Rheinpfalz Oh, ein Horn

Das Einhorn ist verdammt hartnäckig. Ob auf Tassen, Kondomen, Schlüpfern oder Schokoladenverpackungen – schon ziemlich lange ist das gehörnte Wesen fast überall zu sehen. Weder Flamingo noch Eule konnten es ablösen. Weil das Einhorn einfach so ist, wie wir alle sein wollen: einzigartig. Von Schnuckelkeks* Sei immer du selbst. Außer du kannst ein Einhorn sein. Dann sei ein Einhorn. Uralte Facebook-Weisheit Pink + Glitzer + Regenbogen + Horn + superflauschig = haben will. Sofort. Wir sind verrückt nach Einhörnern. Und das nun schon sehr lange. Verrückt nach den Fantasiewesen, die bereits vor Hunderten von Jahren die Menschen verrückt gemacht haben. Obwohl sie nicht wirklich existieren. „O dieses ist das Tier, das es nicht giebt“, dichtete einst der Lyriker Rainer Maria Rilke über das Fabeltier mit dem pferdeähnlichen Leib und den gespaltenen Hufen, das immer ein langes, spitzes Horn auf der Stirnmitte und manchmal auch ein süßes Bärtchen hat. Ein bisschen Pferd, ein bisschen Ziege, ein bisschen Nashorn. Ein eigenartiges Etwas, das in jedem lifestyleaffinen Haushalt einfach vorkommen muss. Im Deko-Bereich gibt es immer mal wieder Tiere oder Symbole, die über Nacht zum Trend werden. Vor einiger Zeit waren das zum Beispiel der Fliegenpilz und alles, was rot-weiß gepunktet war. Gefolgt von Eulen und Matroschkas. Dann kam kurz der Fuchs, der wiederum vor zwei Jahren oder so vom Flamingo abgelöst wurde. Daneben existierte dann auch mal die Ananas. Aber ein Motiv gibt’s nun schon verdächtig lange: das Einhorn. Und die Unicorn-Manie wird immer verrückter. Das edelste aller Fabeltiere galoppiert durch die europäische Kulturgeschichte. Es taucht in der Antike auf, im Alten Testament, in mittelalterlichen Arzneibüchern, auf Gemälden von Künstlern wie Raffael und Hieronymus Bosch, in Dramen von Shakespeare und im Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ der Brüder Grimm. Und auch im 21. Jahrhundert ist es überall. Ob auf Tassen, Bettwäsche, als Hausschuhe, Whatsapp-Emoji oder Duschhäubchen – auf Schritt und Tritt verfolgt es uns. Im Netz gibt’s sogar eine Seite, auf der man sich einen Einhorn-Namen generieren lassen kann: auf www.kotzendes-einhorn.de Vor- und Nachname eingeben – und schon wird Schillerndes wie Tränenflausch, Glitzerwölkchen oder Regenbogenmäulchen ausgespuckt. Bei Facebook preist die Supermarktkette Netto ihre Croissants als „Einhörnchen“ an – inklusive Serviervorschlag: auf glitzerndem Regenbogen. Auch Kondome mit Einhorn-Verpackung sind erhältlich, die dank lustiger Produktbezeichnungen wie „Der goldene Stich“ und „Spermamonster“ gut ankommen. Der Drogeriemarkt dm hat Einhorn-Duschgel im Angebot („duftet nach Sternchen und Wölkchen“). Ritter Sport hat bis vor Kurzem Einhorn-Schokolade produziert („quadratisch, magisch, gut“). Ja, auch das ist zu haben: ein Gin-Likör-Mix mit „Einhorn-Tränen“, die aus Echtsilberstückchen bestehen. Und in hippen Restaurants werden kunterbunte Einhorn-Shakes serviert, etwa bei „Lenok’s Burger“ in Mannheim. Was drin ist? Lolli, Yogurette, Glitzerzuckerwatte und Regenbogen-Fruchtgummi-Bänder. Auch in der Pfalz ist das Einhorn auf dem Sprung nach oben. Der Neustadter Bildhauer Gernot Rumpf zum Beispiel hat ein gehörntes Wesen für seinen Dorfbrunnen in Herxheim gestaltet – und zwei