Kultur Luther-Ausstellung feiert Ideen des Theologen

Einer von 95 Schätzen: Luthers „Schreibkasten“ vom Beginn des 16. Jahrhunderts.
Einer von 95 Schätzen: Luthers »Schreibkasten« vom Beginn des 16. Jahrhunderts.

Wenn nicht hier, wo sonst? Wittenberg ist der Schauplatz der dritten nationalen Sonderausstellung zum Reformationsjahr. Die Stiftung Luthergedenkstätten richtet in der Stadt an der Elbe zum Ehren des Reformators die Schau „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ aus. Sie will Luther ehren und zugleich anschaulich machen, wie seit 500 Jahre Menschen in aller Welt von ihm inspiriert werden.

Am 31. Oktober 1517 richtete ein bis dahin nicht auffällig in Erscheinung getretener Wittenberger Theologieprofessor und Mönch einen Brief an Kardinal Albrecht, den höchsten geistlichen Würdenträger des Heiligen Römischen Reiches. Anlass des Schreibens waren die im Namen des Kardinals vertriebenen Ablassbriefe, die den Käufern die Verschonung vor dem Fegefeuer versprachen. Der Absender beklagte „das grundfalsche Verständnis, dass die unglücklichen Seelen glauben, wenn sie Ablassbriefe lösen, seien sie ihres Heils sicher.“ Dem Schreiben legte er seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel bei und unterschrieb mit „Euer unwürdiger Sohn Martinus Luther, Augustiner, berufener Doktor der heiligen Theologie“. Sein tatsächlicher Familienname war „Luder“. Mit „Luther“ unterzeichnete er nun erstmals, abgeleitet vom griechischen Wort „eleutheros“ : der durch das Evangelium frei Gewordene. Luthers 95 Thesen lösten bekanntlich die Reformation aus. Deren 500. Jubiläum begeht Wittenberg, wo der Reformator 35 Jahre lang lebte, mit einer großen Ausstellung im Augusteum. Eines ihrer Glanzstücke ist eben jener Brief an Kardinal Albrecht. Der erste Teil der Schau präsentiert „95 Schätze“. Zu ihnen gehören Objekte, die Luther besessen, benutzt oder gesehen hat. Der zweite Teil belegt mit Zitaten und Gegenständen von „95 Menschen“ die Wirkungsgeschichte Luthers. Anhänger und Gegner kommen zu Wort. Der Künstler Albrecht Dürer (1471-1528) fragte nach Luthers Scheinentführung 1521 entsetzt: „O Gott, ist Luther tot, wer wird uns fortan das heilige Evangelium so klar vortragen?“ Der Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955) bekannte: „Das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, erregte meine instinktive Abneigung.“ Der inzwischen als Papst zurückgetretene Joseph Ratzinger (Jahrgang 1927) stimmt immerhin in einem zentralen Glaubenspunkt mit dem Reformator überein: „Von Luthers Glaubenserfahrung her liegt der Schwerpunkt auf der gnädigen Zuwendung Gottes.“ Bevor Luther zur Einsicht der Gnade Gottes gegenüber den gläubigen Menschen kam, hatte er, wie die Mehrheit seiner Zeitgenossen, Angst vor dem Jenseits. Angst, Gott nicht zu genügen. Angst, vor dem Weltenrichter Christus nicht bestehen zu können. Diese Atmosphäre der Angst veranschaulicht die Schau etwa mit der Statuette des in eine Mönchskutte gehüllten Todes, der sich gestikulierend und mit schief gelegtem Kopf an seine Betrachter zu wenden scheint. Die Menschen suchten Zuflucht bei den Heiligen, die sich für sie vor Gott verwenden sollten. Ausgestellt ist eine Statuette der „Heiligen Elisabeth“ (um 1510) mit Brot und Krug in den Händen. Luther nannte sie in einem Brief „Unsere Heilige“. Er schätzte sie als Vorbild tätiger Nächstenliebe, lehnte jedoch den Heiligenkult als Verstoß gegen das erste Gebot ab: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Den dramaturgischen Höhepunkt der Schau bildet die Abfolge dreier Schriftstücke. Neben einem Exemplar der von Albrecht von Brandenburg vertriebenen Ablassbriefe liegt Luthers Beschwerdebrief an den Kardinal. Auf sie folgt Luthers mit tintenschriftlichen Überarbeitungen versehenes Handexemplar des Neuen Testaments (um 1544). Aufgeschlagen ist die Seite mit einer Notiz seines Privatsekretärs Georg Rörer. Die legt nun nahe, dass Luthers ebenso berühmter wie bezweifelter Thesenanschlag an die Tür der Wittenberger Schlosskirche tatsächlich stattgefunden hat. Rörers lateinischer Eintrag lautet: „Im Jahr 1517 am Vorabend von Allerheiligen (31. Oktober) sind in Wittenberg an die Türen der Kirchen Martin Luthers Thesen über den Ablass öffentlich angeheftet worden.