Speyer Ausgelassenheit mit langem Anlauf

Vielseitigkeitsprüfung am Ende bestanden: Philipp Poisel. Eine Bilderstrecke zum Konzert finden Sie in der RHEINPFALZ-App.
Vielseitigkeitsprüfung am Ende bestanden: Philipp Poisel. Eine Bilderstrecke zum Konzert finden Sie in der RHEINPFALZ-App.

Mit einem vor allem zum Finale hin auch sehenswerten Konzert hat der Sänger Philipp Poisel am Sonntagabend die Schwetzinger Open-Air-Reihe „Musik im Park“ beendet. Rund 3200 Zuschauer erlebten im Schlossgarten eine Annäherung des 34-Jährigen an derzeit gängige Standards der Popmusik.

Bei der zweiten Zugabe passiert’s: Scheinbar schlagartig verwandelt Philipp Poisel sich vom schüchternen Jungen mit Gitarre in einen wahren Derwisch. Zu den Klängen von „Als gäb’s kein Morgen mehr“ tobt der Sänger aus Tübingen minutenlang über die Bühne, hüpft, dreht sich, zeigt gar eine Breakdance-Einlage, der prompt ein eingeschobenes DJ-Set folgt. Folgerichtig kommt unter der Hülle eines stilisierten Vollmonds im Bühnenbild nun eine große silberne Diskokugel zum Vorschein. Die Metamorphose deutete sich schon zuvor an: Nicht von ungefähr erinnert Poisels Ansprache ans Publikum immer wieder mal auffällig an den Chef seiner Plattenfirma, Herbert Grönemeyer. Auch bei dessen unorthodoxen Bewegungsabläufen auf der Bühne hat der Jüngere offenbar ebenso genau zugeschaut, wie er bei Grönemeyers eigenwilliger Artikulation hingehört hat, um sie für sich passend zu übernehmen. Einiges dreht sich um Veränderung in diesem Konzert, dessen Schwerpunkt Poisels aktuelles, in Nashville aufgenommenes Album „Mein Amerika“ bildet. Dessen druckvoller Stil hat manche Anhänger der ersten Stunde spürbar verschreckt, die Poisels zum Markenzeichen erhobenes verhuschtes Nuscheln und Stammeln sowie seine oft die Grenze zur Weinerlichkeit überschreitende Sensibilität nicht missen wollen. So ganz scheint der Sänger selbst dem Braten auch noch nicht zu trauen. Zumindest stellt er an den Beginn seines Auftritts sechs Lieder mit akustischer Klavier- und Streicherbegleitung. Mit dem Album-Titelsong nehmen Künstler wie Konzert Fahrt auf. Poisel erzählt nun mehr über einzelne Lieder. Zwar zünden nicht alle, dennoch nimmt der Unterhaltungsfaktor durch „Bis nach Toulouse“, „Nintendo“, „Eiserner Steg“, „San Francisco Nights“ und „Erkläre mir die Liebe“ deutlich zu. Es scheint, als nehme Philipp Poisel bis zum Zugabenteil Anlauf, um erst dann richtig zu explodieren. Da erinnert dann auf einmal nur noch wenig an den verletzlichen jungen Mann mit der Wuschelfrisur, der noch vor einer knappen Stunde im Lied „Froh dabei zu sein“ gejammert und geklagt hat: „Ich hab’ furchtbar Angst vorm Tod.“ Doch auch den gibt es noch: Denn als viele schon glauben, das Konzert sei vorüber, tauchen der Sänger und sein Gitarrist noch auf einem kleinen Podest mitten im Publikum auf, und Poisel singt voller Gefühl „Liebe meines Lebens“. Vielseitigkeitsprüfung bestanden. Überregionale Kultur

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