Kaiserslautern Vergiss dein nicht

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Ein Gedankenblitz durchzuckt den Fisch: „Ich habe Eltern!“ Dorie, das blaue Paletten-Doktorfischweibchen, ist ganz aufgeregt: „Ich muss sie finden!“ Doch zehn Sekunden später hat Dorie alles wieder vergessen. Wie immer. Bis zur nächsten blitzschnell wieder verschwundenen Eingebung. In „Findet Dorie“, der neuen Pixar-Animation auf Oscar-Kurs, erleben Fisch und Fan solche Flashs in flottem Wechsel.

Nemo, der Clownfisch, rührte 2003 unsere Herzen. Dabei wussten wir vorher gar nicht, was ein Clownfisch ist. Der kleine orangene Fisch kam im Weltmeer abhanden und erlebte tolle Abenteuer, während Vater Marlin und eine Zufallsbekanntschaft namens Dorie ihn suchten. Und natürlich nach turbulenten Szenen zum Lachen und Weinen fanden. „Findet Nemo“ war eine wunderschöne Animation. Sie bekam den Oscar. Natürlich. Und blieb für immer in unseren Herzen – und Nemo als Gummi-Badetier in der heimischen Wanne. Nun bekommt Dorie ihren eigenen Film, der natürlich mit dem ersten zu tun hat. Wieder schrieb Andrew Stanton das Buch und führte Regie (mit Co-Regisseur Angus MacLane, der schon bei „Wall-E“ und „Die Monster AG“ mitarbeitete). Aber 13 Jahre sind eine lange Zeit. Die Zuschauer, die „Findet Nemo“ als Kind sahen, haben heute andere Interessen. Bleiben die Erwachsenen von damals – und neue Kinder. Um beide anzusprechen, findet das Pixar-Studio erneut den richtigen Dreh: eine Variante, die im Jahr 2004 spielt und den früheren Sidekick Dorie jetzt als Hauptfigur allein umherschwimmen lässt: Weibchen statt Männchen, blauer Fisch statt orangener Fisch, und wie immer sind die Nebenfiguren das Schönste. Dorie ist behindert, ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht. Alle zehn Sekunden vergisst sie, was gerade geschehen ist und was sie will. Vor allem, dass sie Eltern hat und diese suchen will. Bis sie wieder einen Schub bekommt, einen Flash, und sie sich plötzlich wieder an ein Detail aus der Vergangenheit erinnert. Kann es schönere Rückblenden geben? Bei der Suche nach den Eltern helfen ihr Nemo und sein Vater Marlin, die sie immer wieder daran erinnern, wen sie suchen will. Ohne Freunde geht nichts im Animationsfilm, das war schon früher bei Disney so und ist heute noch eins der drei Elemente, die Disney-Filme – Pixar wurde 2009 von Disney gekauft – so beglückend machen. Weitere Helfer sind ein Oktopus (oder besser Septopus, denn ihm fehlt ein Tentakel, also noch eine beeinträchtigte Figur), ein kurzsichtiger Walhai, ein etwas tollpatschiger Vogel, zwei Seelöwen auf einer Mini-Insel und sogar ein Zahnarzt. Denn die Fische landen auch in der Menschenwelt, im meeresbiologischen Institut. Dort bekommt Dorie eine Identifizierungsmarke und landet in einem runden Fischglas, das ihr Tintentisch-Freund mit seinen Tentakel durch die Menschenwelt transportiert, bis sie endlich wieder im Wasser ist. Die Geschichte ist wild und atemberaubend, voller Gags und überschäumender Fantasie. Dabei plappert Dorie fast permanent munter drauf los (gesprochen von Anke Engelke, was durchaus nervtötend sein kann), sie redet mit sich und mit allen anderen. Sie ist spontan und neugierig und lässt sich zu allem Möglichen verleiten. Das gefällt den Kindern im Kinosaal. Ebenso, dass Dorie dauernd Fragen stellt: „Was will ich?“, „Ich habe Eltern?“, „Hallo, wer bist du?“ Natürlich findet sie irgendwann ihre Eltern. Disney-Filme haben immer ein Happy End. Das weiß man. Darum geht es auch nicht, sondern um das Staunen und das Lachen, um Glücksgefühle. Und die bietet „Findet Dorie“ mehr noch als „Findet Nemo“. Das leuchtende satte Blau und das liebreizende Gesicht von Dorie sorgen allein schon dafür, dass man sie nett findet und ihr gerne folgt. Sie ist genauso naiv wie Nemo, aber hübscher, erwachsener und mutiger. Ihr Defekt, das fehlende Gedächtnis, macht sie noch sympathischer und sorgt dafür, dass sich viele Zuschauer mit ihr identifizieren können. Denn wer ist schon perfekt? Dorie wird sogar zum Vorbild für andere Fische, die sich oft fragen „Was würde Dorie tun?“, wenn sie versuchen, sich aus einer verfahrenen Situation zu befreien. „Findet Dorie“ ist auch ein Integrationsfilm, der voll auf der Inklusionswelle schwimmt und auf die Freudentränendrüse drückt, weil er noch einen Tick gefühlvoller geraten ist als „Findet Nemo“ – und auch optisch immer verzückt. Die Korallen, Algen und Fischschwärme sind eine Augenweide: Computer-Animation auf der Höhe der Zeit. Nur die Menschen sind – wie immer – nicht so faszinierend wie die Tiere. Leuchtende Farben, pulsierende Bewegungen, Flash-Effekte und eine ungemein plastische Darstellung (auch in der 2D-Fassung) sorgen dafür, dass die durchaus ernsten, nachdenklichen Momente, die der Film hat, nicht überhand nehmen, und die Lebensfreude als treibendes Moment wirkt. Und: Kommen Sie nicht zu spät ins Kino. Die vorab zu sehende dialoglose Sechs-Minuten-Animation „Piper“ über ein Strandläufer-Küken, das lernt, seine Angst vorm Wasser zu überwinden, ist auch sehenswert.

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