Kultur Film: "Körper und Seele" als Ausnahmewerk

In „Körper und Seele“ begegnen sich zwei Schlachthof-Angestellte in ihren nächtlichen Träumen in der Gestalt von Hirschen.
In »Körper und Seele« begegnen sich zwei Schlachthof-Angestellte in ihren nächtlichen Träumen in der Gestalt von Hirschen.

Selten sind sich Festivalbesucher so einig gewesen wie auf der diesjährigen Berlinale: Der ungarische Film „Körper und Seele“, der morgen nun ins Kino kommt, ist ein Ausnahmewerk und der würdigste Gewinner des „Goldenen Bären“ seit Jahren. Regisseurin Ildikó Enyedi erzählt vom Zauber der Liebe in einem Film, der ein großes Geschenk ist.

Genau darum geht es beim Kinobesuch: überrascht zu werden und mit ganzem Herzen in eine bislang unbekannte Welt eintauchen zu können, die sich rational nicht unbedingt erschließen lässt. Um die Liebe geht es in diesem Film, und damit natürlich: um alles. Nicht kitschig oder dramatisch aber kommt die Geschichte einer Annäherung zweier Sonderlinge daher, sondern zart, unwirklich und verträumt im allerbesten Sinn. Dabei könnte die Umgebung, in der „Körper und Seele“ spielt, nicht nüchterner und grausiger sein: Ein Schlachthaus ist Schauplatz der Geschichte. Liebe kann auch an den seltsamsten Orten und unter schwierigsten Umständen blühen, lässt der Film erleben: Maria (Alexandra Borbély) ist neue Qualitätskontrolleurin des Schlachthofs – eine kluge junge Frau mit außergewöhnlichem Gedächtnis, aber schroff, leicht autistisch, weltfremd, einsam, gewissenhaft. Sie eckt an. Nur ihr Vorgesetzter Endre (Géza Morcsányi), selbst Außenseiter, akzeptiert sie. Der bedächtige ältere Mann, dem ein gelähmter Arm den Alltag erschwert, will erfahren, was hinter ihrer Fassade steckt. Endre ist ein integrer Mensch, der sein Gegenüber respektiert, auch Verantwortung gegenüber den Schlachttieren spürt und für einen würdevollen Umgang seiner Arbeiter mit den Rindern sorgt. Und nach und nach wird klar: Zwischen Maria und Endre gibt es eine unerklärliche Verbindung. Beide träumen nachts das Gleiche. Sie begegnen sich in Gestalt zweier Hirsche in einem verschneiten Wald und nähern sich langsam einander an. Schließlich versuchen sie auch, im echten Leben aufeinander zuzugehen. Ein niedliches Märchen jedoch ist der Film nicht. Ildikó Enyedi, die Konzeptkünstlerin war, bevor sie sich dem Film („Mein 20. Jahrhundert“, 1989) zuwandte, offenbart vor allem die Realität am Arbeitsplatz ganz nüchtern. Mit nahezu dokumentarischen Bildern, bis in die letzten Details, wird der Alltag in diesem modernen, hoch technisierten Schlachthof spürbar. Gerade durch den Kontrast zu den entrückten winterlichen Waldbildern – es wurde mit einem Tiertrainer gearbeitet, der die Hirsche behutsam mit den Kameras vertraut machte – entsteht eine zarte Poesie. Und ein eigenwilliger Humor. Allerdings lacht niemand auf Kosten der sich in der durchorganisierten Welt so fremd fühlenden Hauptfiguren. Die Zuschauer folgen gern den Außenseitern Maria und Endre, die so weltfremd und doch würdevoll in sich ruhend wirken, dass man ihnen sofort glaubt, sich eher in ihren Träumen ausdrücken zu können. Ein Gedicht ihrer Landsfrau Ágnes Nemes Nagy über die Geheimnisse und Tiefe des Herzens hat Ildikó Enyedi, die zuletzt Film unterrichtete und fürs Fernsehen arbeitete, zu „Körper und Seele“ inspiriert. Und ihr eigenes Erleben, wie sie im offiziellen Interview zum Film sagt: „Ich bin ein eher zurückgezogener Mensch, und deshalb weiß ich, was sich unter einer ruhigen, grauen Oberfläche verbergen kann. Wie viel Schmerz, Verlangen oder Leidenschaft – der Heroismus des Alltags. Wenn ich die Straße entlanggehe, weiß ich immer: Selbst hinter dem langweiligsten, einfältigsten, plumpsten Gesicht kann sich Erstaunliches verbergen.“ Während Ágnes Nemes Nagys Gedicht im Film selbst nicht vorkommt, spielt das sehnsüchtige Liebeslied „What He Wrote“ von Laura Marling eine wichtige Rolle: Es orchestriert die tiefe Krise, in die Maria stürzt, nachdem sie fürchtet, dass ihr die Liebe im realen Leben doch nicht vergönnt ist. In anderen Händen hätte aus dem Stoff Süßlich-Schwülstiges oder Esoterisches werden können. Doch Ildikó Enyedi gelingt es, scheinbar ganz neuartig vom Wunder der Liebe zu erzählen. In ihrem stillen Film stimmt alles. Und doch hat er Fragen aufgeworfen, gerade da er nichts über das aktuelle Ungarn verrät, das sich derzeit immer mehr aus der europäischen Gemeinschaft herausstiehlt, und angesichts seiner Uraufführung auf einem Festival, das als politisch gilt: Sind aus der Wirklichkeit gefallene Filme wie „Körper und Seele“ und die Begeisterung, die sie auslösen, Ausdruck einer Weltflucht, während draußen der Hass weiter anschwillt? Oder geht „Körper und Seele“ doch tiefer als zunächst gedacht? Schließlich lässt sich der Film auch als Kommentierung eines Grundproblems verstehen: dem drohenden Verlust von Mitgefühl für den anderen, den Nachbarn, den Kollegen, den Fremden auf der Straße, den man nicht wahrnehmen möchte und dem man es nicht gönnt, mit dazuzugehören.

Wie nicht von dieser Welt: Alexandra Borbély spielt Maria.
Wie nicht von dieser Welt: Alexandra Borbély spielt Maria.
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