Neustadt Neustadt: Wechsel bei Ausländerbehörde

Zum Abschluss sang Nicole Metzger mit Helfern und Flüchtlingen Imagine von John Lennon.
Zum Abschluss sang Nicole Metzger mit Helfern und Flüchtlingen Imagine von John Lennon.

Die Beigeordnete Waltraud Blarr (Grüne) hat von Georg Krist (FWG) die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde übernommen – das hat erste Auswirkungen.

Wie mit abgelehnten Asylbewerbern in Neustadt umgegangen wird, wurde bislang im Ordnungsdezernat von dem Verwaltungsjuristen Georg Krist entschieden. Seine Nachfolgerin, von Beruf Landschaftsplanerin, holt sich Rat beim Rechtsamtsleiter Andreas Bauer, der dem Dezernat des Oberbürgermeisters angehört. Strittig sind derzeit zwei Fälle, bei denen die Asylbewerber bei der Einreise falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben. Und damit haben sie nach dem Gesetz einen Bleibe-Anspruch aus humanitären Gründen verwirkt. Solche Fälle werden deshalb auch von der Härtefallkommission des Landes abgelehnt, selbst wenn die Familien sehr gut integriert sind.

Argument: Tochter könne ja nichts dafür

Konkret geht es einmal um eine fünfköpfige Familie aus Aserbaidschan, die seit elf Jahren in Neustadt lebt und der vom Verwaltungsgericht ein Bleibe-Recht gebilligt wurde, weil die älteste Tochter bereits 14 Jahre alt ist. Und damit darf auch die gesamte Familie bleiben. Das Gericht argumentierte sinngemäß, dass die Tochter ja nichts dafür könne, dass ihre Eltern vor elf Jahren falsche Angaben machten. Gegen diese Entscheidung hat die Stadt noch unter Georg Krist Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt. Krist erklärt auf Anfrage, dass es ihm dabei um die Gleichbehandlung gegangen wäre. Es gebe viele solcher Fälle, darunter Familien, deren Integrationsfähigkeit er höher einstufe, weil sie zum Beispiel einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen würden, ohne sich auf Sozialleistungen zu verlassen. Um für diese Familien Rechtssicherheit zu bekommen, sei das Oberverwaltungsgericht angerufen worden.

Beschwerde in Koblenz zurückgenommen

Waltraud Blarr hat die Beschwerde nun aber in Koblenz zurückgenommen. „Auf Anraten von Herrn Bauer“, wie sie berichtet. Der habe auf das Risiko verwiesen, dass das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt wieder „kassiert“ und die Familie damit ausreisen müsse. Außerdem handele es sich um ein Eilverfahren, die selten als Grundsatzbeschlüsse für andere Fälle herangezogen würden. Dem widerspricht Krist. Im Asylrecht seien Eilverfahren der übliche Weg, weil anschließend die Abschiebung anstehe. Er habe bei dem Widerspruch gegen das Urteil vor allem eine sechsköpfige Familie aus Dagestan im Kopf gehabt, die eine deutlich größere Integrationsleistung vorweisen könne und der er mit dem erhofften Grundsatzurteil helfen wollte.

Bereits Geldbuße gezahlt

Der Unterschied: Das älteste Kind dieser Familie aus der russischen Teilrepublik Dagestan ist erst zehn Jahre alt und genießt damit nicht die sogenannte „Aufenthaltsgewährung für gut integrierte Jugendliche“. Die Geschwister sind drei, fünf und acht Jahre, alle in Neustadt geboren, und besuchen Kindergarten oder Grundschule. Die Familie kam vor neun Jahren in die Pfalz. Der Vater arbeitet als Fliesenleger. Die Familie bezieht nach Angaben von Matthias Cramer, der sie mit seiner Frau betreut, keine Sozialleistungen und bekomme nicht mal Kindergeld. Die falschen Angaben bei der Einreise seien bereits vor über fünf Jahren korrigiert worden. Der Mann habe eine Geldbuße gezahlt. „Der Familie ist damals gesagt worden, dass sie nur mit falschen Pässen eine Chance hätte“, berichtet Cramer. Bei einer Abschiebung nach Moskau müsse der Vater mit Verhaftung rechnen: „Das ist ein unpolitischer Mensch, der in seiner Heimat von islamischen Untergrundkämpfern bedroht wurde.“

