Kultur Am Anfang war Ada

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Ada Lovelace schrieb das vermutlich erste Programm für eine Maschine, die nie gebaut wurde. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts sah die adelige Mathematikerin das Potenzial der heutigen Computer voraus.

Mit der kleinen Ada würde kein Kind tauschen wollen: Schon um halb sechs in der Früh muss das Mädchen büffeln. Erst Arithmetik, Rechtschreibung und Grammatik, Lesen und Musik. Nach dem Abendessen stehen auch noch Geografie, Französisch, Zeichnen und Musik auf dem straffen Stundenplan. Lady Byron, Adas Mutter, ist eine intelligente Frau, die von ehemaligen Universitätsprofessoren unterrichtet wurde. Dass sie ihrer am 10. Dezember 1815 in London geborenen Tochter eine derartige Ausbildung ermöglicht, hat aber andere Gründe. Lady Byron fürchtet nämlich, dass Ada die „poetische, romantische“ Ader ihres Vaters geerbt haben könnte. Das schreibt Doreen Hartmann in ihrem Beitrag in einem Sammelband über Ada Lovelace (siehe den Literaturtipp „Weiterlesen“). Lord Byron ist seinerzeit ein berühmter Dichter. Bekannt ist er aber auch für seine Wutanfälle, seinen Hang zum Alkohol und seine außerehelichen Affären. Etwa einen Monat nach Adas Geburt und nach nur einem Jahr Ehe hat Lady Byron genug. Sie verlässt ihren Gatten. Ein prominenter Rechtsanwalt hilft ihr dabei. Professionelle Unterstützung hat Lady Byron auch nötig, denn eine Scheidung im frühen 19. Jahrhundert, ausgehend von der Frau, ist laut Hartmann eine Sensation – und zwar keine positive.

Ihre Mutter tut alles, um Ada von ihrem Vater, dem berühmten Dichter Byron fernzuhalten

Ada wird ihrem Vater danach nie mehr begegnen – nach der Trennung geht Lord Byron fort von England. Er stirbt im Jahr 1824, als seine Tochter acht Jahre alt ist. Die Mutter unternimmt alles, um Ada von ihrem Vater fernzuhalten. Seine Werke darf das an Musik und Literatur interessierte Mädchen nicht lesen, ein Bild des Vaters nicht anschauen, bis es eine junge Frau von 21 Jahren ist. Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern hält Lady Byron für den besten Weg, um alle triebhaften Regungen Adas im Keim zu ersticken. Ob die zahlreichen Leiden der Tochter eine Reaktion auf das strenge Regiment der Mutter sind? Der Verdacht liegt zumindest nahe. Heftige Kopfschmerzen plagen die Achtjährige einmal so sehr, dass sie mehrere Monate lang nicht lesen kann, wie Dorothy Stein in ihrer Biografie über Lovelace schildert. Andere Krankheiten ziehen zeitweilige Lähmungserscheinungen nach sich; oft kann Ada das Bett nicht verlassen. Diese Umstände hindern sie nicht daran, ehrgeizige Zukunftspläne zu schmieden. Ada will eine berühmte Wissenschaftlerin werden. Oder eine gefeierte Opernsängerin. Tatsächlich liebt sie auch die Musik und scheint mehr als einmal mit dem Gedanken zu spielen, die Mathematik dafür zu opfern. Ohnehin gehört beides für Ada zusammen. Sie versteht die künstlerische Arbeit nicht als Gegensatz zu den rationalen Wissenschaften, wie Hartmann erläutert. Die technische Entwicklung, die Eisenbahn, Webstuhl und Dampfantrieb hervorbringt, beeindrucke Ada ebenso sehr wie die Spätromantik. Doch beruflich bleibt sie den Wissenschaften treu. Was als Frau in der damaligen Zeit gar nicht so einfach ist. Universitäten oder Akademien und deren Bibliotheken stehen Wissenschaftlerinnen nur stark eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung. Welche Möglichkeiten hat Ada, um ihren Wissensdurst zu stillen? Da ist einmal ihr Mann, der zehn Jahre ältere William King und spätere Earl of Lovelace, mit dem sie seit dem 8. Juli 1835 verheiratet ist. Er hat sich extra für Ada in die Royal Society aufnehmen lassen, erzählt Margaret Alic in ihrem Buch „Hypatias Töchter“. So kommt sie immerhin an wissenschaftliche Bücher und Schriften, die er in mühevoller Handarbeit für sie kopiert. Darüber hinaus pflegt Ada brieflich Kontakt mit Gelehrten. Wann immer es der dreifachen Mutter möglich ist, besucht sie technische Ausstellungen und sitzt in öffentlichen Vorträgen. Schon die hohen Bildungsansprüche der Mutter haben dafür gesorgt, dass Ada die wichtigsten Gelehrten der damaligen Zeit früh kennenlernt. Den 1791 geborenen englischen Mathematiker, Philosophen und Erfinder Charles Babbage trifft Ada Lovelace zum ersten Mal im Jahr 1833. Babbage bastelt zunächst an der sogenannten Differenziermaschine, einem „mechanischen Apparat zur Zusammenstellung und Aufzeichnung von Tabellen mathematischer Funktionen, die auf Addition beruhten“, wie Alic erklärt. 17.000 Pfund öffentlicher Förderung und einen Großteil seines Privatvermögens steckt er in den – erfolglosen – Versuch, die Maschine bauen zu lassen.

