Politik 100 turbulente Tage

Sein Reformplan, tönte Donald Trump, werde Millionen von Menschen aus der Armut holen. Er werde die Löhne dramatisch steigen lassen und Millionen neue Arbeitsplätze schaffen: „Wir können den kompletten Plan schon in unseren ersten hundert Tagen beschließen, und das werden wir tun“. Das war im Wahlkampf. Heute klingt er, als wäre es eine Zumutung, ihn daran zu erinnern. Hundert Tage, es sei lächerlich, einen solchen Meilenstein zu setzen, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Egal, was er in der Zeit erreicht habe, und es sei eine Menge, die Medien würden es sowieso madig machen. Bei „Saturday Night Live“, Amerikas populärster Satire-Show, haben sie seine eher bescheidene Bilanz mit feinem Spott inszeniert. Gespielt vom genial vertrottelten Alec Baldwin, sitzt Trump mit feierlicher Miene am Mahagonischreibtisch, während sein beflissener Stellvertreter Mike Pence ebenso feierlich eine Ledermappe aufschlägt, um eine Liste der seit Januar erzielten Erfolge zu verlesen. „Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtshof nominiert“, sagt er und klappt die Mappe wieder zu. Großes Theater, wenig Substanz: so beurteilen Kritiker die ersten 100 Tage. Trumpcare, die Reform der Gesundheitsreform Barack Obamas, scheiterte beim ersten Anlauf am Widerstand der Tea-Party-Rebellen. Ein Infrastrukturprogramm, finanziert mit einer Billion (=1000 Milliarden) Dollar, lässt auf sich warten, obwohl Trump es nach seinem Wahlsieg zur höchsten Priorität erklärte. Die angepeilte Steuerreform droht die Staatsverschuldung derart ausufern zu lassen, dass sie im Kongress noch gründlich zerpflückt werden dürfte, bevor sie Gesetzeskraft erlangt. Trumps außenpolitisches Team, dirigiert von seinem neuen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, wird zwar selbst von liberalen Kommentatoren dafür gelobt, dass es den Populisten von isolationistischen Irrwegen zurück auf einen traditionell konservativen Kurs lotste, ohne etwa die Nato infrage zu stellen. Innenpolitisch aber hat der Präsident außer Stückwerk bislang nichts vorzuweisen. Neuerdings lässt er sogar so etwas wie Demut erkennen, der Egomane Trump, der noch vor Monaten behauptete, er allein könne die Probleme des Landes lösen. Jedes einzelne Ministerium sei größer als jedes Unternehmen, das er kenne, sagte er. „Wissen Sie, ich begreife erst jetzt, wie groß das alles ist. Und was für eine Verantwortung man trägt.“ William A. Galston hat den Demokraten Bill Clinton beraten, er schreibt aber auch regelmäßig Kolumnen für das „Wall Street Journal“, das publizistische Flaggschiff der Börse. Ein Politikwissenschaftler, der die ganz feine Klinge schlägt, scharf in der Analyse, bisweilen ironisch im Ton. Im Auditorium der Brookings Institution, des liberalen Thinktanks, für den er forscht, nimmt er Trumps 100-Tage-Auftakt unter die Lupe. „Vorsicht“, schickt er seinem Befund voraus, „der Mann will unbedingt zu den Gewinnern gehören, das überlagert im Zweifelsfall all anderen Instinkte“. Ideologiefrei, wie er nun mal sei, könnte Trump je nach Thema einfach auf den Kurs einschwenken, der nach Umfragen am besten ankomme. Er kenne nur wenige US-Präsidenten, die nicht mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen hatten, doziert der Professor. In der jüngeren Geschichte der Republik seien nur drei gut aus den Startlöchern gekommen, Franklin D. Roosevelt, Ronald Reagan und Barack Obama. John F. Kennedy hatte es gleich zu Beginn mit der Invasion in der Schweinebucht auf Kuba zu tun, die seine Geheimdienste als Spaziergang verkauft hatten und die dann kläglich