Vergeblich um Ausnahme gebeten

Sozialdezernent Ingo Röthlingshöfer hatte sich im Vorjahr für die Familie eingesetzt und vergeblich die Härtefallkommission um eine Ausnahme gebeten. Über die aktuellen verwaltungsinternen Vorgänge ist er nicht informiert. Er sagt nur: „Da gibt es für Juristen auch einen Ermessensspielraum, verbunden mit der Frage, was schwerer wiegt: eine Lüge vor vielen Jahren oder eine wirklich beeindruckende Integration in unsere Gesellschaft.“ Waltraud Blarr berichtet, dass ein letzter Widerspruch für die Familie aus Dagestan in der vergangenen Woche vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt worden sei. Daraufhin sei die Abschiebung weiter betrieben worden. Sie stehe unmittelbar bevor. „Es liegen bereits die notwendigen Ausreisepapiere vor und die Flugtickets sind gebucht“, so Waltraud Blarr.

Mehrere Punkte prüfen

Die Dezernentin will in der kommenden Woche folgende Punkte aber noch prüfen:

  • Die Beigeordnete Waltraud Blarr (Grüne) hat von Georg Krist (FWG) die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde übernommen – und das hat erste Auswirkungen auf die Abschiebepraxis. Gestern Abend gab es auf dem Marktplatz eine Mahnwache für eine Familie aus Dagestan, die vor der Abschiebung steht.
  • Kann auf Grund einer drohenden Verhaftung des Vaters in Russland das Asylverfahren noch einmal aufgenommen werden?
  • Bleibt die Härtefallkommission künftig bei ihrer harten Linie, bei falschen Angaben keine Zugeständnisse zu machen? Waltraud Blarr will dazu persönlich mit Ministerin Anne Spiegel (Grüne) Kontakt aufnehmen.
  • Ist die Integrationsleistung der Familie so hoch, wie von Krist und der Familie Cramer beschrieben? Dazu will sich Blarr ein eigenes Bild von der Familie machen.

Entscheidung muss abgestimmt werden

Problem sei auch, dass Petra Neufing, die Leiterin der Ausländerbehörde, bis Mittwoch Urlaub habe. Eine Entscheidung werde auf jeden Fall mit ihr abgestimmt. „Vorher steht die Abschiebung nicht an. Ich möchte jetzt mal den Zeitdruck herausnehmen und will hier nicht der Buhmann sein. Ich bin zweieinhalb Wochen im Amt und kenne mich bei der Rechtslage noch nicht aus“, erklärt Blarr. Generell trete sie für eine rigorose Abschiebung von Kriminellen ein. „Wer Frauen sexuell belästigt, hat kein Anspruch auf eine Duldung.“ Der Fall der Familie aus Dagestan sei natürlich ganz anders gelagert. Trotzdem müsse sie sich an das geltende Recht halten, so Blarr, die die Woche nutzen will, um zu klären, welchen Spielraum sie dabei habe.

Bestellung der Flugtickets noch nicht endgültig

Alf Bettinger, der zuständige Fachbereichsleiter erklärt, dass die für eine Abschiebung erforderlichen Passersatzpapier automatisch beantragt würden, wenn ein Asylantrag abgelehnt ist: „Es dauert nämlich vier bis sechs Monate, bis diese vorliegen.“ Erst danach würden Flugtickets bestellt, was aber auch noch keine endgültige Abschiebung bedeute: „Wir hatten für die Familie schon einmal Tickets vorliegen, die storniert wurden, weil nochmals Widerspruch eingelegt wurde.“

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