Neustadt Überwintern in Spanien

Joanda sah übel aus, als Dieter Weigand sie endlich wieder am Liegeplatz an der Adria besuchen konnte: übersät mit Pinienzapfen, voller Ungeziefer, gebeutelt vom Winter. Eineinhalb Jahre hatten sich der Neustadter Architekt nicht um sein Segelboot kümmern können, weil eine Leukämie-Erkrankung ihn jäh aus all seinen Plänen gerissen hatte. Nach überstandener Krankheit bricht er nun gemeinsam mit seiner Frau zu einem mehrmonatigen Segeltörn auf.

„Segeln bedeutet mir alles“, sagt der 59-Jährige, „weil es mir erlaubt, wie ein Nomade unterwegs zu sein.“ Angefangen hat die Leidenschaft mit einem kleinen Boot auf dem Altrhein – die beiden kleinen Kinder immer mit an Bord. Als die Kinder größer wurden, erweiterte sich auch der Radius. Das Ijsselmeer, England und die Nordsee waren das bevorzugte Segelrevier, die Flüsse von der Maas über die Rhône und die Saône bis zum Canal de l’Est wurden erkundet und schließlich das Mittelmeer erreicht. „An Bord hatten wir wunderbare Familienzeiten“, schwärmt Angelika Weigand. „Die Kinder durften sagen, wohin wir fahren – Hauptsache wir kommen mit dem Boot dorthin.“ An Erfahrung mangelt es den beiden nach all den Jahren nicht – meterhohe Wellenberge, Wetterphänomene wie Mistral oder Bora und lange Nachtfahrten haben sie gemeistert. Den Plan, irgendwann eine große Segelfahrt zu starten, gibt es schon lange: 2004 kaufte sich das Architektenpaar eine hochseetaugliche 14-Meter-Aluminium-Yacht und renovierte das 30 Jahre alte Boot von Grund auf. Heute ist das Schiff für sechs Leute komfortabel eingerichtet und mit allen Details für einen Hochseesegeltörn – von einer Selbststeueranlage, autarker Stromversorgung und Wasseraufbereitung bis hin zu GPS, Radar und AIS für die Identifizierung von Schiffen – ausgestattet. Seit dem Beginn seiner beruflichen Laufbahn hat Dieter Weigand außerdem mit höheren Beitragszahlungen dafür gesorgt, nicht bis zum offiziellen Rentenalter arbeiten zu müssen. Der jetzige Start der Segellangfahrt war allerdings nicht geplant. 2016 machte die Diagnose „Leukämie“ allen Plänen erstmal ein Ende. „Die ersten 14 Tage war ich nur erschüttert über die Dinge, die ich nicht gemacht hatte“, berichtet Dieter Weigand. „Dann habe ich langsam erkannt, was alles gut gewesen war und hätte auch einen positiven Schlussstrich unter mein Leben ziehen können. Aber ich merkte, dass ich leben will und dass wir das packen.“ Der Weg war trotzdem schwer: Ein halbes Jahr durfte Weigand das sterile Krankenzimmer im Klinikum Mannheim nicht verlassen, nur fünf ausgewählte Personen durften ihn besuchen. Eine Stammzellenspende seines Sohnes brachte Hoffnung. „Ich konnte nicht mehr laufen, habe 20 Kilo verloren, und die Bestrahlung hat die Nerven meiner Arme und Beine zerstört“, erzählt Weigand, der trotzdem voller Dankbarkeit ist. „Das erste Jahr der Krankheit überleben nur 30 Prozent, und vielen meiner Mitpatienten geht es heute viel schlechter.“ Geholfen haben dem Neustadter die Unterstützung durch Freunde und Familie, die Anteilnahme von Kollegen – und seine Frau. „Angelika ist mein größte Unterstützung, mein Ansporn, meine Trainerin – ohne sie hätte ich es nicht geschafft“, sagt der Segler mit Blick auf seine Ko-Kapitänin. Die beiden scheinen in allen Lebenslagen ein Team zu sein, im Leben, im Beruf und an Bord. „Ich bin wagemutiger und suche die sportliche Herausforderung. Ich stehe am Steuer, während mein Mann mit ruhiger Hand die Segel manövriert“, lächelt die 56-Jährige. Inzwischen kann sich Weigand wieder intensiv über die kleinen Dinge im Leben freuen: „Mein Körper ist noch schwach, und mein Kopf vergisst wegen der Chemotherapie viel. Aber ich bin voller Lebensfreude und will nichts mehr aufschieben.“ Da er aufgrund der Krankheit die nächsten Jahre nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann, fiel der Entschluss, aufzubrechen, nicht schwer. In dieser Woche liefen die Weigands in Kroatien an der Adria mit Joanda aus. Süditalien, Malta und Sizilien stehen auf der Wunschliste, dann vielleicht Sardinien und die Balearen. Zunächst muss Dieter Weigand noch alle vier Wochen zur Kontrolluntersuchung nach Mannheim, deshalb ist der Radius begrenzt. Den Winter möchte er gerne in einem Hafen in Südspanien verbringen. Sobald es grünes Licht von den Ärzten gibt, werden die beiden Skipper aber nach Westen abdrehen und auf dem Atlantik kreuzen. Je nachdem wie Dieter Weigand die Sonne verträgt, werden sie nach Süden Richtung Kapverden oder nach Norden gen Grönland steuern. Fährt die Angst mit? „Der Krebs ist immer mit dabei“, gibt Weigand zu. „Ich bin aufmerksam und vorsichtig, aber ich habe keine Angst.“ Angelika Weigand wird von unterwegs einen Reiseblog schreiben. „Man liest im Internet so viel Negatives und Deprimierendes über Krebs“, schildert sie ihre Motivation: „Wir wollen ein Zeichen setzen und Mut machen, dass man es schaffen und sogar auf eine Segellangfahrt starten kann.“

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