Politik Interview: Bezirksleiter Jörg Köhlinger zu den Arbeitszeit-Forderungen der IG Metall

Die IG Metall will die Arbeitszeit zu einem Schwerpunkt der kommenden Tarifrunde machen.
Die IG Metall will die Arbeitszeit zu einem Schwerpunkt der kommenden Tarifrunde machen.

In der im Herbst anstehenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie will die IG Metall auch bessere Regelungen bei der Arbeitszeit durchsetzen. Auf einem morgen in Mannheim stattfindenden Kongress wird die Gewerkschaft das Thema Arbeitszeit debattieren. Ralf Joas sprach darüber mit dem Leiter des auch für Rheinland-Pfalz zuständigen IG-Metall-Bezirks Mitte, Jörg Köhlinger.

Herr Köhlinger, ausweislich der bundesweiten IG-Metall-Befragung, bei der das Thema Arbeitszeit im Mittelpunkt stand, ist nur eine Minderheit der 680.000 Teilnehmer explizit unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit. Warum hängt die Gewerkschaft das Thema dennoch so hoch?

Im Bezirk Mitte haben sich 70 Prozent zufrieden mit ihrer Arbeitszeit geäußert. Dabei ist die Zufriedenheit im Produktionsbereich geringer. Die insgesamt recht hohe Zufriedenheit spricht zunächst einmal für die gute Arbeit der Betriebsräte und der IG Metall. Aber daraus kann noch nicht abgeleitet werden, dass es keine Wünsche und Anforderungen der Beschäftigten gibt. Gibt es in Rheinland-Pfalz, im Vergleich zum Bund, besondere Klagen oder Wünsche der Beschäftigten? Wir haben im Bezirk und auch in Rheinland-Pfalz einen höheren Anteil von Arbeitsplätzen mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen, etwa Schicht- oder Sonn- und Feiertagsarbeit. Das sind fünfzehn Prozent bei uns im Bezirk, zehn Prozent bundesweit. Schichtarbeiter haben möglicherweise andere Bedürfnisse als junge Familienväter oder als jemand, der bald in Rente geht. Lässt sich angesichts dieser unterschiedlichen Konstellationen überhaupt eine Arbeitszeit-Forderung formulieren, die allen Rechnung trägt? Ja, aus der Beschäftigtenbefragung und auch aus den Debatten der vergangenen Monate kristallisieren sich durchaus einige wichtige Punkte heraus. Und die wären? Dazu zählt der Wunsch nach planbarer Arbeitszeit und nach kürzeren Arbeitszeiten, die zur jeweiligen Lebenssituation passen. Im Detail kann das bedeuten, dass alle Beschäftigten einen individuellen Anspruch auf eine sogenannte kurze Vollzeit erhalten, also zeitweise von der 35-Stunden-Woche abweichen können, um sich beispielsweise um ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern zu können. Diese kurze Vollzeit muss aber mit einem Rückkehrrecht in die reguläre Vollzeit und mit einem Entgeltausgleich verbunden werden: Die Reduzierung der Arbeitszeit muss man sich auch leisten können, sonst ergibt sie keinen Sinn. Notwendig ist also ein Entgeltzuschuss. Woher soll der Zuschuss kommen? Soll der Einzelne zunächst mehr arbeiten, um dann die Arbeitszeit verkürzen zu können? Oder soll es eine Art Fonds geben, in den alle einzahlen? Da sind unterschiedliche Modelle denkbar, aber das ist noch nicht ausdiskutiert. Sie haben die besonders belasteten Schichtarbeiter angesprochen. Bei denen dürfte eine kurze Vollzeit organisatorisch allerdings kaum machbar sein. Es stimmt, diese Beschäftigten haben kaum die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten selbst zu bestimmen, sie sind festen Schichtrhythmen unterworfen. Deshalb geht kurze Vollzeit hier nur in Form von Freischichten, über deren Entnahme die Beschäftigten dann aber selbst entscheiden können. Das Thema einer generellen Arbeitszeitverkürzung unter die 35-Stunden-Woche hat in der IG Metall immer noch viele Anhänger. Könnte auch das eine tarifpolitische Forderung werden? Ja, es gibt Sympathien für weitere Arbeitszeitverkürzungen. Das ist aber derzeit nicht Gegenstand unserer Forderungsdebatte. Die 35-Stunden-Woche ist ein gutes Maß und die Wunscharbeitszeit der Beschäftigten. Auch die Arbeitgeber betonen die Notwendigkeit von Flexibilität, verweisen aber in diesem Zusammenhang auf die Bedürfnisse der Kunden, an denen man sich ausrichten müsse. Ganz aus der Luft gegriffen ist dieses Argument ja nicht. Es ist doch unstrittig, dass es flexible Arbeitszeiten gibt und auch in Zukunft geben wird. Was wir aber nicht akzeptieren, ist eine Flexibilität, bei der alles nur von Kundenwünschen abhängig gemacht wird. Das geht nicht. Wir brauchen verlässliche, gesundheitsverträgliche, familienfreundliche Arbeitszeiten. Wer auf der einen Seite einen Mangel an Fachkräften beklagt, kann diesen nicht dadurch beheben, dass er andererseits die Arbeitsbedingungen unattraktiver macht. Wir wollen daher auch verhindern, dass die Arbeitgeber vermehrt versuchen, für Teile der Belegschaften ohne nachvollziehbare Begründung die Arbeitszeit zu verlängern. Wenn sie länger arbeiten lassen wollen, erwarten wir, dass sie auch sagen, was sie dazu beitragen, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. So kann zum Beispiel ausreichende Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter ein Beitrag sein. Dieses Thema gewinnt angesichts der Veränderungsprozesse, etwa der Digitalisierung, ohnehin an Bedeutung. Wir führen die Arbeitszeitdebatte auch vor diesem Hintergrund. Sehen Sie zumindest Schnittmengen zwischen Ihren Positionen und denen der Arbeitgeber? Derzeit habe ich eher den Eindruck, dass die Arbeitgeber in dieser Debatte den Konflikt suchen. Das zeigt sich auch darin, dass die gesetzlich begrenzte Höchstarbeitszeit pro Tag in Frage gestellt wird. Offensichtlich sollen Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen einer kompletten Flexibilität unterworfen werden, das geht gar nicht. Wir müssen auch über Leistungsbegrenzung und Personalbemessung sprechen, um zu verhindern, dass die „35“ nur auf dem Papier steht. Wäre die IG Metall bereit, für bessere Regelungen bei der Arbeitszeit Abstriche bei der Lohnforderung zu machen? Über mögliche Lohnforderungen haben wir noch gar nicht diskutiert. Ich stelle aber fest, dass wir derzeit eine ausgesprochen robuste Konjunktur haben. Es sind damit keinerlei Gründe für Bescheidenheit oder irgendwelche Gegenrechnungen erkennbar. Wir werden ein anspruchsvolles und zugleich tragfähiges Forderungspaket schnüren.

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