Politik „Bei den Hauptzielen mit Klöckner einig“

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Interview: Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die Lösung der europäischen Flüchtlingskrise nicht an den deutschen Grenzen, sondern in einer Bekämpfung der Fluchtursachen und einer Sicherung der Außengrenzen. Da gebe es auch keine Differenzen mit der rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin, versichert Merkel im Gespräch mit Michael Garthe und Hartmut Rodenwoldt.

Frau Merkel, Sie haben uns einmal in einem Interview gesagt: „Wenn ich die Augen schließe und mir eine deutsche Kulturlandschaft vorstelle, kommt Rheinland-Pfalz dieser Vorstellung sehr nah.“ Elfmal sind Sie in diesen Wochen im Wahlkampf in dieser wunderbaren Kulturlandschaft

. . . genauso oft wie beim letzten Landtagswahlkampf. Und der Satz stimmt noch immer. Machen Sie sich Sorgen, dass Julia Klöckners Mission, Ministerpräsidentin Dreyer abzulösen, schiefgeht? Ich setze mich dafür ein, dass die CDU und Julia Klöckner den Regierungsauftrag erhalten. Die Chance darauf besteht, aber wir müssen bis zum letzten Tag bei den Bürgern für unsere Positionen werben. Was schätzen Sie an Julia Klöckner? Ich schätze ihre Bodenständigkeit, ihre Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte für die Menschen verständlich darzustellen, natürlich auch ihren gewaltigen Einsatz für das Land. Sie glaubt daran, dass man mehr tun kann, damit Rheinland-Pfalz eine gute Zukunft hat, und sie will weniger Verschuldung. Es gibt viele gute Gründe, warum ich sie unterstütze. Die SPD regiert seit mehr als 20 Jahren in Rheinland-Pfalz. Setzen Sie sich für Julia Klöckner ein, weil Sie mehr Unterstützung im Bundesrat durch eine CDU-geführte Regierung brauchen? Vor allem möchte ich, dass Rheinland-Pfalz gut regiert wird. Das hätte dann auch positiven Einfluss auf die Entscheidungen im Bundesrat. Denken Sie an die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer. Das hätten wir alles früher haben können, Rot-Grün zögert jedoch und will sich erst nach der Landtagswahl festlegen. Aber noch einmal: Es geht mir insbesondere um die Rheinland-Pfälzer. Sie stellen bei der Wahl die Weichen für die nächsten fünf Jahre. Es geht darum, dass in Rheinland-Pfalz das Richtige getan wird und dass es schneller getan wird. Dafür steht Julia Klöckner. Klöckner macht ihre eigene Integrations- und Flüchtlingspolitik, die sich teilweise von Ihrer unterscheidet. Warum dulden Sie das? Julia Klöckner und ich sind uns völlig darin einig, dass die Lösung für die europäische Herausforderung der Flüchtlingskrise nicht an der deutschen Grenze liegt, sondern dass wir die Fluchtursachen bekämpfen und außerdem den Schutz der EU-Außengrenzen verstärken müssen. Klöckner sagt, sie könne sich für das österreichische Modell erwärmen. Das sieht eine Obergrenze vor. Dieses Modell läuft Ihren Vorstellungen entgegen. Der EU-Gipfel vergangene Woche hat sich klar zu dem auch von mir vertretenen gemeinsamen europäischen Ansatz und gegen einseitige nationale Maßnahmen bekannt. Wir alle wollen doch, dass die volle Freizügigkeit im Schengenraum wieder hergestellt wird. Gerade für uns Deutsche hängt auch wirtschaftlich viel davon ab. Das erreichen wir nur, indem wir einerseits gemeinsam unsere EU-Außengrenzen schützen und andererseits von Griechenland und Italien aus Flüchtlinge europaweit verteilen. Natürlich geht es bei allem darum, dass insgesamt nicht mehr so viele Menschen nach Europa flüchten müssen, weil wir die Ursachen ihrer Flucht eindämmen. Frau Klöckner will das, was Sie als nicht hilfreich bezeichnen. Bei den Hauptzielen meiner Arbeit, den Zuzug von Flüchtlingen durch den Schutz der Außengrenzen und die Bekämpfung von Fluchtursachen spürbar zu reduzieren, weiß ich Julia Klöckner an meiner Seite. Geschieht vor den Wahlen am 13. März noch so viel, dass Sie in den Veranstaltungen sagen können: „Wir kommen voran und haben einen großen Teil des Weges schon geschafft“? Wir haben schon eine Menge geschafft. Wir steuern und ordnen die Flüchtlingsbewegungen in Deutschland. Inzwischen werden die Ankommenden an der Grenze registriert. Wir haben den EU-Aktionsplan mit der Türkei vorangebracht. Nato-Schiffe sollen helfen, die Ägäis zu überwachen und so die türkische Küstenwache und die EU-Grenzschutzagentur Frontex im Kampf gegen die Menschenschmuggler zu unterstützen. Das alles sind für mich wichtige Hinweise, dass auch die Türkei die illegale Migration