Speyer Mindestens zweideutig

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Landau/Speyer. Ende 2016 hat ein südpfälzischer Bürger das Landauer Rathaus auf die Zwiespältigkeit im Lebenslauf des einst in Landau und als Kirchenpräsident in Speyer wirkenden evangelischen Pfarrers aufmerksam gemacht. Seitdem ist die Stadtspitze in Aufruhr. Flugs wurde das Stadtarchiv beauftragt, die Vorwürfe zu prüfen. Ergebnis: Der Bürger hat Recht. Bei der Prüfung 2011 habe sich das Archiv unter Leitung von Christine Kohl-Langers Vorgänger Michael Martin zu sehr auf die Jahre 1933 bis 1945 konzentriert, heißt es jetzt. Die Straße nach Stempel zu benennen, sei ein „Fehler“ gewesen, sagt Kohl-Langer. Die Frage sei, wie man nun damit umgehe. So spricht sie aber nur intern. Das geht aus Unterlagen hervor, die der RHEINPFALZ vorliegen. Öffentlich äußert sie sich nicht. Was sagt die Evangelische Landeskirche der Pfalz? Stempels Lebenslauf sei ambivalent, und es gebe noch eine Menge aufzuarbeiten, heißt es in der Antwort an die RHEINPFALZ. Aber es seien noch nicht alle Quellen zugänglich, betont Pressesprecher Wolfgang Schumacher. Stempel war von 1948 bis 1964 Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche der Pfalz. Das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm 1956 verliehen. Zu den Beisetzungsfeierlichkeiten am 6. November 1970 in der Landauer Stiftskirche kam Bundespräsident Gustav Heinemann. Die Fakten, die bei der Bewertung der Verdienste Stempels eine Rolle spielen: Der Geistliche war ab 1953 im Präsidium der „Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“. Der Verein unterstützte nationalsozialistische Kriegsverbrecher in der Gefangenschaft. Darunter: Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“, und Martin Sommer, der „Henker von Buchenwald“. Im Vorstand der „Stillen Hilfe“ waren auch mehrere ehemalige SS-Offiziere. Die Organisation stellte die Kriegsverbrecher als schuldlose Opfer dar und kritisierte die Urteile nach 1945 als „Siegerjustiz“. Zudem war Stempel förderndes Mitglied der SS und in sechs weiteren nationalsozialistischen Organisationen, aber nicht in der NSDAP. Nachzulesen ist dies im Buch „Landau und der Nationalsozialismus“, herausgegeben von der Stadt Landau 2013. Die Stadt hat Klärungsbedarf: Oberbürgermeister Thomas Hirsch und Bürgermeister Maximilian Ingenthron haben sich im Januar mit Vertretern der Evangelischen Kirche getroffen. Die Kirche habe zugesagt, die Biografie Stempels kritisch aufzuarbeiten. Das will die Stadtspitze abwarten. Auch im neuen Handbuch „Protestanten ohne Protest“ ist Stempel zwar erwähnt, die Verbindung zur „Stillen Hilfe“ aber fehlt, weil die Autoren nur bis 1945 geschaut haben. Hinter verschlossenen Türen wird Oberbürgermeister Hirsch deutlicher. Die Straße umzubenennen, sei eine Ehr-Aberkennung, die „Bedeutung für die Stadt und für die Evangelische Kirche“ habe. Denn es gebe auch den Ansatz, Stempels Engagement bei der „Stillen Hilfe“ könne von tiefergehender Barmherzigkeit zeugen. Der Nachlass sei im Besitz der Familie, die ihn nicht herausgebe und sich zudem mit der Kirche in einem Rechtsstreit befinde. Martin Stempel, ein Sohn des Pfarrers, widerspricht Hirsch: „Es gibt keinen Rechtsstreit mit der Kirche.“ Das bestätigt die Landeskirche. Der Vorschlag, eine Straße nach Stempel zu benennen, stammt von der Landauer CDU-Fraktion. Das war 1998. Michael Martin betont auf Anfrage, er habe sich bei der Prüfung 2011 am damaligen Forschungsstand orientiert. Aber: „Dass Stempel eine zweideutige Figur war, war damals schon klar.“ In Speyer hat der Kulturausschuss hat die Benennung der Hans-Stempel-Straße auf dem Normand-Gelände am 5. Dezember 2000 einstimmig befürwortet. Die Initiative dazu ist aber deutlich älter, wie Verwaltungssprecher Matthias Nowack auf Anfrage sagt. Sie sei von Luise Herklotz, damals Mitglied des Europäischen Parlaments für die SPD, gekommen. Die spätere Speyerer Ehrenbürgerin habe in einem Schreiben vom 5. August 1980 an den Kirchenpräsidenten den Vorschlag einer Straßenbenennung nach Hans Stempel eingebracht. Konkrete politische Debatten darüber sind seither nicht bekannt geworden. Nowack betont jedoch, dass Oberbürgermeister Hansjörg Eger (CDU) eine Aufarbeitung der Speyerer NS-Geschichte durch das Stadtarchiv in Auftrag gegeben habe. „Dies wird sicherlich dazu beitragen, ambivalente Persönlichkeiten wie Hans Stempel neu zu bewerten“, so der Pressesprecher. Eine kurze Recherche zeigt: Stempels Engagement nach 1945 war bekannt. 1992 veröffentlichte Ernst Klee einen Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“, die RHEINPFALZ berichtete bereits 1970 wohlwollend über Stempels Einsatz für Kriegsgefangene. Seit 2008 steht seine Rolle bei der „Stillen Hilfe“ im Online-Lexikon Wikipedia. Die Geschichte der Kirche in der NS-Zeit sei keine Heldengeschichte, so Landeskirche-Sprecher Schumacher. Sich um Kriegsgefangene zu kümmern, sei Stempels Amtsauftrag gewesen. Es sei eine protestantische Grundhaltung: Der Mensch sei gleichzeitig Sünder und Gerechter. „Das gilt auch für Hans Stempel.“

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