Kultur „Ein Tanz mit dem Genre“

Einsame Cowboys in Bulgarien: Szene aus „Western“.
Einsame Cowboys in Bulgarien: Szene aus »Western«.

Elf Jahre liegen zwischen ihren Spielfilmen „Sehnsucht“ und „Western“, Valeska Grisebachs aktuellem Werk. Gefeiert wurden beide. „Western“ lief erfolgreich in Cannes. Und mit „Sehnsucht“ gewann die Regisseurin 2006 den Filmkunstpreis des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen. Jetzt könnte mit „Western“ ein zweiter Preis auf der Parkinsel für die 49-Jährige folgen.

Ihr Film spielt im Osten und heißt „Western“. Wie haben Sie das Genre für sich entdeckt, was fasziniert Sie daran?

Dem musste ich erstmal auf die Schliche kommen. Wie viele in meiner Generation bin ich vorm Fernsehen groß geworden. Mich haben Western als Kind unheimlich in ihren Bann gezogen. Das Western-Genre taucht immer wieder im Kino auf. Es kann Generationen verbinden. Bei manchen Filmen aus der Zeit spüre ich fast etwas wie Heimweh, wenn ich sie noch mal sehe. Auch, was gesellschaftliche Fragen angeht, ist es ein interessantes Genre. Es ist auch das per se männliche Genre. Diesen männlichen, einsamen Helden wollte ich filmisch näher kommen. Worin unterscheiden sich diese männlichen Helden von Frauen? Männer haben eher die Hoheit der Blicke, während Frauen im Alltag eher trainiert sind, wegzugucken. Diese Hoheit der Blicke findet man in Film und Fernsehen wieder. Da kommt die Frage auf, wer wann und von wem wie beguckt wird. Das liegt daran, dass man selbst diese Blicke verinnerlicht hat. Ich habe manchmal einen männlichen Blick, der meine Fantasie eines männlichen Blicks verinnerlicht. Ich wollte mich als Frau dem Genre zuwenden und mit ihm in Kontakt treten. Vielleicht war es eher ein Tanz mit dem Genre. Das Thema Gender, das ich extrem spannend finde, spielte keine Rolle. Ich wollte mir die einsamen Cowboys mal anschauen. Ihre deutschen Männer tragen ein Gefühl der Überlegenheit vor sich her. Woher kommt dieses Selbstbewusstsein? Das Selbstbewusstsein hat etwas Ambivalentes. Das hat auch mit Unsicherheit zu tun, aber das würde ich nicht nur den deutschen Männern zuschreiben. Ich habe eben als Deutsche den Film gemacht. Es gibt unterschiedliche Perspektiven in Europa und unterschiedliche Länder. Intuitiv bringen wir Deutschen ein Statusgefühl mit. Wir reisen mit einem Gefühl für das Kräfteverhältnis in Europa an, mit dem Wissen, dass es uns gut geht. Ebenso wie mit einem Gefühl für unsere Geschichte. Das hat jeder unausgesprochen verinnerlicht. Wir, aber auch die Leute in Bulgarien. Für den Film war interessant, was mitschwingt, wenn die Deutschen mit ihren großen Maschinen und ihrem Know-how ankommen. Das ist nur ein Moment, denn die sind da selbst fremd. Da ist auch Neugierde und Sehnsucht, dass da was Aufregendes passiert. Gleichzeitig sind da Verunsicherung und Angst. Schleicht da jemand im Gebüsch um die Baustelle herum? Das sind verunsichernde Momente. Sie treten damit auf sehr eigenartige Weise in Kontakt, indem sie eine Deutschlandfahne aufhängen. Darin besteht die Ambivalenz. Wie nah möchte ich jemanden kommen – oder auch nicht. Wir leben in einer Zeit, in der sich Europa sucht und hoffentlich findet. Wie beurteilen Sie die europäische Idee? Mich berührt die europäische Idee sehr, auch und gerade nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Idee, diesen Nationalismus und die zugehörige Abgrenzung zu überwinden. Das man versucht, für einen gemeinsamen Gedanken einzutreten. Aber das ist ein ständiger Findungsprozess. Das merkt man, wenn man in Bulgarien ist. Dort ist ein vollkommen anderes Europa als das, was wir meinen, wenn wir darüber sprechen. Ich empfinde das als bedrohlich, wie diese Idee von Europa angegangen wird und die Tendenz immer mehr in Richtung Abgrenzung geht. Ich hoffe, es findet sich eine