völlig verunsichert gewesen. Viele hätten sich vor einer erneuten Verhaftungswelle gefürchtet und seien lieber zuhause geblieben. Allerdings, so ist sich Zhabkina sicher, werde die anstehende Kundgebung zum Tag der Arbeit am 1. Mai weitaus mehr Menschen mobilisieren. Denn die Opposition sei fest entschlossen, die traditionell den Altkommunisten vorbehaltene Demonstration zum Protest gegen das „Schmarotzergesetz“ zu nutzen. Dieses berüchtigte Dekret Nummer drei des Präsidenten verdonnert alle, die mehr als sechs Monate ohne Arbeit sind, eine Art Strafsteuer von umgerechnet 190 Euro im Jahr zu zahlen – ein Vermögen in Belarus. Zwar hatte Lukaschenko das Gesetz nach den Unruhen vom März ausgesetzt, das Problem ist aber nicht vom Tisch. Denn offenbar werde dadurch den Betroffenen nur ein Jahr lang Zahlungsaufschub gewährt, erklärt Lars Bünger. „Das war ein geschickter Schachzug von Lukaschenko. Er nimmt etwas Dampf aus dem Kessel, aber die Bestrafung von Arbeitslosen bleibt bestehen. Sie wird nur verschoben.“ Der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Nikolai Statkewitsch, der nach den März-Demos drei Tage in Haft saß, hat dazu aufgerufen, am Montag erneut für Bürgerrechte und gegen das „Schmarotzergesetz“ auf die Straße zu gehen. Da sich dies direkt gegen die Politik des Präsidenten und seinen autoritären Regierungsstil wendet, ist zu befürchten, dass die Staatsmacht erneut mit Härte reagieren wird. * Name von der Redaktion geändert

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