Politik „Die Politik muss einen Zahn zulegen bei der Digitalisierung“

Joachim Lang.
Joachim Lang.

Mit Spannung verfolgt die deutsche Wirtschaft den beginnenden Bundestagswahlkampf. Für die Exportnation Deutschland steht viel auf dem Spiel. Winfried Folz fragte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), welchen Rat die Unternehmen der Politik geben.

Herr Lang, die SPD fordert eine Investitionspflicht des Staates. Die deutsche Industrie würde davon profitieren, aber Jubel ist nicht zu hören. Warum?

Deutschland braucht eine Investitionsoffensive. Hier muss die Politik die richtigen Anreize setzen. Im Moment scheitern Investitionen des Staates weniger am Geld. Probleme bereiten die Engpässe bei der Vergabe von Investitionen und die überlangen Verfahrensdauern. Die akuten Engpässe bei den Behörden lassen sich lösen, sobald sie mehr mit privaten Ingenieurbüros zusammenarbeiten. Das machen wir in den Unternehmen auch so. Ein Planungshorizont von zehn Jahren wäre sinnvoll. Für die Wirtschaft zählt, dass am Ende die Infrastruktur da ist. Sie ist das Rückgrat unseres Standortes. Es geht um eine gute Verkehrs-, Energie- und Digitalisierungsinfrastruktur. Nach all den Ankündigungen des zuständigen Ministers Alexander Dobrindt (CSU) zum Netzausbau müsste Deutschland in der Fläche ja gut ausgestattet sein. Ist das so? Nein. Bei der Digitalisierung muss die Politik dringend einen Zahn zulegen. Deutschland liegt bei der Internetgeschwindigkeit in Europa nur auf Platz 15 von 31 Staaten. Das kann sich ein modernes Industrieland einfach nicht leisten. Nicht einmal jedes dritte Unternehmen auf dem Land verfügt über 50 Megabit pro Sekunde. Dabei liegt die Mehrheit der Industriearbeitsplätze genau dort. Es gibt absurde Geschichten von Mittelständlern, die nur einmal am Tag, nämlich nachts, Daten austauschen können, wenn die Leitungen entlastet sind. Das hören wir sehr oft – von der Schwäbischen Alb bis zum Sauerland. Schnelles Internet ist sehr wichtig. Ein Beispiel: In der Medizin gibt es die Möglichkeit, CT- oder Röntgen-Aufnahmen digital mit einer Million anderer Aufnahmen zu vergleichen, um Erfahrungswerte zu sammeln. Zusätzlich zur Expertise des Arztes gibt es wertvolle Erkenntnisse durch die Bilddaten. Das ist zum Wohle des Patienten ein phänomenaler Schritt in die Zukunft. Ein anderes Beispiel: Beim autonomen Fahren werden jede Menge Daten entlang der Straßen erhoben, die verarbeitet werden müssen. Nur so kann es sicher funktionieren. Dritter Fall: „Industrie 4.0“, also die Digitalisierung der Produktion. Hier kommunizieren Maschinen mit Maschinen. All das wird das Datenvolumen explosionsartig ansteigen lassen. Deshalb brauchen wir eine gute Infrastruktur. Die Netzbetreiber sind nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung … Das ist die klassische Frage, wer zuerst da war, Henne oder Ei. Ein Grund für die Investitionszurückhaltung der Netzbetreiber sind Probleme bei der Regulierung der Netze. Wir müssen zuerst die Gewerbe- und Industriegebiete mit Glasfaser versorgen. Es nutzt dem Gros der Industrieunternehmen wenig, wenn am Berliner Ku’damm Glasfaser liegt. Entscheidend ist, dass die Gewerbegebiete in der Pfalz eine große Bandbreite haben. Bundesweit zehn Milliarden Euro pro Jahr müssen in der nächsten Dekade investiert werden. Der Staat wäre sogar bereit, einiges mitzufinanzieren. Aber der Knoten ist noch nicht gelöst. Rund 80 Prozent der Kosten bei der Verlegung von Glasfaser sind Tiefbaukosten. Erst seit vergangenem Jahr ist es Gesetz, dass überall dort, wo eine Straße aus welchen Gründen auch immer aufgerissen wird, Leerrohre verlegt werden. Damit können Kabel endlich preiswerter unter die Erde kommen, ohne vorher lange Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen. Das Thema Elektromobilität spielt eigentlich keine Rolle im Wahlkampf, obwohl die deutsche Automobilindustrie vor großen Umwälzungen steht. Redet man deshalb nicht darüber, weil Arbeitsplätze in Gefahr sind? Ich nehme das anders wahr. In Ländern wie Norwegen oder den USA, wo es eine hohe Nachfrage nach Elektroautos gibt, sind deutsche Hersteller erfolgreich. In den USA haben deutsche Hersteller einen Marktanteil von 20 Prozent bei Elektroautos. Bei konventionellen Antrieben sind es nur etwa sieben Prozent. Automobilbauer verfolgen das Thema mit großer Akribie und finanziellem Aufwand. Wir brauchen in Deutschland einen vernünftigen Mix – und die nötige Infrastruktur dafür. Ohne ausreichend Ladestationen wird es schwierig. Nur rund 7400 öffentliche Ladepunkte standen Elektrofahrern Ende vorigen Jahres zur Verfügung. Noch verdient übrigens kein Hersteller mit Elektrofahrzeugen Geld, auch Tesla nicht. Die Deutsche Post hat die Produktion elektrischer Paket-Zulieferwagen gerade selbst in die Hand genommen … Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie gut der Wettbewerb funktioniert. Interessant finde ich, dass in Frankreich Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist, einen bestimmten Anteil an Elektrofahrzeugen anschaffen müssen. Da sind auf einen Schlag Tausende E-Autos bestellt worden. Das gibt den französischen Herstellern eine hohe Investitionssicherheit. Elektromobilität wird in der Startphase nur mit gezielten Anreizen ein Erfolgsmodell. Ein Wort zu Europa: Der befürchtete Rückzug ins Nationale, den die Briten schon angetreten haben, hat sich bei den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich nicht fortgesetzt. Die deutsche Wirtschaft, die in ganz Europa präsent ist, beruhigt das. Sind Sie in dieser Frage auch entspannt? Die Wahlergebnisse sind ermutigende Signale. Was wir allerdings bedauern, ist die Entscheidung der britischen Wähler, die Europäische Union zu verlassen. Die Briten sind ein großer Verfechter von Wettbewerb und Deregulierung. Sie standen immer an der Seite Deutschlands. Das wird uns fehlen. Europa ist in keiner einfachen Lage: Auf der einen Seite heißt es „America first“, auf der anderen Seite, in Asien, beobachten wir eine Art „China first“. Wir brauchen ein starkes Europa, das hier gegenhalten kann. Deshalb müssen die 27 verbleibenden Staaten geschlossen auftreten. Die deutsche Industrie weiß, warum wir in der EU sind. Das ist unser Heimatmarkt. Wir wollen Europa stärken. Für unsere Unternehmen ist unser Kontinent der wichtigste Markt überhaupt: Beinahe 60 Prozent aller Exporte aus Deutschland gehen in die EU, gut 40 Prozent unserer Bestände an Direktinvestitionen liegen in der EU. Gut 70 Prozent der Direktinvestitionen in Deutschland stammen aus EU-Ländern. Diesen einzigartigen Wertschöpfungsverbund müssen wir unbedingt erhalten. Andere auf der Welt beneiden uns darum.

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