Kultur Furien der Egomanie

Gerhard Falkner
Gerhard Falkner

Mit seinem furiosen Großstadt-Epos „Apollokalypse“ hatte der Dichter Gerhard Falkner im vergangenen Jahr die Kritiker begeistert. Der Liebesentzauberungsroman „Romeo oder Julia“ knüpft nun an die amourösen Abenteuer des Vorgängerromans an. Er steht auf der sogenannten Shortlist der sechs Finalisten für den Deutschen Buchpreis.

Die rasenden Egozentriker der Liebe, die uns Gerhard Falkner in seinen Romanen vorführt, sind Glückskinder, die keine Beziehungsprobleme kennen. Die Widrigkeiten einer katastrophisch verlaufenden amour fou können ihnen offenbar nichts anhaben. Seine ausschweifungssüchtigen Helden erscheinen als konditionsstarke Meister der Liebeskunst, während deren feurige Gespielinnen irgendwann an den Rand des Nervenzusammenbruchs geraten. In Falkners neuem, äußerst vergnüglichen Liebesernüchterungsroman „Romeo oder Julia“, der sehr zurecht im Finale des Deutschen Buchpreises steht, ist nun die amouröse Erfolgsserie des leichtlebigen Helden erstmal zu Ende und es drohen ernsthafte Schwierigkeiten. Eine abgelegte Geliebte des Protagonisten Kurt Prinzhorn sinnt auf Rache; die verzweifelt Liebende verwandelt sich in eine Furie, die ihren Ex-Liebhaber zur Strecke bringen will. Aus dem Traum ewiger Verbundenheit wird ein Duell auf Leben und Tod. So darf man auch den Titel des Romans als Auslöschung der Urszene leidenschaftlicher Liebe lesen: Zwischen Romeo und Julia gibt es keine Verbindung mehr, nur noch Krieg. Es geht diesem sehr auf schwarze Pointen angelegten Kurzroman darum, keine weitere Variation der berühmten Liebesdramen von Romeo und Julia, Tristan und Isolde oder von Floris und Blanchefleur zu liefern, sondern die Verheißung dauerhafter Liebe endgültig zu entzaubern. Gerhard Falkner hat sich mit seinem Alter Ego Kurt Prinzhorn wie im Vorgängerroman „Apollokalypse“ einen Helden ausgedacht, der mit den Imaginationen des Wahnsinns vertraut ist und seinen Hedonismus in nächtlichen Streifzügen durch Metropolen erprobt. Im Gegensatz zu dem historischen Hans Prinzhorn, dem Arzt und Psychiater, der in einer berühmt gewordenen Sammlung die Bildwerke von Psychiatriepatienten dokumentierte, ist sein Kurt Prinzhorn ein mit allen Wassern des Sarkasmus gewaschener Schriftsteller, der auf seinen Reisen zu diversen Kongressen seiner Zunft von einer rachsüchtigen Geliebten verfolgt wird, ohne dabei größeren Schaden zu nehmen. Seine Stalking-Geschichte verpackt Falkner in ein virtuoses Vexierspiel mit literarischen Anspielungen und versteckten Zitaten aus Erzählungen der russischen Meister Gogol und Tschechow. Seine eigentliche Passion aber ist hier der Film, schmuggelt er doch vor allem Motive aus Avantgarde-Filmen und Psychothrillern ein, etwa aus Antonionis „Blow Up“, Sophie Marceaus „Zimmer 401“ oder Lutz Mammertz’ minimalistischem Experimentalfilm „Der Weg zum Nachbarn“, der nur das Gesicht einer jungen Frau zeigt, die sich in sexueller Verzückung auf und ab bewegt. Falkners Protagonist übt sich im Verlauf des Romans immer wieder in boshaften Sottisen wider die Gegenwarts-Kultur und mokiert sich dabei ausgiebig über die eigene Schriftsteller-Zunft. Und er vagabundiert durch das Nachtleben von Innsbruck, Moskau und Madrid wie einst der sexsüchtige Held im Vorgängerroman „Apollokalypse“. Zum Running Gag der schlagfertigen Romandialoge wird das rätselhafte Verschwinden von Prinzhorns Schlüsselbund aus einem Innsbrucker Hotelzimmer, die ominösen schwarzen Haare in seiner Hotel-Badewanne und der Raub seiner Notizbücher. Der Grund für all die seltsamen Vorkommnisse ist letztlich der Racheplan der Stalkerin, die ihren durch und durch narzisstischen Romeo eine Weile zappeln lassen will, bevor sie ihm das Lebenslicht ausbläst. Erwartungsgemäß kommt es anders – und das egomanische Glückskind überlebt die mörderische Attacke. Gerhard Falkners Roman brilliert wieder einmal mit starken Bonmots und gestattet seinem Frauenverschleißer Kurt eine sehr machohafte Perspektive, gewürzt mit einschlägigen Sprüchen: „Das Glück und das Unglück liegen manchmal so dicht beieinander wie Anus und Vagina. Tür an Tür.“ Es ist als Bekenntnis pro domo zu verstehen, wenn er an einer Stelle den „rabaukenhaften und skurrilen Stil“ Gogols herbeizitiert, den der Autor dem „abgestandenen Goethe-Instituts-Mief“ und dem „Kindergartengetöse der Open Mikes und Poetry Slams“ vorzieht. Als Leitmotiv wetterleuchtet ein Gewitterblitz durch diverse Szenen des Buches. Am Ende des Romans gelingt Falkner dann noch ein virtuoses Kabinettstück, wenn er die Begegnung des Helden mit seiner Stalkerin als vielfach verspiegelte Wiederholung der Picasso-Gemäldeserie „Las Meninas“ von 1957 darstellt. Im Hintergrund des kubistischen Picasso-Bildes, das selbst eine Interpretation eines Gemäldes des spanischen Malers Diego Velázquez darstellt, taucht der Umriss eines schwarzen Mannes auf. Diesen schwarzen Mann dürfen wir uns als Doppelgänger des literarischen Sarkasten Gerhard Falkner vorstellen. Er inszeniert seine kunstvollen literarischen Versteckspiele, teilt aus nach allen Seiten und schont nichts und niemanden – am allerwenigsten sich selbst. Lesezeichen Gerhard Falkner: „Romeo oder Julia“, Roman; Berlin Verlag; 272 Seiten; 22 Euro.

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