Speyer „Wir sind gescheitert“

Jubiläumstournee: Konstantin Wecker kommt kurz nach seinem 70. Geburtstag zum „Kulturbeutel“.
Jubiläumstournee: Konstantin Wecker kommt kurz nach seinem 70. Geburtstag zum »Kulturbeutel«.

„Poesie und Widerstand“: So heißt ein Doppelalbum, das der Liedermacher Konstantin Wecker zu seinem 70. Geburtstag aufgenommen hat (wir berichteten im überregionalen Kulturteil). Am Mittwoch, 21. Juni, 20 Uhr, gibt er ein Konzert beim Speyerer „Kulturbeutel“-Festival, das schon ausverkauft ist. Dpa-Korrespondentin Sabine Dobel hat vorab mit Wecker gesprochen.

Sie haben gerade Ihre dritte Biografie „Das ganze schrecklich schöne Leben“ veröffentlicht. Wie viele Biografien braucht ein Mensch eigentlich?

Jeder Mensch hat ja viele Biografien. Meine ändert sich ständig – mit den neuen Erfahrungen verwandelt sie sich. Es gibt keine objektive Sicht auf das eigene Leben. Manches sehe ich heute anders und schreibe es anders – aber nicht, weil die frühere Sicht falsch wäre. Sondern weil mein Gedächtnis sich anders erinnert. Deshalb haben an meiner Biografie auch noch zwei weitere Autoren mitgeschrieben. Woher schöpfen Sie Ihre künstlerischen Ideen? Ich vergleiche das manchmal mit einer Quelle, in der Mozart täglich badet, auch Rilke und einige andere. Da dürfen wir – ich – hin und auch einmal kosten. Deshalb ähnelt sich vieles in der Literaturgeschichte in der Essenz so sehr. Denn es gründet auf dem eigentlichen wirklichen Bewusstsein in der Tiefe eines jeden Menschen. Die Frage ist, wie kommt man an diese Quelle heran. Es gibt keine Garantie dafür – auch nicht nach 30 Jahren der Meditation. Meditieren Sie, gehen Sie in die Stille, ins Kloster? Das mache ich schon. Aber das hat nie einen Kreativitätsschub bewirkt. Ich habe einige schöne Gedichte geschrieben, aber ich hatte nie das Gefühl, dass es mein Verdienst ist. Es kommt – dann ist es wieder weg. Die Gedichte passieren mir meistens in einem Block von ein paar Tagen – dann ist wieder Pause. Das ist das Geheimnis der Inspiration. Es ist etwas, was wissenschaftlich nicht erklärbar ist. Auf Ihrem neuen Album „Poesie und Widerstand“ haben Sie weitgehend Lieder von früher neu aufgenommen, eine Art musikalische Autobiografie also. Was hat sich denn verändert an den Liedern? Die Interpretation verändert sich. Deshalb hätte ich sie nie von einer alten Schallplatte nehmen und neu zusammenstellen können. Es war sehr spannend für mich zu sehen, dass Lieder, die ich vor 30 Jahren gemacht habe, jetzt wirklich anders klingen. Was genau anders ist, kann ich selbst nicht sagen. Manches ist vielleicht weicher. Sind die Lieder auch moderner? Ich habe Gott sei Dank immer eine Musik gehabt, die sich nie einem Zeitgeist angegliedert hat. In den 1980er Jahren, als der Punk aufkam, war ich mit einem Klassikorchester unterwegs. Es ist immer eine zeitlose Musik gewesen, weil sie eher von der Klassik kommt. Ich bin von der Klassik geprägt, ich bin von der Oper geprägt, auch wenn ich gern mal einen Blues spiele. Neben der Musik und der Poesie ist Ihr Leben gekennzeichnet vom Kampf gegen Krieg, gegen Waffen, gegen Rechts. Jetzt geht ein Rechtsruck durch die Welt. Sind Sie und Ihre Mitstreiter gescheitert? Wir sind gescheitert, weil wir nicht aufgepasst haben, dass ein wahnsinnig gewordener Finanzkapitalismus alles kaputt gemacht hat, was wir uns an demokratischen Errungenschaften erarbeitet haben. Man muss gar nicht bestimmte Menschen nennen – es ist die gesamte europäische Sozialdemokratie, die versagt hat. Eine Sozialdemokratie, die sich schon vor zehn Jahren dem Neoliberalismus angebiedert hat. Wir haben noch Zeit, dass Scheitern rückgängig zu machen. Aber es geht nur mit einer starken Zivilgesellschaft und wenn die europäische Sozialdemokratie sich besinnt und sich vom Neoliberalismus lossagt. Ich habe kürzlich in einem Blog geschrieben: Bei der nächsten Wahl werde ich Rosa Luxemburg wählen. Was sind Ihre Zukunftspläne? Gar keine. Ich habe mir seit Jahren abgewöhnt, mir groß etwas vorzunehmen. Das Schicksal hat mir sowieso immer einen Strich durch die Rechnung gemacht. Immer, wenn ich mir etwas extrem vorgenommen habe, ist es bestimmt anders gelaufen. Und immer, wenn ich mir nichts vorgenommen habe, ist es so gelaufen, wie es mir dann gefallen hat. Aber ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr noch eine CD aufnehme, mit den Liedern, die ich vergessen habe im neuen Album. Dafür habe ich immerhin unter 600 Titeln ausgewählt. Sie haben gekokst, wurden verurteilt, sind seit langem raus aus der Drogensucht. Was sagen Sie den Leuten, die Drogen nehmen? Wenn ich ihnen jetzt sagen würde, Kinder, lasst die Finger von den Drogen, würden sie mich auslachen. Sie würden sagen: Er lässt es sich 20 Jahre damit gut gehen und jetzt warnt er uns davor. Ich kann nur eins tun: ihnen nur meine Geschichte erzählen. Trotz Ihrer eigenen üblen Suchterfahrung sind für eine Freigabe von Drogen – warum? Ich bin ein radikaler Verfechter der Legalisierung von Drogen. Ich halte es für eine Katastrophe, etwas zu verbieten, was nur einer mörderischen Mafia in die Hände spielt. Es geht auch darum, Drogen moralisch zu legalisieren. Es hat keinen Sinn, Menschen zu kriminalisieren für etwas, was ihnen selbst schadet. Ich würde alles legalisieren, aber mit Abgabeauflagen, über Apotheken zum Beispiel. Legalisierung aller Drogen – und Vernichtung aller Waffen. Das wäre weitaus gesünder für die Menschheit. Das Album Konstantin Wecker: „Poesie und Widerstand“, erschienen bei Sturm & Klang (Alive)

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