Speyer Weiblicher Blick auf Geschichte

Elena Ferrantes Romanreihe über Leben und Schicksal der Freundinnen Lila und Elena in Neapel hat die Leser offenbar auf den Geschmack nach einer lokal verorteten, weiblichen Geschichtsschreibung in Romanform gebracht. Die Journalistin Carmen Korn hat sich mit ihrer Jahrhundert-Trilogie, deren zweiter Band „Zeiten des Aufbruchs“ erschienen ist, auch in die Herzen des Speyerer Publikums geschrieben.

In drei Speyerer Buchhandlungen belegen Korns Romane vordere Plätze der Bestsellerlisten. Grundlage ist die recherchierte Alltagsgeschichte des vorigen Jahrhunderts im Stadtviertel Uhlenhorst ihrer Wahlheimat Hamburg. Dort begegnen sich Henny, Käthe, Ida und Lina – vier junge Frauen mit unterschiedlichen Temperamenten und familiären Hintergründen. Zwischen ihnen entsteht eine enge Freundschaft, während sie die Herausforderungen des 20. Jahrhunderts miteinander erleben. Im aktuellen zweiten Band beginnt die Zeit des Wirtschaftswunders, in der die Frauen und ihre Kinder nach den Schrecken des Krieges eine Welt mit Chancen und freundlicheren Tönen kennenlernen dürfen. Der abschließende dritte Band der Buchreihe soll im Herbst auf den Markt kommen. Während die Generation von Carmen Korns Romanfiguren viel Aufruhr und Drama erfahren musste, scheint es den Erwachsenen der Gegenwart an Herausforderungen zu mangeln. So zeigen Simon Strauss’ Erfahrungsessay „Sieben Nächte“ und Jessica L. Lees „Mein Jahr im Wasser“ die Suche ihrer Generation – der in den 80er Jahren geborenen – nach dem Gefühl des Lebendigseins und dem Abenteuer. Beide Autoren sind hochgebildet, mit Promotion und erstklassigem Lebenslauf: Lee lebte in England, bis sie mit Ende 20 nach Berlin kam, um dort in Umweltgeschichte zu promovieren. Strauss absolvierte ein internationales Studium und promovierte ebenfalls in Berlin. Seit kurzem arbeitet er als Feuilletonist bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Mein Jahr im Wasser“ ist Lees persönliche Seen-Chronik und ein Buch über ihre radikale Strategie des Heimischwerdens. Ein Jahr lang machte sie sich auf, ihre neue Umgebung in Berlin dadurch kennenzulernen, dass sie jeden Tag in einem anderen See schwimmen ging – egal, bei welchem Wetter. Fern vom Ort, an dem sie aufwuchs, bezwingt sie sich selbst und schließt Freundschaft mit der Natur um sie herum. Strauss folgt in „Sieben Nächte“ dem Vorschlag eines Älteren – vielleicht dem Teufel. Der verspricht ihm einen Ausweg aus seinem Dilemma: der Angst vor der Vorstellung, sein Leben könnte so geschmeidig, glatt und reibungslos weitergehen wie bisher. In sieben Nächten will der Fremde ihn mit den sieben Todsünden verführen. Strauss lässt sich darauf ein und schreibt nach jeder Nacht seine Eindrücke auf. Das Ergebnis ist das Tagebuch eines sehnsüchtigen Abenteurers, der, gelähmt von den Erwartungen der Gesellschaft und den ihm auferlegten Verantwortungen, nicht über seinen eigenen Schatten springen kann. Sicher, dass sich die Dinge tatsächlich ändern, kann sich der Leser nicht sein. Mit seinem Selbstexperiment demaskiert Strauss die Schutzmechanismen einer beneideten gesellschaftlichen Elite, die sich damit ihr eigenes Lebendigsein vorenthält.

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