eindämmen möchte, weil es in ihrem eigenen Interesse ist. Auch bei der Fluchtursachenbekämpfung kommen wir erheblich voran. Wir haben elf Milliarden US-Dollar als Hilfeleistung für die Nachbarländer Syriens gesammelt. Es gibt Hilfsgelder für die Flüchtlinge in der Türkei. Syrischen Flüchtlingen ist es in der Türkei jetzt erlaubt zu arbeiten. All das hat es jahrelang nicht gegeben und es nimmt den Druck von den Menschen, fliehen zu müssen. Manches ist also erreicht, aber viel Arbeit ist noch zu tun. Hat die Türkei angesichts ihrer vielen inneren Konflikte überhaupt den Willen und die Kapazität, in der Flüchtlingsfrage zum zuverlässigen Partner zu werden? Die Türkei ist in einer sehr schwierigen Lage, denn sie kämpft gegen den Terrorismus im eigenen Land und ist Zufluchtsort für über 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Auch wir Europäer können uns von dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien nicht abkoppeln, wir müssen mit seinen Rückwirkungen auf uns umzugehen lernen. Und dabei ist die Türkei in vielfacher Weise ein Schlüsselland. Um die Flüchtlingskrise zu bewältigen, braucht Europa die enge Zusammenarbeit mit der Türkei. Dabei können auch kritische Fragen angesprochen werden. Sie legen den Schutz der Schengen-Grenze in die Hand der Türkei und der Nato. Kann das sein? Zwischen diesen beiden Nato-Verbündeten verläuft die EU-Außen- und Schengengrenze. Wir müssen lernen, auch eine Seegrenze wirksam zu sichern. Mit Zäunen wie an Land geht das nicht Den Zaun baut die Nato virtuell auf. Nein. Die Nato ortet Boote und meldet ihre Erkenntnisse an die Küstenwachen und die Frontexschiffe, damit die den Kampf gegen die Schlepper führen können. Es ist nicht hinzunehmen, dass in diesen Gewässern mafiöse Schlepperstrukturen ein Vermögen mit der illegalen Migration verdienen – und dass dabei allein in diesem Jahr schon mehr als 300 Flüchtlinge ertrunken sind. Das muss beendet werden. Dem wird im weiteren Verlauf auch eine gesteuerte und legale Migration dienen, und dafür muss Europa mit der Türkei zusammenarbeiten. Das Land ist uns ja schließlich auch nicht fremd, sondern seit langem ein vertrauter Partner in der Nato und führt sogar Beitrittsverhandlungen mit der EU, wenn die auch noch ziemlich am Anfang stehen. Warum ist es schwierig, eine Koalition der Willigen zusammenzubringen und mehr Solidarität zu schaffen? Erinnern wir uns: Als Anfang des Jahrtausends die Schengen- und Dublin-Regeln geschaffen wurden, war auch Deutschland gegen einen permanenten Verteilungsschlüssel für Asylsuchende. Einige Länder sagen nun, dass sie das damals alleine durchstehen mussten und sich deshalb jetzt zurückhalten. Aber auf dem EU-Rat letzte Woche gab es ein Signal der Einigkeit aller 28 bei den großen flüchtlingspolitischen Zielen, vor allem beim gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen und der Bekämpfung der Fluchtursachen. In diesem Zusammenhang ein Wort von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Der hat gesagt: ,It’s payback time!“ Er meinte damit, dass einige Länder es uns nun heimzahlen. So sehe ich das nicht. Wie gesagt, wir haben in den vergangenen Monaten in Europa schon einiges zusammen erreicht und haben gerade in Brüssel in einem Geist der Gemeinsamkeit aller 28 beschlossen, uns jetzt Schritt für Schritt um die Umsetzung dessen zu kümmern, was wir mit der Türkei vereinbart haben. Haben Sie selbst auch Fehler gemacht? Bereuen Sie etwas? Niemand macht den ganzen Tag alles richtig, aber jede der wesentlichen Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik würde ich auch heute unverändert genauso treffen. Dennoch ist es so, dass Ihre Popularitätswerte zurückgegangen sind. Spüren Sie das, wenn Sie beispielsweise im Wahlkampf auftreten? Wird Ihnen Misstrauen entgegengebracht? Nein, viele hören mir sehr aufmerksam zu. Die Herausforderung, die wir derzeit erleben, ist die schwierigste in Europa seit Jahrzehnten. In Familien, am Arbeitsplatz, überall wird darüber diskutiert. Unzählige Menschen arbeiten hauptamtlich mit Flüchtlingen oder übernehmen ehrenamtlich Verantwortung. Viele fragen aber auch besorgt, wie es weitergehen soll, wie der Zuzug reduziert und wie die Integration geschafft werden kann. Trotz allem sind laut Umfragen über 90 Prozent der Deutschen der Meinung, dass Menschen aus Kriegsgebieten, die Schutz brauchen, ihn bei uns auch bekommen sollten. Der Zweifel der Menschen richtet sich also eher auf unseren Umgang mit