Kaiserslautern Hinter den Kulissen der Dating-Apps

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Die Szene spielt auf dem Birkweiler Weinfrühling. Aber das einzige, was man sieht, ist ein Handy und eine Hand – wischend, tippend. Acht Minuten lang, in einer einzigen Einstellung. Das mag banal klingen, ist es aber nicht. „App Affairs“, der neue Kurzdokumentarfilm der Südpfälzerin Linda Klinkhammer und ihrer badischen Freundin Annika Franke, gibt Einblick in die Schwulen-Dating-App „Grindr“.

Jan heißt der Protagonist, der den Zuschauer Anteil an seiner Intimsphäre nehmen lässt. Voyeuristisch ist der Film dennoch nicht. Er beweist das erstaunliche Gespür der beiden jungen Regisseurinnen für heikle Themen. Schon bei ihrer mittellangen Dokumentation „Nach dem Abgrund einfach weiter“ (2015) haben sie die Gratwanderung zwischen allzu Privatem und zu großer Distanz bewundernswert feinfühlig bewältigt. Damals ging es um die Trauerarbeit einer Mutter, die bei einem Autounfall ihren Ehemann und die drei Kinder verloren hatte. Nun widmen sich Linda Klinkhammer und Annika Franke den veränderten Datinggewohnheiten vor allem junger Menschen in Zeiten von „Grindr“ und dem heterosexuellen Gegenstück „Tinder“. „Mann, sieht der gut aus“, schwärmt Jan beim Anblick eines bloßen Oberkörpers, der mit vielen anderen, üppiger bekleideten Bewerbern den App-Bildschirm füllt. Nur um dann ein paar Sekunden später festzustellen: „Das Gesicht ist doch nicht so hübsch, wie ich dachte.“ Reine Oberflächlichkeit? Der Körper als Ware? Oder eine Schutzzone für Schwule, in der sie fernab von Anfeindungen und Vorurteilen ihre Identität leben können? Solche Fragen bleiben bewusst offen. Weder um Bloßstellung noch um Verherrlichung geht es in dem Blick hinter die Kulissen. Sondern um Wahrhaftigkeit – um die registrierende, zum Teil humorvolle Darstellung einer Realität, die vor allem für jene interessant ist, die nicht jeden Tag mit „Grindr“ oder „Tinder“ verbringen. Sozusagen um eine Art anthropologischen Blick auf die eigene Kultur. Alles hängt dabei von der Offenheit und dem Mut des Protagonisten ab. „Wir kennen Jan schon sehr lange“, erzählt Linda Klinkhammer, die den Film zusammen mit ihrer Freundin kürzlich beim Kurzfilmfestival „Shorts at Moonlight“ in Frankfurt vorstellte. Er sei ein offener Mensch und habe sich mit der Idee und auch dem fertigen Film zu jeder Zeit wohlgefühlt. „Tue das, was du immer tust, aber sprich aus, was du dabei denkst“, lautete die Anweisung an Jan. Dann stellte sich das dreiköpfige Team am Rande des Weinfestes eine halbe Stunde lang hinter den Protagonisten. Aus diesem Material wählten die beiden 23-Jährigen die achtminütige Sequenz aus. „Die eigentliche Arbeit steckt in der Vorbereitung“, weist Annika Franke den Verdacht einer einfachen Fingerübung zurück. Monatelang habe man überlegt und diskutiert, wie man die Ausgangsidee, nämlich einen Film über die eigene Generation zu machen, am besten visualisiere und in eine erhellende lange Einstellung packe. Das formale Experiment des Schnittverzichts sei dabei kein Selbstzweck gewesen, sondern inhaltlich begründet. „Wir wissen ja alle, wie leicht man am Handybildschirm hängen bleibt.“ Acht Minuten starrer Blick seien da ja noch vergleichsweise harmlos. Es gibt auch einen ganz praktischen Grund für diese Arbeitsweise. Im Gegensatz zu ihrem mittellangen TV-Film, der auf Anhieb im Ersten und im Bayerischen Fernsehen lief, studieren die beiden nicht mehr gemeinsam an der Bayerischen Akademie für Fernsehen. Die aus Billigheim-Ingenheim stammende Linda Klinkhammer ist an die Münchner Filmhochschule gewechselt. Annika Franke hat sich in Hamburg im Fach Kulturanthropologie eingeschrieben. Gemeinsam arbeiten wollen sie aber weiter. „Das war bestimmt nicht unser letzter Film“, ist sich Franke sicher. Dass die Kooperation zu außergewöhnlichen Ergebnissen führt, fand auch die Auswahlkommission des Frankfurter Moonlight-Festivals. Von 1000 eingereichten Filmen schaffte es „App Affairs“ zusammen mit 76 anderen ins Programm.

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