Letztlich nimmt Lovelace auch die Unterscheidung zwischen Hard- und Software vorweg

Das hält Babbage nicht davon ab, sich den Kopf über einen noch viel komplizierteren Apparat zu zerbrechen. Die „analytische Maschine“ kann laut Alic direkt addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren. Es handelt sich um eine Universalrechenmaschine, die bereits alle Elemente eines modernen Computers hat, einschließlich eines integrierten Speichers, wie Suw Charman-Anderson in einem Beitrag erklärt. Auch dieser analytische Universalrechner wird nie gebaut werden. Und trotzdem erhält Ada Lovelace ihren Platz im Pantheon der Computer- und Programmiergeschichte. Weil sie sich die richtigen Gedanken macht. Zunächst hält Babbage an der Turiner Universität eine Vorlesung über seine analytische Maschine. Im Publikum sitzt auch der italienische Ingenieur Menabrea, der sich Notizen macht, die in französischer Sprache veröffentlicht werden. In seiner Autobiografie erinnert sich Babbage daran, dass ihm Lovelace nach Erscheinen des Berichts „selig mitteilte, sie habe den Artikel Menabreas übersetzt“. Doch Babbage traut seiner Bekannten mehr zu und ermuntert sie – so berichtet er zumindest – den Artikel des italienischen Ingenieurs mit eigenen Anmerkungen zu versehen. Das tut Ada. Im kontinuierlichen Austausch mit Babbage denkt sie während des Sommers 1843 weiter über die Programmierung der Maschine nach. Am Ende hat Ada den Umfang des ursprünglichen Artikels mehr als verdoppelt. Man muss fairerweise ergänzen, dass Lovelace mit der analytischen Maschine bereits bestens vertraut ist, als Menabreas Artikel erscheint. Fast zehn Jahre lange hat sie bis dahin schon Privatunterricht bei Babbage genommen und die Entwicklung seiner Erfindung von Beginn an begleitet. Dass, wie Hartmann meint, „Lovelaces Kommentare schließlich sogar wichtiger als Babbages Vortrag wurden“, liegt daran, dass Ada das volle Potenzial der Maschine erkennt. Zwei Textstellen aus ihren Anmerkungen werden immer wieder zitiert. Zum einen beschreibt Lovelace die „algebraischen Muster“, die die Maschine „webt, gerade so wie der Jacquard-Webstuhl Blätter und Blüten“. Dieser Webstuhl arbeitet mit Lochkarten und einem Binärsystem: Stößt die Nadel auf ein Loch, wird der Faden angehoben, sonst gesenkt. Die um 1800 von Joseph-Marie Jacquard erfundenen automatisierten Webstühle gelten als die ältesten programmierbaren Maschinen – sieht man einmal von den Leierkästen ab, die es schon sehr viel länger gibt. Die Stiftwalze in ihrem Inneren, die die Melodie vorgibt, ist sogar seit der Antike bekannt. Allerdings arbeitet die Walze nicht mit einem binären Code, also mit Ja-Nein-Befehlen. Noch bedeutender ist Lovelaces Bemerkung, dass der Mechanismus der analytischen Maschine auch mit anderen Dingen als mit Zahlen operieren könne. Ihre visionäre Vorstellung, dass die Maschine noch wesentlich komplexere Systeme wie Sprache oder Musik verarbeiten könne, wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts Realität. Dabei ahnt sie auch die Grenzen der Technik voraus: Die analytische Maschine, betont Lovelace, maße sich in keiner Weise an, etwas Neues erschaffen zu wollen. „Sie kann das ausführen, was wir zu programmieren imstande sind.“ Um die Fähigkeiten der analytischen Maschine zu überprüfen, schreibt Lovelace das vermutlich erste Computerprogramm: eine Tabelle zur schrittweisen Berechnung der Bernoulli-Zahlen, einer komplexen Zahlenfolge. Damit ermöglicht Lovelace etwas, das uns heute selbstverständlich erscheint, nämlich die Unterscheidung zwischen Hard- und Software, wie ihre Biografen glauben. Ruhm und Anerkennung für ihre weitreichenden Überlegungen erntet die erste Programmiererin aber erst einmal nicht. Die im August 1843 mit Kommentaren publizierte Übersetzung unterschreibt sie nur mit ihren Initialen – A. A. L. Für adelige Damen gehört es sich damals einfach nicht, unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen. Es dauert fünf Jahre, bis Lovelace als Autorin erstmals erwähnt wird. Da hat sie ihr Leben schon kaum mehr im Griff. Hohe Wettschulden und Erpressungsgeschichten, Krankheiten und als Medikamente eingesetzte Drogen prägen Lovelaces letzte Jahre, die am 27. November 1852 enden. Nur 36 Jahre alt, stirbt die charismatische Frau schließlich an Gebärmutterhalskrebs. Das amerikanische Verteidigungsministerium setzt ihr ein spätes Denkmal und benennt in den 1970er Jahren eine der moderneren Programmiersprachen nach Ada. In Rheinland-Pfalz gibt es das „Ada-Lovelace-Projekt“, das Mädchen und junge Frauen für technische und naturwissenschaftliche Studiengänge und Berufe begeistern will.


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Sybille Krämer (Hg.): „Ada Lovelace. Die Pionierin der Computertechnik und ihre Nachfolgerinnen“; Wilhelm Fink Verlag; 221 Seiten; 19,90 Euro. 

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