Neustadt Nicht nur Gedanken sollten frei sein

«Neustadt». Literaten und ihre Zuhörer drängten sich am Samstagabend in der obersten Etage des Scheffelhauses am Neustadter Marktplatz. In aufgeräumter Stimmung freute man sich am Zuwachs der Gruppe, an der Geselligkeit und an den vielfältigen Beiträgen, die hier bei der „September-Edition“, dem zweiten Treffen des frisch aus der Taufe gehobenen Neustadter Literatennetz-werks „Textur“, geboten wurden.

Die Kreativität der Teilnehmer wurde gleich zu Beginn herausgefordert. Niemand hatte damit gerechnet, dass auf dem Marktplatz ein lautstarkes Popkonzert stattfinden würde. Es war so laut, dass auch die doppelt verglasten Scheiben die Beschallung nicht ganz abhalten konnten. Eine Öffnung des Raumes zur Galerie Richtung Marktplatz hin war völlig ausgeschlossen. So beschloss man spontan, sich darauf einzustellen. Martina Gemmar, die zur Gitarre eigene Lieder und Texte vortrug, kann offenbar aus dem Vollen schöpfen. Kurzerhand stellte sie ihr Programm um und verzichtete auf die leisen Töne. Sie begann mit einer eigenen Version von „Die Gedanken sind frei“. Sie will sich nicht auf die Freiheit der Gedanken beschränken. Auch die Meinungen und das Äußern der Meinungen sind frei. In ihrem neuen Buch „Pressefreiheit - Update? The art of Guarding the Guards!“ geht es ihr um dieses Thema. Schlagworte wie „Fake News“ und „Lügenpresse“ werden begutachtet und bewertet. Die Freiheit der Presse sieht sie bedroht durch einen Umstand, der von den Medien selten thematisiert wird: die Konzentration derselben in den Händen weniger Eigner. Die Öffentlichkeit müsse auf die Medien aufpassen, um die Freiheit der Meinungsäußerung auf Dauer zu gewährleisten. Um das zu realisieren, fordert sie Transparenz über die Eigentumsverhältnisse. Wie Martina Gemmar kommt auch Peter Reuter aus der Südpfalz. Hier hat er sich als Badener erst mal einfinden müssen in die Gewohnheiten der Eingeborenen. Die geben Töne von sich, die sich anhören wie „Hugh“. Offenbar, so Reuter, handelt es sich um einen versprengten Indianerstamm. Diese und andere Miniatursatiren brachten das Publikum zum Schmunzeln und zum Lachen, besonders das schicksalhafte Zubereiten von Rührei, nachzulesen in seinem Buch „Randnotizen – Satiren und andere Wahrscheinlichkeiten“. Ganz anders danach der Vortrag von Oliver Steinke. Der Historiker hat sich auf historische Romane verlegt und gräbt interessante Geschichten aus, die er am Rande der bekannten historischen Vorgänge findet. Allgemein bekannt ist, dass die Engländer nach ihrer Eroberung einiger westindischer Inseln dort mithilfe von Sklavenarbeit Zuckerrohr angebaut haben. Unbekannt ist aber, dass es sich bei diesen Sklaven nicht nur um verschleppte Afrikaner gehandelt hat, sondern auch um Iren, die als Gefangene nach den Verwüstungen, die Oliver Cromwell im 17. Jahrhundert in Irland angerichtet hat, auf die Inseln gebracht wurden. Steinke entwickelt eine spannende Geschichte um einen jungen Iren, der der Sklaverei entfliehen kann und sich den Buccaneers, den karibischen Piraten, anschließt. Der Titel des bereits vor einigen Jahren erschienenen Buches: „Kaperfahrt nach Palmares: Das Leben des Piraten Hugh O’Driscoll“. Usch Kiausch, die aus Budjadingen an der Nordsee stammt, aber längst ein Urgestein der Neustadter Kulturszene ist, beschäftigt sich nicht mit der Seefahrt oder mit Piraten. Sie schildert eine eindringliche Episode, die die Wahrnehmung eines autistischen Menschen zeigt und die Schwierigkeit, überhaupt eine Verbindung zu diesem Menschen zu finden – die Sprache von Kiausch zieht den Zuhörer in ihrer Bann. Das „Duo Gaga“, wie sich Wolfgang Glass und Hans Gareis nennen, stellten ihr neues Buch „Hunger? Lust?“ vor, Bilder und Rezepte zum Nachkochen – auch zum Aufessen? Man nehme eine „Barbiepuppe, Schokolade und Chiliflocken“…, der Rollbraten wird „entfesselt“ – ein Buch zum Amüsieren. Der „Textur“-Vorsitzende Michael Landgraf hat in jahrelanger Feinarbeit, wie er erzählte, die Zehn Gebote ins Pfälzische übersetzt. Die Ordnung der Gedanken in Schubladen trug er in einem Gedicht in Pfälzischer Mundart vor. Einen pfälzischen Ausklang hatte auch Martina Gemmar im Repertoire: „Alles Guuud“ dreht sich um die Macken anderer Leute. Durch den Abend führte der Deidesheimer Wolfgang Bachmann, leicht und beschwingt. Er trug auch einige kurze Texte vor, die er als Kolumnist für verschiedene Zeitungen geschrieben hat, darunter die kleine Geschichte, wie man von der Kneipe nach Hause kommt. Gibt es für eine Veranstaltung in einem Weinlokal einen geeigneteren Schluss? Termin Als nächste „Textur“-Veranstaltung gibt es am 27. Oktober am selben Ort eine „Geisterstunde“ mit Gruseltexten. Eintritt ist frei.

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