Neustadt Zurück in die Goldenen Zwanziger

Kammermusik im XXL-Format: Bei Daniel Schnyders Festmusik kommen (fast) alle diesjährigen Festivalteilnehmer zum Einsatz, elf an
Kammermusik im XXL-Format: Bei Daniel Schnyders Festmusik kommen (fast) alle diesjährigen Festivalteilnehmer zum Einsatz, elf an der Zahl.

«Neustadt-Hambach.» „Elf Freunde sollt ihr sein“, heißt es so schön im Fußball. Ein vergleichbares „Wir-Gefühl“ vermittelten die elf Festival-Teilnehmer beim letzten gemeinsamen Auftritt des Hambacher Musikfestes 2017 am Sonntagabend im Hambacher Schloss.

Das hat fast schon etwas Sensationelles: Erstmals gab der Förderkreis ganz exklusiv für das Hambacher Musikfest eine Festmusik in Auftrag, die alle Musiker zum „Festlichen Finale“ auf der Bühne vereinigen sollte. Um es gleich vorweg zu nehmen: Mit seiner Suite „Der Blaue Engel“ ist Komponist und Saxophonist Daniel Schnyder ein Geniestreich gelungen. Ein faszinierender Anblick: Da sitzen sie nun alle zum Abschluss auf der Bühne und zelebrieren Kammermusik im XXL-Format. Der linke Flügel besetzt mit dem „Mandelring Quartett“ und Pianist Paul Rivinius, rechts das „Rennquintett“ und Kontrabassist Christoph Schmidt. Einzig und allein Organist Simon Reichert fehlt. „Die Kirchenorgel hat leider nicht mehr in den Festsaal gepasst“, erläutert Gastgeber Sebastian Schmidt schmunzelnd. Lustig geht’s zu, die ein oder andere Nostalgieträne ist erlaubt, wenn Schnyder in seinem „Blauen Engel“, so der Titel des Werks, die moderne 3D-Brille aufsetzt und einen Blick auf die unterschiedlichen Musikauffassungen der Goldenen Zwanziger wirft. Das Ergebnis: Ein gewaltiges Klangspektakel bei dem alles erlaubt ist, ein wildes Potpourri aus Walzerseligkeit und Schnulzen, Strawinsky und Schönberg, Gershwin und Weill. Und eine Riesengaudi für die Interpreten, vor allem für Kontrabassist Christoph Schmidt, dem Schnyder ein schönes, bravourös umgesetztes Solo schenkt. Ungleich seriöser der Auftakt des Abends mit Ravels 1903 komponiertem Streichquartett F-Dur. Das renommierte Internet-Portal classical.com, so lesen wir im Programmheft, klassifiziert das Meisterwerk als eins der fünf besten aller Zeiten. Respekt vor dem „Mandelring Quartett“: Was die vier Streicher da ohne große Vorbereitungszeit abliefern, ist schlichtweg grandios. Kein üppiges Klanggemälde breiten sie vor den Augen des Publikums aus, sondern filigranste Federzeichnungen, feinnervig flirrende Klangfarbenspiele, unübertroffen in ihrer Klarheit und Durchsichtigkeit, mystisch und gespenstisch zugleich, detailverliebt, ohne Verlust der großen Linie. Das ist hochentwickelter Klangsinn, das ist musikalischer Impressionismus pur. Liebes „Mandelring Quartett“, wir bitten dringendst um eine CD-Einspielung! Von Max Bruch kennt man lediglich sein berühmtes Violinkonzert, allenfalls vielleicht noch die Schottische Fantasie und das Kol Nidrei für Cello. Dass aus seiner Feder wertvolle Kammermusiken stammen, weiß das „Mandelring Quartett“ und hat dessen Quintett für Klavier und Streichquartett g-Moll aus der Raritätenkiste ausgegraben. Wieder erweist sich Paul Rivinius als idealer Kammermusikpartner, als einer, der, so Sebastian Schmidt, „nie dominant ist, aber dominierend, wenn nötig“. Was das frisch formierte Klavierquintett anbietet, geht direkt ins Ohr, und entlarvt den im Schatten Brahms stehenden Romantiker als Melodienerfinder par excellence. Unvergesslich die wie aus einem Guss präsentierten rasenden Unisoni im Scherzo oder das herrlich rhapsodisch artikulierte Finale „Allegro agitato“. „Ihr seid eine tolle Truppe“, bescheinigt Sebastian Schmidt dem „Rennquintett“, dem zweiten Hauptensemble Festivals 2017. Als große Sympathieträger haben die fünf Herren im Frack für eine lockere Atmosphäre im oftmals zu ernst erlebten Klassikbetrieb gesorgt und als überregional erfolgreiche Lokalmatadoren viel weiteres Pfälzer Kolorit eingebracht. Dem „Rennquintett“ regelrecht auf dem Leib geschrieben ist die Komposition „Mozart rennt“ von August Lehfuss. Seine Hommage an das Musikgenie schlägt sich in der unüberhörbar „deformierten“ Auslegung der berühmten Klaviersonate in A-Dur nieder, und unweigerlich fühlt man sich in den Klavierunterricht der Kindheit zurückversetzt, mit der gestrengen Lehrerin im Rücken. Das „Rennquintett“ darf nun aber befreit aufspielen und seinen musikalischen Fantasien freien Lauf lassen, wenn plötzlich weitere Ohrwürmer wie die „Kleine Nachtmusik“ Mozarts Sonatenpläne durchkreuzen und musikalische Humoristik auf gediegene Satztechnik trifft. Was übrigens durchaus erwähnungswert erscheint, weil es in der Kammermusik absolut unüblich ist: Das „Rennquintett“ spielt seine Paradestücke in der Regel auswendig, wie zum Beispiel die Ouvertüre zur Oper „Die Zauberflöte“, mit dem das Ensemble festlich-schwungvoll die zweiten Programmhälfte eröffnete. Zum Vormerken: Die 22. Auflage des Hambacher Musikfestes findet vom 30. Mai bis 3. Juni 2018 statt.

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