Kultur Tagtraumzone

Wer fit sein will, muss schlafen. Also legt sich unser Autor nach dem Mittagessen mal hin, in einem Schlafstudio. So was gibt’s in Berlin. Bei „Nickerchen“ kosten 20 Minuten Pause fünf Euro. Der Tee danach wird gratis serviert.

Pasta mit Gorgonzolasoße beim Italiener um die Ecke. Es ist 12.30 Uhr. Der Blick trübt sich. Die Gedanken schweifen ab. Der Kopf wird schwer. Ich trotte zurück ins Büro. Dort warten schon drei freche Halunken auf mich: gestatten, das Mittagsloch, das Suppen-Koma und die Heimlich-Siesta. Sie setzen sich schwer auf meine Schultern, lassen mich gähnen und lenken mich von meiner Arbeit ab. „Ein Schläfchen wäre jetzt genau das Richtige“, raunt mir das Mittagsloch ins Ohr, und die beiden anderen Flegel grinsen breit. Nein, kommt nicht in Frage, wehre ich ab. Die Arbeit muss schließlich erledigt werden. Das Telefon klingelt ständig, die Kollegen gehen ein und aus, ein Text ist erst halbfertig geschrieben. Wie soll man da Ruhe finden? Da schwebt der Geist von Arthur Schopenhauer durch den Raum: „Schlaf ist für den Menschen, was das Aufziehen für die Uhr“, deklamiert der Philosoph. Wie recht er doch hat. „Gönne dir einen Augenblick der Ruhe und du begreifst, wie närrisch du herumgehastet bist“, säuselt der chinesische Gelehrte Laotse. Ach, diese klugen Dichter und Denker, sie haben ja so recht. Also mache ich mich auf. Meine leere Batterie muss aufgeladen werden. Denn den Seinen gibt es der Herr ja bekanntlich im Schlaf. Eine Viertelstunde zu Fuß vom Büro entfernt stehe ich in der Zimmerstraße in Kreuzberg vor der Tür meiner Träume: „Nickerchen“ – Berlins erstes Schlafstudio. Mein Schlummerparadies, mein Döse-Laden, meine Tagtraumzone. Hier treffen sich müde Großstädter zum Zwischenschläfchen, um danach entspannt und kreativ wieder an die Arbeit zu gehen. Kaum hat mich Besitzerin Irina Ivachkovets begrüßt, deutet sie auf meine Schuhe: Ich möge sie doch bitte ausziehen und in das kleine Regal an der Tür stellen. Sie reicht mir Frotteelatschen in – ähem – Lila. Alle Räume sind mit einem flauschigen Teppich ausgelegt, das dämpft die Geräusche. Kurz weist mich Irina in die Gepflogenheiten des gezielten Abnickens ein: idealerweise nicht länger als 20 Minuten schlafen, sonst droht die Tiefschlafphase, aus der man meist nur noch müder und benommener erwacht. Nach dem Wecken kann man noch ein bisschen liegen bleiben und zu sich kommen, danach gibt’s eine Tasse Tee auf dem Sofa im Vorraum. Irina zeigt mir die zehn geräumigen Kojen, die durch weiße, fließende Vorhänge abgetrennt sind. Orthopädische Matratzen sollen für angenehme Ruhe sorgen. Jede Koje nennt die Schlafexpertin „Wolke“. Natürlich will ich in „Wolke 7“ – was nicht sehr originell ist. „Da wollen alle rein“, schmunzelt Irina. An der Wand steckt ein kleiner Ast in einem Glas-Zylinder. „Den habe ich vom Tiergarten bis hierher geschleift“, sagt Irina mit einem Lachen. Die 35-jährige Unternehmerin ist studierte Kulturwissenschaftlerin und Betriebswirtin sowie ausgebildete Massagetherapeutin. Sie jettete als Messe-Projektleiterin durch die Welt und vermisste vor allem eins: den kurzen, kräftespendenden Mittagsschlaf. Zur Not, wenn die Buchstaben auf dem Display verschwammen, rollte sie in ihrem Büro eine Yogamatte aus. Jetzt lässt sie andere schlafen. Damit verdient sie ihr Geld. 20 Minuten auf der Liege kosten fünf Euro. Gegen Aufpreis gibt’s Rücken- oder Kopfmassagen und „Hot-Stone-Muskel-Tiefenentspannung“. Wir unterhalten uns leise, was eigentlich gar nicht notwendig ist, weil alle Kojen gerade leer sind und ich buchstäblich einen ruhigen Tag erwischt habe. Aber Irina kennt das Phänomen des Flüsterns: „Wer Ruhe sucht, ist bereit, anderen Ruhe zu gewähren.“ Und zur Not gibt es auch Ohrstöpsel. Kurz nach der Eröffnung war das „Nickerchen“ ausgebucht. Einige Kunden haben begeistert Zehner-Karten gekauft, viele Mitarbeiter des nahe gelegenen Springer-Verlags sind öfter da. Vom Checkpoint Charlie, dem ehemaligen DDR-Grenzübergang, kommen ermattete Touristen. Nach mir erwartet Irina noch drei Schweizer Business-Leute, die von ihrem Chef den Mittagsschlaf in der Großstadt bezahlt bekommen. Umgekehrt haben auch schon Mitarbeiter ihrem Chef einen Gutschein fürs „Nickerchen“ geschenkt. Irina findet das sehr weitblickend: „Ist der Chef entspannt, sind es auch die Mitarbeiter.“ In meiner „Wolke“ strecke ich mich auf der Matratze aus. Eine leichte Baumwolldecke wärmt. Sphärische Klänge dringen leise in mein Ohr, von den Geräuschen auf der Straße ist nur wenig zu hören. Ab jetzt läuft die Uhr, denke ich, und das ist schon ein falscher Gedanke. Bloß kein Stress beim Abnicken, hat mir Irina eingeschärft. Man muss nicht schlafen. Dösen allein ist auch nicht verkehrt. Also döse ich, und tausend Gedanken flitzen durch den Kopf. Die Arbeit lässt mich noch nicht los auf der Liege. Ich weiß, dass ich hier nicht schlafen kann. Ich. Schlafe. Hier. Nicht. Nein. Nein. Nein. Irina berührt kurz meine Waden, ich wache auf. „Ich wollte nur sagen, dass die 20 Minuten vorbei sind.“ Ach was, hatte mich doch gerade erst hingelegt. Bei Pfefferminztee und verspäteten Weihnachtsplätzchen sitze ich auf dem Sofa. Der Schlaf ist doch eine köstliche Erfindung, denke ich. Der Kopf ist leicht, die Laune gehoben. Auf dem Rückweg holt mich der Alltag schnell wieder ein. Fast pralle ich mit einem liebenswerten Zeitgenossen zusammen, als ich um die Ecke biege. „Hassu Stress, Alder?“, ruft er mir nach. Ich? Nö.

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