Politik EU will berufstätigen Eltern unter die Arme greifen

Die EU-Kommission will Europa sozialer machen und schlägt als konkrete Maßnahme mehr Rechte für berufstätige Eltern vor. Ihre Pläne präsentierte die Behörde gestern als Teil eines Pakets zur sogenannten Europäischen Säule sozialer Rechte.

Eigentlich ist Sozialpolitik nicht das Metier der Europäischen Union. Die Zuständigkeit liegt in den Mitgliedstaaten. Doch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat immer die soziale Lage im Blick gehabt. Dass es auf diesem Feld viel zu tun gibt, liegt auf der Hand: So lag Ende 2016 die Jugendarbeitslosigkeit im EU-Schnitt bei 18 Prozent (im Euro-Raum bei 20 Prozent). In Griechenland, Spanien, Italien betrug sie rund 40 Prozent, in Deutschland dagegen unter fünf Prozent. Nun hat die Kommission Vorschläge unterbreitet, wie sie sich den Aufbau einer „sozialen Säule“ durch die EU vorstellt. Richtig konkret wird es lediglich im Bereich der Familienpolitik. Ein Punkt lässt aus deutscher Sicht aufhorchen. Die tschechische Kommissarin Vera Jourova schlägt vor, dass Arbeitnehmer bis zum zwölften Lebensjahr ihres Kindes die Arbeitszeit flexibel gestalten können. Das heißt, sie sollen den gesetzlichen Anspruch bekommen, aus Teilzeit auch wieder auf Vollzeit zu gehen, wie dies etwa Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorschlägt. Alle anderen Forderungen für gesetzliche Änderungen in der Familien- und Arbeitspolitik sind in Deutschland dagegen bereits weitgehend Standard. So sollen Vater und Mutter nach der Geburt eines Kindes mindestens zehn Tage zu Hause bleiben dürfen und dafür bezahlt werden. Eltern sollen zudem das Recht bekommen, jeweils bis zu vier Monate Elternzeit zu nehmen. Wenn das Kind ernsthaft erkrankt ist, sollen Eltern zudem EU-weit den Anspruch bekommen, für fünf Tage bezahlt eine Auszeit zu nehmen. Wohlgemerkt: Dies sind lediglich die Vorschläge der EU-Kommission für eine Gesetzgebung. Vor allem osteuropäische Länder wie Rumänien und Bulgarien sehen niedrigere Sozialstandards und damit verbundene niedrigere Lohnkosten als Standortvorteil, den sie nicht aufgeben wollen. Mit ihrem Widerstand ist zu rechnen, wenn die Gesetzgebungsvorschläge im Rat, also dem Gremium der Mitgliedstaaten, auf die Tagesordnung kommen. Auch das Parlament, die dritte in die Gesetzgebung eingebundene EU-Institution, signalisiert bereits Widerstand. Die Sozialexpertin Jutta Steinruck (SPD) aus Ludwigshafen zeigt sich enttäuscht: „Neue Gesetze, die das Leben der Menschen in Europa spürbar verbessern würden, sucht man vergebens. Europa braucht aber mehr als einen Sozialknigge.“ Steinruck vermisst etwa Kriterien für „menschenwürdige Arbeitsbedingungen“ durch die EU. „Diese würden Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen grundlegende Arbeitsrechte und sozialen Schutz garantieren.“ Zudem habe das Parlament mit breiter Mehrheit bereits eine Grundsicherung für alle Kinder, die in Armut leben, gefordert, damit sie kostenlosen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung bekommen. Neben den Vorschlägen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat die Kommission 20 Grundsätze aufgestellt, die in der Sozialpolitik der Mitgliedsländer gelten sollen. Darunter etwa, dass Frauen und Männer grundsätzlich den gleichen Lohn bekommen sollen. Allerdings will die Kommission diese Grundsätze zunächst nur in der Euro-Zone festschreiben. Steinruck kritisiert dies: „Wir können uns bei der derzeitigen Verfassung Europas nicht leisten, eine unnötige Spaltung der EU herbeizuführen.“ Die soziale Säule müsse deshalb allgemeinverbindliche Standards in der EU schaffen.

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