Kaiserslautern Mensch strebt zur Paarbeziehung

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„Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie“, lautet der Titel eines Buches von Friedemann Karig. Die Forschung sagt etwas Anderes. Am Dienstagabend hat die Ringvorlesung der Uni Koblenz-Landau in Landau zum Thema „Das süße Wort: Ich liebe dich“ begonnen.

Sehr herrliche Veranstaltung. Der Festsaal der Uni-Landau Disco-voll, „A65“-mäßig, also in besseren Zeiten. Studierende, standorttypische weibliche Dominanz. Fachbereich-sechs-Hautevolee. Bürger wie der Bürgermeister Maximilian Ingenthron (SPD), der ein, nein, das Ü-50-Liebesgedicht von Erich Fried rezitiert, „Nicht nichts ohne dich“ et cetera. Ein technisch begabter Theologe schraubt herzallerliebst an den Mikrofonen herum. Der vife Dekan Lothar Blum spricht aufmunternd Aufmunterndes und hat eine sehr bunte Krawatte an. Irgendwann an diesem Dienstagabend geht es um die Kokosnuss-dicken Hoden der Bonobos. Mit einschüchterndem Bildbeweis übrigens. Das Licht wird für den Anblick des hingefläzten Affen extra gedimmt. Gehüstel im Publikum. Auf scheint dann der moderne Homo sapiens als selbstbestimmte treue Seele. Zum Abschluss Weck, Wasser und Wein im Foyer. Was soll man sagen? Die Ringvorlesung ist mit dem Auftritt des Soziologieprofessors Thomas Müller-Schneider sehr vielversprechend angelaufen. „Verschwindet die Paargesellschaft? Liebe und menschliche Natur im Zeitalter der Glücksuche“, Müller-Schneider laboriert am Thema des Abends seit 15 Jahren beinahe monogam. Verheiratet ist er auch. Ein grundsympathischer Mann, der mit sonorer Stimme – in akademischen Kreisen – riskante Thesen vorträgt. Eine leise biologistische Argumentation, die Gesellschaftstheorie und Hirnscans übereinanderlegt, immer auch am Rande der „Kompetenzüberschreitung“, wie er meint. „Wir sind keine kulturellen Deppen“, sagt Müller-Schneider irgendwann. Bei den Soziologen scheint die Auffassung allerdings umstritten zu sein. Für seine Studien hat der – seit 2003 – Landauer Professor über 10.000 Studierende in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Und als Kontrollgruppe eine Stichprobe der Karlsruher Bevölkerung. Betreff: ihr Liebes- und Sexualleben, das – ah, Love-Ding. Wie viele Partner wünschen Sie sich im Leben? Hatten Sie in den vergangenen vier Wochen Sex? Mit wem? Wie war’s? So was. Ergebnis: Eine allumfassende Spießigkeit, Monogamie-Umarmung, „Werther“-mäßige Ewigkeitsbeschreiung, Exklusivitätsfeier bei den jungen wie den anderen Leuten. Die Alt-Achtundsechziger müssten sich vorauseilend im Grabe umdrehen. 80 Prozent der Befragten jedenfalls wünschen sich laut Müller-Schneider eine Paarbeziehung. 12 Prozent sind an etwas Festem mit gelegentlicher Untreue „interessiert“. Nur zwei Prozent möchten mit mehr als einer Person gleichzeitig zusammen sein, zwei Prozent möchten ausschließlich Sex. „Wenn man fragt, heißt es bei der Mehrheit immer: monogame feste Beziehung auf Lebenszeit. Punkt“, sagt der Professor. 66 Prozent seiner Probanden ersehnen sich für ihr ganzes Leben nur die/den eine(n) Einzige(n), jemals. Nur ein Prozent will gar keine feste Beziehung. Nie. „Sex ist das Monopol der festen, exklusiven Beziehung“, hat der Forscher herausgefunden. Und: Die körperliche Liebe wird mit einem festen Partner als erfüllender empfunden. Neun Prozent der als Paar Lebenden und 72 Prozent der Singles seiner Studie hatten in den vergangenen vier Wochen null Sex, 15 Prozent ein sexuelles Verhältnis, 13 Prozent eine sexuelle Begegnung. Aber die beiden letztgenannten Gruppen wünschen sich mehrheitlich, dass mehr daraus wird. Alles tendiert zur Zweierbeziehung, nicht zuletzt auch die Evolution. Und offensichtlich. Warum? Bei den in Harems organisierten Gorillas, so Müller-Schneider, seien die Männchen fast doppelt so groß, da sie ihre Weibchen vor Konkurrenten schützen müssten. Beim Menschen gäbe es diese gravierenden Unterschiede nicht. Und im Vergleich zu dem auf hohe Promiskuität hindeutenden Hodengewicht der Bonobos trage der Homo sapiens Erdnüsse mit sich herum. Trotzdem werde ihm Bonobohaftigkeit unterstellt. Die wild kopulierende Schimpansenart benutzte den Sex als Sozialkitt in der Gruppe. Der Mensch hat die Eifersucht, die die soziale Ordnung der Liebe kontrolliert. Sie sei, sagt Müller-Schneider, in der Evolution aus Angst vor Ressourcenverlust entstanden. Zum Schutz vor Kuckuckskindern beim Mann, bei der Frau sei es um den Versorgungsaspekt gegangen. Müller-Schneider hat, sehr kurz zusammengefasst, bei seinen Studien in unseren Hirnen einen „Guru“ lokalisiert. Er gratifiziert die Zweisamkeit. Ein Belohnungssystem auf Hormonbasis für die ohnehin universell und zu allen Zeiten in Literatur, Dichtung und auf Tonscherben tradierte Eins-zu-Eins-Liebe. Zusätzlich angefeuert durch unseren freien Willen. Was demnach wirklich rockt in der modernen Gesellschaft – gerade in säkularen Sexdateportal- und Multioptionszeiten -, so er: glücklich machende Monogamie. „Wir streben nach einem Optimum von Glück“, sagt Müller-Schneider. Eingeschlossen die Liebe. Die These sei die, dass es sich lohnt, eine Liebespartnerschaft aufzubauen. Denn wie Forschungsergebnisse zeigten, sei das Liebesleben in einer Paarbeziehung immer um Längen besser und glücklicher als bei Menschen, die einfach nur Sex hätten. „Für unser Liebesleben ist eine Paarbeziehung also das größtmögliche Glück, das wir erreichen können“, sagt Müller-Schneider. Fazit: Romantik wird aus Vernunftgründen angestrebt. Und weil wir Glückssucher es so wollen. Und wegen der Biologie. Und weil es Novalis gab. Und weil uns Männern enge Hosen passen. Der Reporter fährt nachdenklich nachhaus. Am 2. Mai referiert dann als nächstes Dekan Lothar Bluhm über die Untertöne der Liebe in der deutschen Literatur. Informationen Die Ringvorlesungen finden dienstags, 18.15 bis 19.45 Uhr, im Festsaal der Universität in der Bürgerstraße 23 statt. Eintritt ist frei. Programm: www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2017/ringvorlesungfb6

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