Speyer „Die Frauen wollen verantwortungsvoll handeln“

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Ludwigshafen/Schifferstadt. Was durchleben Eltern, die entscheiden müssen, ob sie ihr höchstwahrscheinlich krankens Kind im sechsten Monat abtreiben? Um diese Frage geht es im Film „24 Wochen“, den die Volkshochschule des Rhein-Pfalz-Kreises am 11. Januar zeigt. Doreen Reber sprach mit Christine Lampert über das Thema. Sie ist Geschäftsführerin der Bischöflichen Stiftung für Mutter und Kind im Bistum Speyer.

Frau Lampert, in dem Film erfährt Astrid bei einer Vorsorgeuntersuchung, dass ihr ungeborenes Kind das Down-Syndrom und einen schweren Herzfehler hat, sie entscheidet sich für eine Spätabtreibung. Die pränatale Diagnostik wird immer besser. Werden bald keine kranken oder behinderten Kinder auf die Welt kommen?

Es ist tatsächlich so, dass zum Beispiel immer weniger Kinder mit Down-Syndrom geboren werden. Denn bei 90 Prozent der Diagnosen Trisomie21 wird die Schwangerschaft abgebrochen. Aber behinderte Menschen wird es dennoch geben, denn eine Vielzahl von Behinderungen wird durch Krankheit oder Unfälle verursacht. Die wenigsten liegen schon in der Schwangerschaft vor. Dennoch: Mit einem Bluttest können heutzutage verschiedene Behinderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt werden. Es gibt sogar Überlegungen, solche Tests zur Kassenleistung zu machen. Das klingt doch gut. Wird es zur Kassenleistung, wird es ein Screening. Das heißt, alle Schwangerschaften werden untersucht, auch die Nicht-Risiko-Schwangerschaften. Für die Krankenkassen geht es hier wahrscheinlich auch um Kosten. Ein Screening ist günstiger als die Folgekosten, die ein behindertes Kind verursacht. Das wiederum ist bedenklich. Ja, und es sagt viel über die vorherrschende Einstellung der Gesellschaft aus. Die hat sich schleichend geändert. Es gibt ein Ideal von Gesundheit, einen vermeintlichen Anspruch darauf. Als sei Gesundheit machbar. Das erhöht den Rechtfertigungsdruck. Für die Mutter ist der Test gewiss auch ein Gewinn. Sie möchte wissen, ob ihr Kind gesund ist. Aber wie mit dem Ergebnis umgehen, das zum Beispiel Astrid in dem Film bekommen hat? Und genau dieser Frage sollten sich Frauen und Paare bewusst sein, bevor sie sich für pränatale Tests entscheiden. Im Film wird das Dilemma, in dem die Familie steckt, sehr genau gezeigt. Und auch der Weg bis zur Entscheidung. Entspricht das ihren Erfahrungen? Die Frauen beschreiben es so, dass sie unter Schock standen, wie unter einer Glasglocke waren. Und dass sie plötzlich keine Gefühle für das Kind mehr hatten, also die Verbindung zum Kind verloren hatten. Die Art, wie ich bis dato mit Problemen umgegangen bin, ist dann entscheidend. Und das soziale Umfeld spielt eine große Rolle. Ich sage es mal provokativ: Sowohl die Pille, als auch der straffreie Abbruch haben die Frauen ganz stark in die Verantwortung genommen. Und die Frauen wollen verantwortungsvoll entscheiden und handeln: für das Kind, für die Partnerschaft, die Familie und das Umfeld. Bei der Entscheidung helfen könnte in diesem Fall eine Schwangerschaftsberatung. In der Diözese Speyer gibt es elf Standorte von Caritas und dem Sozialdienst katholischer Frauen. Wie viele Beratungen haben Sie pro Jahr? Im Jahr 2015 haben wir 2430 Frauen beraten, in 42 Fällen war der Anlass eine pränatale Untersuchung, also hat zum Beispiel ein Gynäkologe eine mögliche Behinderung des Kindes diagnostiziert. In einem dieser Fälle musste die Frau über eine Spätabtreibung entscheiden. Bundesweit gab es laut Statistischem Bundesamt im gleichen Jahr 3879 Abbrüche nach der 13. Schwangerschaftswoche, das sind 3,9 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche. Die Zahl der Spätabtreibungen steigt. Was sind die Themen in der Schwangerschaftsberatung, wenn eine Frau eine Spätabtreibung erwägt? Wie der Eingriff medizinisch abläuft, darüber sind die Frauen gut informiert. In der Beratung zuvor unterstützen wir die Frauen, sich über ihre Gefühle klar zu werden und über die Fragen nachzudenken, die sie noch haben. Wir halten dazu an, sich Zeit zu lassen und sich mit allen Ängsten, die die Entscheidung bestimmen, auseinandersetzen. Zum Beispiel: Wer kümmert sich um das behinderte Kind, wenn ich nicht mehr da bin? Oder: Hat das Kind Schmerzen? Sie sollen sich auch bewusst werden, auf was sie sich bisher in schwierigen Lebenslagen verlassen konnten. Die Zahlen der Beratungen sind im Vergleich zu den Spätabbrüchen relativ gering. Wollen die Frauen nicht beraten werden? Meine Hypothese ist: Die Betroffenen können sich nicht vorstellen, dass es hilfreich ist, mit jemand anderem, fremdem darüber zu sprechen. Meist haben sie es in der Partnerschaft, der Familie oder im Freundeskreis besprochen. Eine andere Vermutung ist, dass viele Ärzte nicht ausführlich über diese Möglichkeiten informieren. Das meine ich nicht vorwurfsvoll. Ich glaube sogar, die Ärzte wollen die Frauen schützen. Vielleicht befürchten sie, eine Beratung könnte eine zusätzliche Verunsicherung sein. Gibt es vielleicht auch Vorbehalte gegenüber einer Beratung „unter religiösem Dach“? Also dass das christliche Gebot „Du darfst nicht töten“ möglicherweise die Beratung bestimmt. Dass manche Ärzte diesen Vorbehalt haben, kann ich mir vorstellen. Den meisten Ratsuchenden ist aber zu Beginn der Beratung nicht bewusst, dass die Caritas eine kirchliche Einrichtung ist. Und? Steht für katholische Beratungsstellen der Schutz des ungeborenen Lebens an oberster Stelle? Für uns gilt, dass jedes Leben ein Geschenk Gottes ist. Aber es ist auch so: Jesus hat jeden angenommen. Auch die, die sagen, ich schaffe das nicht. Wir nehmen die Frauen in ihrer individuellen Not an. Das Wichtigste ist, dass die Frau, das Paar gut informiert eine Entscheidung trifft. Dazu geben wir auch einen Überblick über die Unterstützungsangebote. Termin Anmeldung und Informationen zum Kinoabend am 11. Januar, 19 Uhr, im Schifferstadter Rex Kinocenter mit anschließender Diskussion unter Telefon 06235/44305 oder per E-Mail an u_frisch@schifferstadt.de. Gebühr: fünf Euro. |doo

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