denen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben und die wir trotz aller gesetzlichen Verbesserungen durch die Bundesregierung noch nicht konsequent genug wieder zurückschicken. Da müssen wir entschiedener handeln. Politisches Handeln kann ja etwas bewirken, das zeigt die Tatsache, dass wir inzwischen kaum noch Asylsuchende vom westlichen Balkan haben. Leider hat Rot-Grün ähnliche Entscheidungen für die nordafrikanischen Staaten verschleppt. Das deutet darauf hin: Die Menschen haben Schwierigkeiten, das alles zu verstehen. Das „Rendezvous mit der Globalisierung“, von dem Wolfgang Schäuble spricht, kannten wir Deutsche auf ganz andere Art: Deutsche Unternehmen investieren im Ausland, um hier Arbeitsplätze und Gewinne zu sichern. Nun aber lernen wir eine andere, schwierige Seite der Globalisierung kennen. Die Konfliktherde sind nicht nur ein Film in den Nachrichten, sie haben Auswirkungen auf unser Land. Sie verändern notwendigerweise unsere Außen- und Entwicklungspolitik und machen es erforderlich, dass wir im Inneren mehr für die Sicherheit der Bürger tun – so planen wir 4000 zusätzliche Bundespolizisten einzustellen. Das alles beschäftigt die Menschen sehr und es gibt viel Erklärungsbedarf. Ich merke das zurzeit bei meinen Wahlkampfauftritten, wo Tausende sehr lange und aufmerksam zuhören. Hängt Ihr politisches Schicksal vom Ausgang der drei Landtagswahlen ab? Nein, sondern für die Bürger in den drei Ländern hängt viel davon ab. Auch für mich sind Landtagswahlen wichtig, über Bundeskanzler entscheiden aber Bundestagswahlen. Die Finanzkrise war sehr komplex. Aber die Menschen haben Ihnen vertraut, auch wenn sie nicht immer alles verstanden haben. Jetzt schwindet das Vertrauen in Sie. Warum ist das so? Es ging in der Staatsschuldenkrise der Eurozone um eher abstrakte Dinge. Jetzt geht es um Veränderungen in unserer direkten Lebensumgebung, in den Städten und Gemeinden. Dazu fragen sich viele, ob Europa in dieser Krise zusammenbleibt. Das alles zusammen verursacht ganz andere Sorgen. Und dennoch spüre ich, gerade auch wenn ich in diesen Tagen in den drei Wahlkämpfen unterwegs bin, nach wie vor viel Unterstützung – dafür bin ich dankbar. Merkel und das Volk haben schon mal besser zusammengepasst. Das Volk könnte sich 2017 einen anderen Bundeskanzler wählen. Hätten Sie manchmal gerne ein anderes Volk? Natürlich nicht. Es hat in der Geschichte der Bundesrepublik immer Phasen gegeben, in denen eine politische Lösung nicht über Nacht gefunden werden konnte. Es gehört aber zur Amtsbeschreibung von Bundeskanzlern, dass sie auch in schwierigen Zeiten ihren Weg gehen müssen und keine Illusionen von vermeintlich leichten Lösungen machen dürfen. Hinterher wäre die Enttäuschung noch um ein Vielfaches größer als die Probleme vorher. Im Übrigen finde ich es großartig, wie viele Deutsche gerade jetzt in der Flüchtlingskrise mit großem persönlichen Einsatz helfen. Diese vielen Freiwilligen und Engagierten sind weit zahlreicher als diejenigen, die hinter beschämenden fremdenfeindlichen Ereignissen stehen. Als Sie 1990 Bundespolitikerin wurden, bauten Sie aus Überzeugung am Haus Europa mit. In Paris und Warschau, auch in Kiew, haben Sie für den Austausch junger Europäer geworben. Heute reden wir von Grexit und Brexit, von Ausnahmeregeln für Großbritannien, beklagen fehlende Solidarität der EU-Staaten in der Flüchtlingsfrage, riskieren die offenen Grenzen. Hat der Rückbau des Hauses Europa begonnen? Ich arbeite mit aller Kraft dafür, dass das nicht so kommt. Europa muss einiges an Bürokratie über Bord werfen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Der Erhalt der inneren Freizügigkeit im Schengenraum ist etwas ganz Wesentliches. Die Rheinland-Pfälzer wissen doch, welche engen Kontakte in ihrer Grenzregion gewachsen sind. Europa sieht sich vielfach ganz neu herausgefordert und wir alle müssen uns immer wieder neu entscheiden, ob wir mit Europa besser dastehen oder nationale Wege gehen sollten. Für mich ist die Antwort angesichts der Entwicklungen in Asien oder in den USA ganz klar: Mit unserem europäischen Binnenmarkt und unserer europäischen Währung haben wir viel mehr Möglichkeiten, unsere Werte und Interessen in der Welt zu behaupten, als wenn jedes Land einzeln aufträte. Zum Schluss: Wie halten Sie den Druck, die Kritik, den Stress aus? Verraten Sie uns doch bitte Ihr Geheimnis? Das tun, wovon man innerlich überzeugt ist.

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