Kultur „Der Brexit war ein schrecklicher Schock“

Ian Bostridge singt bei „Modern Times“ Lieder von Benjamin Britten.
Ian Bostridge singt bei »Modern Times« Lieder von Benjamin Britten.

Ian Bostridge gehört zu den herausragenden Sänger-Persönlichkeiten unserer Zeit. Dabei fühlt sich der 1964 geborene Brite auf der Opernbühne ebenso wohl wie beim Liederabend. Gerade als Interpret der Lieder von Franz Schubert oder Robert Schumann wird er von Publikum und Kritik gleichermaßen gefeiert. Beim derzeit laufenden Festival „Modern Times“ der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wird er sich Kompositionen von Benjamin Britten widmen. Frank Pommer hat sich mit dem Tenor nach den Proben in der Ludwigshafener Philharmonie unterhalten.

Sie haben sich in Ihrer Promotion mit Hexerei beschäftigt: Muss ein Sänger zaubern können, um sein Publikum zu begeistern? Oder ist alles doch nur eine Frage der Technik?

Als ich mit dem Singen anfing, da war es sicherlich Zauberei für mich. Es hatte etwas Magisches, wie alle Musik. Sänger, Musiker überhaupt, haben in der Geschichte immer schon die Menschen verzaubert. Man glaubte, sie verfügten über magische Fähigkeiten. Doch je länger meine professionelle Gesangsausbildung dauerte, desto mehr habe ich realisiert, wie wichtig es ist, sich einzusingen und über die richtige Technik beim Singen zu verfügen. Singen hat nun weniger mit Zauberei zu tun, stattdessen mehr mit Technik und konsequentem Üben. Wie kam es eigentlich zu dem Schritt von den Geisteswissenschaften Geschichte und Philosophie zur Musik? Als ich mich für eine akademische Laufbahn entschieden hatte, da gab es in Großbritannien so etwas wie ein Goldenes Zeitalter der akademischen Berufe, der Wissenschaften, auch der Geisteswissenschaften. Seitdem hat sich eine Menge verändert, und es wurde immer unattraktiver in England, als Universitätsdozent zu arbeiten. Ich habe dann mit der Gesangskarriere angefangen – ohne allzu große Erwartungen, ich habe eigentlich emotional gar nicht so viel investiert. Was mir eine gewisse Freiheit gegeben hat, denn wäre es schiefgegangen, hätte es mich auch nicht völlig aus der Bahn geworfen. Und Ihre starke Faszination für das deutsche Kunstlied? Was hat die ausgelöst? Ich kam erstmals durch meinen Deutschlehrer in der Schule mit dem deutschen Kunstlied in Berührung. Der war ein enthusiastischer Anhänger dieser Kunstform. Außerdem habe ich mich in die Stimme von Dietrich Fischer-Dieskau verliebt, aber auch in seine Art, die Lieder zu interpretieren. Das ist sicherlich etwas ganz anderes, als das, was wir heute tun. Aber es ist immer noch eine absolut faszinierende, außergewöhnliche Art des Liedgesangs. Die Deutschen denken ja manchmal überheblich, dass die englische Musikgeschichte im Grunde nur aus drei bedeutenden Komponisten (Purcell, Händel und Britten) bestünde, von denen der eine auch noch in Halle geboren wurde. Da kommt doch sicherlich Widerspruch von Ihnen? Sicherlich ist da noch viel mehr, aber wenn Sie auf die englische Geschichte vor allem des 18. Jahrhunderts schauen, dann sehen Sie, wie wir quasi unsere Monarchie outgesourct haben. Da gab es eine Reihe deutscher Könige in England. Und gleichzeitig haben wir großartige deutsche und italienische Komponisten importiert, natürlich auch Maler. Sicherlich gibt es zwischen Purcell und Edward Elgar, den Sie nicht genannt haben, großartige englische Komponisten. Aber der erste Komponist von Weltrang ist dann erst wieder Benjamin Britten, der eine ganz außergewöhnliche Stellung im 20. Jahrhundert einnimmt, was auch irgendwo einem Wunder gleichkommt. Es gibt sehr gute englische Musik, die aber immer irgendwo auch provinziell klingt. Britten war stets auf der Höhe der Zeit, auch weil er fest verwurzelt war in der österreichisch-deutschen Tradition. Er kannte Alban Berg, als wirklich niemand sonst in England wusste, wer das war. Wenn Sie mal die Lieder Brittens , die Sie beim Festival „Modern Times“ singen werden, mit denen von Schubert vergleichen: Wo liegen die Unterschiede, wo die Gemeinsamkeiten? Britten kannte wie gesagt die kontinentale Musiktradition, dies gilt auch für seine Liedkompositionen. Er kannte Schubert, Wolf, hat deren Lieder aufgeführt, er kannte selbstverständlich auch Schumann und mochte merkwürdigerweise Brahms nicht. Man sieht dies seinen Liedern an. Sie stehen fest in dieser Tradition, und vielleicht ist Britten der beste Liederkomponist nach 1945. Wie Schubert zum Beispiel gelingt es auch Britten, nicht nur den Text zu vertonen, sondern ein neues Kunstwerk, bestehend eben aus Text und Musik, entstehen zu lassen. Ihr Heimatland hat sich ja mit dem Brexit deutlich vom Kontinent abgesetzt. Kann die Kultur, ein gemeinsames kulturelles Erbe, können die Lieder Schuberts und Brittens eine Brücke sein, welche die totale Isolation Großbritanniens verhindert? Das hoffe ich natürlich, denn die jüngste Entwicklung ist für jemanden, der wie ich im kulturellen Bereich arbeitet, der ja ein internationaler ist, scheußlich. Der Brexit war in der Tat ein schrecklicher Schock für mich. Das ist unser gemeinsames kulturelles Erbe, und die Geschichte Englands ist seit dem Mittelalter untrennbar mit Europa verbunden, das kann und darf man nicht trennen. Das Konzert „Modern Times – An Evening Hymn“, morgen, Sonntag, 24. September, 19.30 Uhr, Ludwigshafen, Friedenskirche. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Ralph Vaughan Williams, Arnold Schönberg und Benjamin Britten, von dem der Tenor Ian Bostridge den Liederzyklus „Les Illuminations“ singen wird (außerdem noch Brittens Arrangement von Henry Purcells „An Evening Hymn“). Am Pult der Deutschen Staatsphilharmonie steht Chefdirigent Karl-Heinz Steffens.

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