scheiterte. Bill Clinton, zuvor Gouverneur des belächelten Agrarstaats Arkansas, musste sich erst zurechtfinden auf der großen Bühne. „Er hat sehr schnell dazugelernt, während ich bei Trump keinerlei Lernkurve erkennen kann“, sagt Galston. Trump sei jemand, der sich offenbar nicht mehr ändern könne. Wenn das, was an Splittern über das Leben des 70-Jährigen im Weißen Haus bekannt wurde, ein Bild ergibt, dann ist es das Bild eines Menschen, der – wie schon früher - ausgiebig fernsieht. Setzt er morgens seine ersten Tweets in die Welt, basieren sie oft auf Sendungen, die am Abend zuvor liefen, in aller Regel bei Fox News, dem Hauskanal der Konservativen. Gegen 18.30 Uhr zieht er sich in seine Privatgemächer zurück. Dann hockt er stundenlang vor dem Bildschirm. First Lady Melania bleibt bis Sommer in New York, damit der elfjährige Sohn Barron nicht im Schuljahr die Schule wechseln muss. Und die Stadt, in der er seit drei Monaten wohnt, interessiert Trump offenbar nur am Rande. Ohnehin scheint sich seine Neugier in Grenzen zu halten. Verlässt er abends doch mal das Haus, lässt er sich in aller Regel in ein nach ihm benanntes Luxushotel fahren, gleich um die Ecke. Dort bestellt er, was er schon immer bestellt hat: gut durchgebratenes Steak mit Ketchup. Dass er fast jedes Wochenende in Mar-a-Lago verbringt, seinem Nobelclub in Palm Beach, hat die Finanzhüter auf den Plan gerufen. Jede Reise nach Florida kostet den Steuerzahler rund 3,6 Millionen Dollar, wobei allein eine Flugstunde an Bord der Air Force One mit 180.000 Dollar zu Buche schlägt. Jedes Mal macht der Reisende einen Abstecher zum Trump International Golf Club, eine Viertelstunde von Mar-a-Lago entfernt. Im Durchschnitt spielt er alle 5,9 Tage Golf, hat die „Palm Beach Post“ ermittelt. Obama fuhr, statistisch gesehen, an jedem neunten Tag auf einen Golfplatz. Trump hat ihn einst heftig gescholten wegen seiner Freizeitgestaltung, nur um ihn jetzt noch zu übertreffen. Ansonsten legt Trump auf sonderbare Art gesteigerten Wert auf Nebensächliches. Als er bei Fox erzählte, wie er seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping beim Nachtisch in Mar-a-Lago über seinen Raketenangriff auf eine syrische Luftwaffenbasis informierte, schwärmte er vom „schönsten Stück Schokoladenkuchen, das Sie je gesehen haben“. Was sich der Kandidat vorgenommen hat für die ersten 100 Tage im Amt, ließ er im Oktober auf zwei Seiten drucken, geschmückt mit einem Foto, auf dem er die rechte Hand aufs Herz hält. Zehn Gesetze wollte er unterzeichnet oder doch zumindest angeschoben haben, von einer Infrastrukturnovelle über die Finanzierung des Mauerbaus bis hin zu einer Ethikreform, um, „den Sumpf Washington trockenzulegen“. „Donald Trumps Kontrakt mit dem amerikanischen Wähler“: heute liest es sich wie ein Märchenbuch. Galston, der Professor, der Clinton beriet, wartet nun auf das, was er den Marx-Brothers-Effekt nennt. Trump, sagt er, verkünde ein ums andere Mal, dass jetzt alles großartig werde. Die Frage sei, wann sich das abnütze. Im Wahlkampf versprach er großartige Krankenversicherungen für alle, doch als es konkret wurde, merkten viele seiner Anhänger, dass sie mit Trumps Entwurf schlechter dastehen würden. „Wann also tritt der Marx-Brothers-Effekt ein?“, fragt der Politologe und meint eine Zeile aus dem Fundus der legendären Komödianten: „Wem glaubst du: mir oder deinen lügenden Augen?“ Wenn die eigene Erfahrung dem widerspreche, was Trump hinausposaune, beginne vielleicht auch unter dessen Fans eine Absetzbewegung, orakelt Galston.

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