Einhorn-Figuren, die in Speyer bewundert werden können. Das Örtchen Winterborn im Norden der Pfalz hat das Fantasiewesen im Wappen. Und in Landau werden Einhorn-Partys gefeiert. Darüber hinaus gibt es nicht nur in Ludwigshafen, Frankenthal und Speyer Einhorn-Apotheken, sondern auch Magisches in der Weinbranche. Das Weinkontor im südpfälzischen Edenkoben, die ehemalige Winzergenossenschaft, hat Einhorn-Secco im Angebot. „Auch, weil wir selbst drauf abfahren“, sagt Matti Berger vom Vertrieb, der sich den Rosé-Perlwein mit Einhorn-Etikett und Verschluss in Pink zusammen mit einer Kollegin ausgedacht hat. Auch beim Weingut Pfeffingen aus Bad Dürkheim taucht das Einhorn auf – im Familienwappen und auf den Flaschenetiketten. Und das Weingut Markus Schwaab aus Kirrweiler bei Neustadt, das ebenfalls ein Einhorn im Wappen hat, wirbt auf der Homepage: „Das Einhorn steht als Symbol für alles Gute – und damit auch für guten Wein.“ Warum der ganze Hype ums Horn? Vielleicht, weil wir so in eine Welt fliehen können, in der alles Friede-Freude-Zuckerwatte ist. Eine ganze Generation identifiziert sich mit Einhörnern. Die Generation, die einfach nicht erwachsen werden will. Die träumen will. Die in einer Welt leben möchte ohne Kummer, ohne Sorgen, dafür mit viel Feenstaub und Regenbögen. In Kombi mit Girlie-Farben und Glitzer erinnern uns die gehörnten Wesen an unsere unbeschwerte Kindheit, an den Film „Das letzte Einhorn“ und an die Pferdchen von „My Little Pony“, die Twilight Sparkle, Pinkie Pie und Cup Cake heißen. Und auch die Jüngeren werden infiziert – durch den Minions-Film „Ich – einfach unverbesserlich“, in dem die kleine Agnes unbedingt ein Einhorn aus Plüsch zum Knuddeln haben will – weil es „sooooo flauschig“ sei. Das Einhorn – unser Objekt der Begierde. Wie damals in der Antike, in der die Leute davon ausgingen, dass es die Mischwesen wirklich gibt. Nur mithilfe einer Jungfrau, so heißt es, soll es möglich gewesen sein, Einhörner zu fangen. Einhorn hier, Einhorn da, Einhorn dort. „Es ist einfach irre“, sagt Jochen Hörisch von der Mannheimer Uni über den Horn-Hype. Er beschäftigt sich nun schon seit den Achtzigern mit dem Einhorn. Gibt’s das – oder gibt’s das nicht? Diese Frage, ähnlich wie beim Yeti, fasziniere viele Leute, weiß der selbst ernannte Unicornologe. Der Medienwissenschaftler hat ein Einhorn-Buch mit dem Titel „Das Tier, das es nicht gibt“ herausgegeben und sammelt Kunst, die mit Einhörnern zu tun hat – darunter Skulpturen und ein fast zwei Meter langes Horn, das in einer Trophäenkiste liegt. Hörisch findet es zwar „schrecklich, wie das Einhorn verkitscht wird“, hat aber selbst auch Kitschiges daheim: „Ein plüschiger Einhorn-Kopf in Weiß hängt an unserer Wand – zum Entsetzen meiner Frau.“ Der Unicornologe ist sich sicher, dass irgendwann irgendjemand ein Einhorn züchten wird. Und dass der Horn-Hype noch lange anhalten wird. Glück gehabt: Wir können uns also weiterhin mit Glitzer-Klopapier und Regenbogen-Wein eindecken, um unserem Ziel näherzukommen. Unserem Ziel, so zu werden, wie wir sein wollen: einzigartig. Wie das Einhorn. * Schnuckelkeks ist schnuffig, oder? Der Autor hat seinen Namen durch den Einhorn-Namen-Generator gejagt. Außerhalb der Glitzer-Regenbogen-Welt heißt er Jan Peter Kern.

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