Kaiserslautern Der ewige Scout und Wegbereiter

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Nichts ist ungewöhnlich an diesem neuen Bob-Dylan-Album. Weder, dass „Fallen Angels“ erneut auf Songs zurückgreift, die sich – auch – im Repertoire von Frank Sinatra fanden, noch, dass es erneut eine Sammlung von Material ist, das überwiegend aus den 1930er und 40er Jahren stammt. Nicht der Country-Swing-Ton überrascht, nicht die romantisch anmutende Stimmung. Auch nicht, dass es recht pünktlich zu Dylans heutigem 75. Geburtstag auf den Markt kam. Warum macht Dylan das also? Weil er’s kann!

Nach herkömmlichen Maßstäben hat er nicht die schönste Singstimme, ist er nicht der beste Gitarrist, nicht der beste Klavierspieler. Kompositorisch gilt er als durchaus limitiert, als Lyriker eher als traditionell, an Verkaufszahlen gemessen steht er eher in der zweiten Reihe, als Maler bleibt er ein begabter Amateur. Trotzdem ist Bob Dylan – geboren am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota –, unangefochten der einflussreichste, wenn nicht beste Songwriter, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Seine Wirkmächtigkeit als Richtungsgeber, als Neuerer und Bewahrer der amerikanischen Lied-Tradition ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Seine künstlerischen, privaten und religiösen Volten haben tumultöse Debatten ausgelöst, sein künstlerisches Gelingen und Scheitern lagen immer nahe beieinander. Seine Fan-Gemeinde jedoch geht mit geradezu religiös-irrationaler Inbrunst an sein Werk und die Person heran. Umso mehr hat er die ihm zugeschriebene Rolle als Sprachrohr der aufgeklärten Jugend der 60er Jahre immer abgelehnt. Trotz „Blowin in the Wind“, „Like A Rolling Stone“ oder „Desolation Row“ und weiteren fast 500 veröffentlichten Songs, die folgten. Nun also „Fallen Angels“. Das kontrastlose Cover ohne echtes Schwarz und Weiß, zeigt eine Hand, die die verdeckten Karten eines Poker-Spiels hält, links oben steht, in weißen Versalien, zweizeilig, Bob Dylan und, in feurigem Rot darunter, kursiv, der Album-Titel „Fallen Angels“. Bob Dylan lässt sich auch und gerade zu seinem 75. Geburtstag nicht in die Karten sehen. Viel mehr tut er das, was er immer getan hat: „keep on keepin’ on“ – er macht weiter mit dem Weitermachen, folgt so lange seinem Weg – der muss kein gerader sein –, bis er findet, es sei jetzt genug und er sich anderem zuwendet. Bob Dylan ist wieder oder noch immer bei der Musik, die er als Bub im Radio gehört hat. Die CD mit ihren zwölf Songs aus dem sogenannten Great American Songbook hat, wie auch der Vorgänger „Shadows In The Night“, mit 38 Minuten die Spiellänge einer klassischen Vinyl-LP. Der Ton seiner Begleiter, die, bis auf den Session-Gitarristen Dean Parks und den Bläsern, arrangiert von James Harper, allesamt die Mitglieder seiner aktuellen Tour-Band sind, folgt einem gedeckten Jazz-Sound zwischen Django Reinhardt, Western Swing und Nachtclub Combo. Das ist geschmackvoll und musikalisch von größter Delikatesse. Dylans durchaus alterswehe Stimme ist erneut von ganz betörender menschlicher Schönheit und Ausdruckskraft, kontrolliert und immer wieder zu beachtlicher Höhe fähig. Aber auch das kennt man bereits von „Shadows In The Night“ oder seinem Konzert vergangenen Oktober in Saarbrücken. Produziert hat er die Platte wieder selbst unter seinem Pseudonym Jack Frost. Der Umstand, dass Bob Dylan hier erneut Fremdmaterial spielt – das hat er bereits bei seinem Debüt „Bob Dylan“ getan, bei „Self Portrait“, bei den Folkalben „Good As I Been To You“ (1992) und „World Gone Wrong“ (1993) – ist ebenfalls wenig spektakulär. Viel reizvoller ist es zu beobachten, dass Dylans Band-Sound spätestens seit „Love And Theft“ auch bei den Eigenkompositionen immer jazziger wird. Das ist für Dylan natürlich kein fremdes Land – schon auf „New Morning“ von 1970 findet sich die Jazz-Nummer „If Dogs Run Free“ – aber es ist ein Land, das er noch nicht wirklich bereist hat. Jetzt, wo ihm eine derart superbe Band zur Seite steht, die viele musikalische Sprachen spricht, hat er die richtigen Reisebegleiter. Dylan selbst ist wieder „nur“ Sänger, die Arbeit an den Instrumenten überlässt er klug seinen Musikern. „Fallen Angels“ ist die folgerichtige Entscheidung eines Künstlers, dessen textlich-inhaltliche Seite viel zu oft und nachlässig über den Musiker Bob Dylan gestellt wurde. Die notorisch unergiebige Frage, was Dylan meint und will und warum er tut, was er tut, wird gemeinhin von Philologen und Literaturwissenschaftlern gestellt und beantwortet, nicht von ausübenden Musikern. Die wissen sofort, was sie da haben, einen grandiosen Schatz an Musik, kongenial gespielt und arrangiert. Es sind Herausforderungen, die bequeme Rock- und Lagerfeuergitarre beiseite zu stellen und sich diese Jazz-Harmonien draufzuschaffen, wenn man mit Dylan auf der Höhe bleiben möchte. Dylan bleibt der ewige Scout und Wegbereiter, der zeigt, wo es etwas zu entdecken gibt, das die Mühe lohnt. Als sein Credo gilt also auch nach diesem Album weiter folgendes Zitat: „Auch, wenn dir meine Sachen gefallen, schulde ich dir nichts.“

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