“ Stefan Michel gibt jedoch im Ausstellungskatalog zu bedenken: „Als problematisch an diesem historischen Datum stellt sich dar, dass keiner der späteren Berichterstatter persönlich dabei gewesen war.“ Das gilt also auch für Rörer und Luthers engsten Mitstreiter Melanchthon, der sich erst 1518 in Wittenberg einfand. Es darf also weiter diskutiert werden. Bilder und Objekte machen auch auf Luthers Mitreformatoren, Beschützer und Gegner aufmerksam. Die farbige Illustration einer Prachthandschrift (um 1520) zeigt Papst Leo X., der sich vor dem Beginn der Messe feierlich die Pontifikalschuhe anziehen lässt. Simon Francks Gemälde stellt „Kardinal Albrecht von Brandenburg als Heiligen Martin“ (1524) dar, der einem Bettler Geld spendet. Ein Werkstattmitarbeiter Barthel Behams schuf das „Bildnis des Kaisers Karl V.“ (nach 1531). Lucas Cranach der Jüngere malte „Johann Friedrich von Sachsen und die Wittenberger Reformatoren“ (um 1543). Die Fäuste um die Knäufe von Schwert und Dolch gelegt, präsentiert sich der Kurfürst als Beschützer von Spalatin, Luther und Melanchthon. Aus dem Besitz Melanchthons stammt ein so genanntes „Nürnberger Ei“. In diese Taschenuhr ist sein Name, die Jahreszahl 1530 und das Bekenntnis „Gott. Alein die Ehr“ graviert. Als einer der herausragenden privaten Gegenstände aus Luthers Leben gilt ein zusammenklappbarer Reiselöffel (um 1525). In ihn sind der gekreuzigte Christus und Texte graviert, etwa „Ist Gott mit uns, wer könnte wider uns sein“. Luther schenkte das gute Stück Caspar Aquila, der einer seiner Mitarbeiter bei der Übersetzung des Alten Testaments war. Ein kleines Rundbild aus der Werkstatt des älteren Cranach zeigt Katharina von Bora (um 1525). Luther, der erst 1524 seine Mönchskleider abgelegt hatte, heiratete die ehemalige Nonne im Jahr darauf. Die aus Sicht der Papstkirche skandalöse Priesterehe verlief harmonisch. Das bezeugt das Testament vom 6. Januar 1542, das der an Steinen, Herzproblemen, schmerzhaftem Ohrensausen, Gicht, Ohnmachtsanfällen und Depressionen leidende Luther vier Jahre vor seinem Tod verfasste. Entgegen der gängigen Rechtspraxis setzte er seine Ehefrau als alleinige Erbin und Vormund der Kinder ein. „Darüber hinaus entwarf er sich selbst als Epochenfigur, die eine neue Zeit begründet hatte.“ Das merkt Stefan Rhein an, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Denn im Testament bescheinigt sich Luther, „Lehrer der Wahrheit“ sowie „Gottes Notarius und Zeuge“ zu sein. Die Ausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, bis 5. November m Augusteum Wittenberg, montags bis freitags 9-18 Uhr, samstags und sonntags 10-16 Uhr; Katalog (Hirmer) 29,90 Euro in der Ausstellung, 39,90 Euro im Buchhandel; Internet: www.3xhammer.de und www.martinluther.de.

Noch ein Schatz: eine Taschenuhr aus dem Besitz Philipp Melanchthons.
Noch ein Schatz: eine Taschenuhr aus dem Besitz Philipp Melanchthons.
Einer von 95 Luther-inspirierten Menschen: Martin Luther King.
Einer von 95 Luther-inspirierten Menschen: Martin Luther King.
Lutheraner: Apple-Erfinder Steve Jobs (hier ein Macintosh 128k von 1984).
Lutheraner: Apple-Erfinder Steve Jobs (hier ein Macintosh 128k von 1984).
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