Speyer Eine Reise in längst vergangene Zeiten

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Auf dem Boden sitzen und/oder barfuß laufen – das sind wohl die Voraussetzungen, um ein echter Mittelalter-Fan zu sein. Zumindest lassen diese sich nieder, wo es gerade passt und scheuen selbst staubendes Sandkies-Gemisch beim Laufen nicht. Ansonsten gibt es jeden Menge ausgefallene Kostüme zu sehen beim Mittelalterlichen Phantasie Spectaculum, das Samstag und Sonntag den gesamten Domgarten samt Klipfelsau und Rheinstadion eingenommen hat. Selbst der Tod kommt dort auf zwei Beinen.

Die Hitze, die am Wochenende die Luft nach unten und den Schweiß aus allen Poren drückt, scheint an den Mittelalter-Fans abzuprallen. „Heut’ Nachmittag war`s schlimm, aber jetzt geht`s“, sagt der junge Mann in dickem Leinenhemd und nicht weniger dicken Hose, der sich Kilian nennt und mit seinen Freunden aus Eberbach im Odenwald angereist ist. Das Thermometer zeigt immer noch um die 30 Grad und der Anblick der in Kunstleder und Korsagen gehüllten Menschen sorgt bei Beobachtern für Hitzewallungen. Die so Gewandeten aber sind cool. Selbst mit Fell am Handgelenk. Anita grinst. „Basst scho“, sagt die Frau aus Regensburg. Sie ist bei Freunden aus Ludwigshafen zu Gast. Zwei Tage lang geben sie sich Mittelalter pur. Selbst die härtesten Recken sind für eine Erfrischung dankbar. Für die Besucher gibt es kostenlose Freiluftduschen. Die sind schnell präpariert: Holzplattform, ellenlange Schläuche, Brausekopf dran – fertig. Wer es dezent möchte, duscht nur die heiß gelaufenen Füße, wer auf’s ganze geht, streckte den Kopf darunter und schüttelte das Haar einfach wieder trocken. Und damit auch die Vierbeiner das Mittelalter-Spektakel genießen können, gibt es Hundetränken. Dazu wurden riesige Bottiche auf dem Gelände verteilt. Ein Füllhorn mittelalterlicher Freundlichkeit wird ausgeschüttet. An Kreativität fehlt es dem Veranstalter nicht. Das macht das Ganze zwar reichlich kommerziell, aber lehrreich. Nixenkuss und Palmendieb werden im Glas serviert – Cocktails von anno dazumal. Nebenan verlangt einer die Tote Tante. Wer nicht fragen möchte, dem tut lesen gut: Kakao mit Rum steckt dahinter. Das Heißgetränk ist bei weitem nicht so stark gefragt wie Abkühlung jeder Art. Wie viele Wasserflaschen über die Theke gehen, ist nicht zu zählen. Met, Cider und Zaubertrank müssen bis in den Abend warten. Vorbildlich, die Mittelalter-Menschen. Und offenkundig haben sie schon den Trend des Jahres 2016 im Blick: vegane Reispfanne und Frozen Joghurt – der historische Bezug ist da angesichts klingelnder Kassen zweitrangig. Bei „Seyfried“ glänzen die Augen; nicht wegen des Fechtkampfs, den er eben auf dem Kampfplatz beobachtet hat. Er hat den Bogen neu für sich entdeckt bei einem Händler. „Damit gehe ich auf die Jagd“, informiert der 45-Jährige aus der Nähe von Heidelberg und grinst. Etwas anderes war nicht zu erwarten. Im normalen Leben ist „Seyfried“, der seinen bürgerlichen Namen lieber für sich behält, im Bogenschützenverein. Ein Gaukler im Fetzengewand pirscht sich an Ruhesuchende auf der Wiese heran, während ein Rabe die vierjährige Lilli fixiert. Das Brötchen in ihrer Hand ist einfach zu verlockend – und der Kleinen vergeht der Appetit. Medicus Bombastus hat seine letzte „Sprechstunde“ gegeben und Falkner Achim seine Vögel schlafen gelegt. Der bettelnde hässliche Hans ist geflohen und im Puppentheater hat es sich ausgekaspert. Selbst der Tod hat sich verzogen. Über dem Spectaculum-Gelände liegt ein mystisches Flair; entspannt, friedvoll, gemütlich. Die neun Heerlager vor den Toren sind leer gefegt. Die Mitreisenden haben sich unters Volk gemischt. Flackernde Fackeln heizen nach wie vor ein. Die Musik hat jetzt Hoch-Zeit auf drei Bühnen. Dass die Pest kurz vor Mitternacht durchs Land zieht, stört nicht weiter. Mittelalter-Menschen sind eben hart im Nehmen. Bildergalerie Eine Bildergalerie zum Spectaculum befindet sich in der RHEINPFALZ-App.

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