Kultur Buch aktuell: Rafik Schamis „Sami und der Wunsch nach Freiheit“

Den „tapferen Kindern von Daraa, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“, hat Rafik
Den »tapferen Kindern von Daraa, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen«, hat Rafik Schami (hier im Theodor-Heuss-Gymnasium Ludwigshafen) sein Buch gewidmet.

Leise, still und heimlich es sich in die Regale des Handels geschlichen: das neue Buch von Rafik Schami. Der Verlag führt es als Jugendliteratur. Aber wie „Eine Hand voller Sterne“ 1987 ist es ein Buch für alle – und auch eines für jene, die besser verstehen wollen, was da gerade in Schamis Heimat Syrien passiert. „Sami und der Wunsch nach Freiheit“ blickt in Menschenseelen: Geschichten, die helfen, die unbarmherzige Realität zu begreifen, aber keineswegs, sie zu ertragen.

Es könnte ein sehr pessimistisches Buch sein, aber es klingen doch auch ein paar (Lauten-)Töne der Hoffnung durch die Geschichten, die der Meistererzähler aus Marnheim im Donnersbergkreis – mit Damaskus im Herzen – diesmal nicht selbst erzählt. Rafik Schami, der begnadete Erzähler, lässt erzählen: von Scharif Surur, einem jungen Syrer. Er ist einer von über vier Millionen, die ihr Land seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 verlassen haben; einer von rund 600.000, die seither nach Deutschland gekommen sind – so wie vor jetzt 47 Jahren ein junger Mann mit Namen Suheil Fadél, aus dem erst ein promovierter Chemiker und dann ein erfolgreicher Schriftsteller wurde, der sich „Damaszener Freund“ nennt: Rafik Schami. Zu schön, um wahr zu sein? Stimmt aber: Rafik Schami hat seither auf unzähligen Seiten die orientalische Kunst des Erzählens, des liebevollen Ausschmückens, des absichtsvollen Abschweifens und des heimlichen Augenzwinkerns in die deutsche Sprache eingeführt. Es ist ihm gelungen, die orientalische Tradition des mündlichen Erzählens in gedruckte Buchstaben zu zaubern. Das erweckt bei manchen mehr oder weniger vernunftbegabten Europäern gerne Misstrauen: Alles Märchen aus 1001 Nacht, oder was? Geschickt nimmt Schami diesmal genau diesen Skeptikern den Wind aus den Segeln: Es ist ja nicht er, der erzählt, sondern der junge Mann, dem er im Hier und Heute begegnet und der ihm die Geschichte seines Freundes Sami erzählt – mit dem Versprechen, sie weiterzugeben. Scharif ist weitergezogen nach Kanada. Aber seine Erinnerungen an seine Freundschaft mit Sami, an die Kindheit und Jugend in Damaskus, an die Gassen, in denen auch Rafik Schami aufwuchs, sind geblieben. Die Geschichten von Suheil, der wegen regimekritischer Wandzeitungen vor der syrischen Diktatur floh, und jene von Scharif und Sami, den Internet-Experten, die schließlich doch in die Fänge des Geheimdienstes zu geraten drohten, gehören zusammen. Rafik erzählt von Scharif, der von Sami erzählt – und von Generationen von Syrern, die in einer Diktatur aufwuchsen. Da sind auf der einen Seite die Schilderungen der vom Untergang bedrohten Welt eines Hamams – die so rein gar nichts mit der nordeuropäischen Schwitztortur namens Sauna mit abschließendem Kälteschock zu tun hat –, man glaubt sich fast selbst dort. Da ist auch die kleine Episode, in der Scharif erzählt, wie sein Freund Sami einmal so laut und schrill schrie, dass alle Gläser in der Umgebung zerbarsten. Und dann taucht als Zeuge dieser Szene noch ein bärtiger Tourist auf, ein deutscher Bildhauer, der gerade in Paris lebt (und irgendwie einem anderen berühmten deutschen Autor ähnelt ... ) Auch Scharif beherrscht die Kunst des Erzählens und des Fabulierens. Scharif/Schami/Sami: Wer nicht Arabisch versteht, ist versucht, da Zusammenhänge zu vermuten. Aber das sind vielleicht nur Nebensächlichkeiten, denn was wem auch immer von den dreien gelingt, ist die beklemmende Darstellung, wie 40 und mehr Jahre Leben unter einer Diktatur Menschen verändern, wie sie erniedrigt werden, wie sie, weil sie wissen, welchen Preis sie für ein Aufbäumen zahlen müssen, den Mut verlieren, wie sie sich langsam in eine Herde unmündiger Schafe verwandeln – oder zu den unmenschlichsten Grausamkeiten fähig sind. Samis Narben, von denen die Geschichten handeln, sind irgendwie auch die Narben des gebeutelten syrischen Volkes. Nicht ohne Grund, meint nun wieder Schami, waren es Kinder, die am Anfang des syrischen Aufstands von 2011 standen. Kinder, die noch nicht wussten, welche Folgen ihr Wunsch nach Freiheit haben würde. Den Kindern von Daraa widmet Rafik Schami sein neues Buch. Zehn Gründe, warum die Erwachsenen 2011 ihren Kindern folgten, zählt Scharif darin auf – nicht unbedingt geeignet für politische Analysen, aber zutiefst menschlich. So wie das ganze Buch. Unbedingt lesen! Egal welches Alter im Pass steht. Lesezeichen —Rafik Schami: „Sami und der Wunsch nach Freiheit“; Beltz & Gelberg; 326 Seiten; 17,95 Euro (als E-Book 16,99 Euro, als Hörbuch 15,99 Euro). —Rafik Schami liest am 16. Oktober, 20 Uhr, in der Aula der Neuen Universität Heidelberg

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