Antwort auf die Frage, was Europa sein kann. Das kann ein Prozess und muss keine endgültige Antwort sein. Dieser Film tritt in diesem Kontext sicher für Mut und den Kontakt untereinander ein. Gab es Momente wie im Film, in denen Ihr deutsches Team diesen bulgarischen Raum, das Dorf Petrelik, eroberte? Ich versuchte, eine Partnerschaft zu gestalten, und habe reflektiert, wie wir uns da als Filmteam bewegen. Da gab es sicher auch Fettnäpfchen und Missverständnisse. Das war auch inspirierend für den Film. In Bulgarien wird man als Deutsche auch überhöht, aber in jeder Überhöhung liegt auch eine Form von Aggression. Jeder in Bulgarien hat jemanden in der Familie, der im Ausland lebt. Das Ausland ist dort total präsent. Da ist immer jemand in Deutschland, England oder den USA. Die junge Generation geht weg und kommt oft nicht wieder – oder die Weggegangenen ernähren die Familie. Diese Momente des Missverstandenwerdens erzeugen Authentizität. Wie wichtig ist die für Ihre Arbeiten? Die Authentizität ist in meinen Filmen häufig etwas künstlich Hergestelltes. Mich interessiert sehr der Kontakt zwischen etwas naturalistisch-realistisch Aussehendem und einer Überhöhung, einem künstlich-epischen Moment. Meine Authentizität ist erarbeitet, also künstlich. Mich macht aber nervös, wenn etwas perfekt vorbereitet ist. Es gibt immer eine Wirklichkeit, die nicht zu kontrollieren ist. Das ist ein unheimlich kreativer Moment. In einem fremden Land mit einer fremden Sprache habe ich da sehr positiv einen Kontrollverlust erlebt. Wir haben alle gemeinsam diesen Film zu Ende gebracht. Ein weiterer Faktor für Authentizität ist die Arbeit mit Laiendarstellern. Ihr Hauptdarsteller Meinhard Neumann spielt die Hauptrolle beinahe wie ein klassischer Italo-Western-Held. Was musste er für die Rolle mitbringen? Und was konnten Sie mit ihm entwickeln? Er ist wie eine Western-Ikone, die aus einem Western der 40er- oder 50er-Jahre raus- und in meinen Film hinein gelaufen ist. Ich wollte immer eine elegante Person, auf die man ganz viel projizieren kann, wie Anführerschaft und Können. Gleichzeitig sollte er den Opportunisten in sich tragen, den kleinen Mann. Der hat mich in der Literatur schon immer interessiert. Die, die vom Heldentod träumen, denen aber etwas dazwischen kommt und die plötzlich als Feigling da stehen. Meinhard Neumann brachte diese Überhöhung mit seiner Erscheinung mit. Männergruppen sind oft sehr archaische Gebilde. Eine Qualität von „Western“ ist, wie er dies einfängt. Er zeigt, wie in dieser Gruppe zivilisatorische Grenzen fallen, die sonst durch die Anwesenheit von Frauen erhalten bleiben. Mich hat dieser geschlossene Männerkosmos interessiert. Die abwesenden Frauen sind in deren Fantasie anwesend. Über die wird gesprochen. Einer verkleidet sich als Frau. Mich hat interessiert, welche Männlichkeit da in der Gruppe entsteht und wie der Einzelne sein muss, um dort richtig zu sein. Mich berührt schon immer diese Zärtlichkeit und Intimität unter Männern. Die erzählen sich Dinge, die sie mit der Frau vielleicht nicht teilen. Ich will nichts Schlechtes über die Männerwelt erzählen. Zwischen „Sehnsucht“ (2006) und „Western“ liegen elf Jahre. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht? Ich habe eine Tochter bekommen, unterrichtet und auch dramaturgisch beraten. Über einen Western nachgedacht. Ich finde das Leben zwischen den Filmen auch sehr schön. Ich weiß, wenn ich einen Film drehe, verschluckt mich der. Ich bereite mich sehr intensiv vor. Termine —„Western“ läuft beim Festival des deutschen Films, Parkinsel Ludwigshafen, heute, 17.30 Uhr, Freitag, 16.30 Uhr, und Samstag, 21 Uhr.

Bekommt bei Western Heimweh: Filmemacherin Valeska Grisebach.
Bekommt bei Western Heimweh: Filmemacherin Valeska Grisebach.
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