Neustadt Nachtflug in den Tod

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Im Haßlocher Wald fündig geworden sind Peter Berkel und Erik Wieman von der Interessengemeinschaft (IG) Heimatforschung Rheinland-Pfalz. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Historiker der IG wollen die Geschichte der Pfalz in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalbehörde erkunden. Einer der Schwerpunkte dabei ist die Suche nach Stellen, an denen Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg abgestürzt sind. Die Heimatforscher wollen auf diese Weise Schicksale von Soldaten klären, die im Krieg ums Leben gekommen sind. So wie im Falle des Absturzes der britischen Halifax im Waldgebiet zwischen Haßloch und Lachen-Speyerdorf. Nach den ersten Funden von Wrackteilen und Munition lichtet sich der Schleier. Am Freitag, 16. April 1943, startet vom britischen Militärflughafen Linton-on-Ouse in der Nähe von York ein Bomber des Typs Halifax Mk. V, der zur 76. Squadron der Royal Air Force (RAF) gehört. An Bord des Flugzeugs mit der Kennung DK 165-MP-E befinden sich sechs britische Soldaten, alle zwischen 20 und 27 Jahre alt, und außer ihnen mit dem 20-jährigen Sergeant Allen Ross auch ein Kanadier: Er gehört eigentlich gar nicht zur Besatzung, sondern ist an diesem Tag nur als Ersatzmann eingesprungen. Pilot ist der 21-jährige Sergeant Kenneth Ernest Webb. Für sechs der sieben jungen Männer wird der Einsatz ein Flug in den Tod sein. Es ist schon dunkel, als sich die Halifax auf dem Rückflug von Pilsen zwischen Haßloch und Lachen-Speyerdorf befindet. Da wird die Maschine von einem deutschen Flugzeug des Nachtjägergeschwaders 101 angegriffen und abgeschossen, geht aus dem Buch „A Shaky Do: The Skoda Works Raid 16/17th April 1943“ von Peter Wilson Cunliffe hervor. „Ganz tief ist das Flugzeug runtergekommen. Da habe ich gleich gewusst: Der stürzt ab“, erinnert sich Heinz Schuhmacher aus Haßloch, heute 89 Jahre alt, an jenen 17. April 1943. Welches Bild sich dem damals 16-jährigen Augenzeugen an der Absturzstelle in der Nähe des Erbsengrabens bot, hat er Vermisstenforschern bei einem Ortstermin im Haßlocher Wald geschildert, über den die RHEINPFALZ am 7. Mai 2015 berichtete: „Auf der einen Seite vom Weg lag der Motor, und auf der anderen Seite, nur ein paar Meter im Wald drin, waren einzelne Teile des Flugzeugs.“ Sechs Besatzungsmitglieder, darunter der Kanadier Allen Ross, kommen bei dem Absturz ums Leben. Nur Sergeant Leslie Mitchell überlebt. Er wird im Wrack eingeklemmt, kann aber durch Klopfzeichen auf sich aufmerksam machen. Mitchell wird gerettet und kommt als Kriegsgefangener zunächst ins „Stalag 1“ („Stammlager der Luftwaffe“) in Barth am Bodden im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, später ins „Stalag 4“ im heutigen Polen. Dort konnte er 1945 zwar fliehen, hat Erik Wieman herausgefunden, wurde aber zwei Wochen später wieder gefasst. Über sein weiteres Schicksal ist bisher nichts bekannt. Historische Aufnahmen aus privaten Fotoalben zeigen das Flugzeugwrack im Haßlocher Wald, das zunächst für einen abgestürzten Lancaster-Bomber gehalten wurde. Aus den teilweise lesbaren Buchstaben auf dem Rumpf konnte die IG Heimatforschung die Flugzeugkennung DK 165-MP-E rekonstruieren – und damit stand fest, dass es sich um die am 17. April 1943 abgeschossene Halifax handelte. Dass die Absturzstelle im Wald zwischen Haßloch und Lachen-Speyerdorf im Bereich des Erbsengrabens liegt, ist bekannt – bisher aber nicht der exakte Ort. Peter Berkel und Erik Wieman gehen davon aus, dass die Flugzeugteile nach dem Aufprall in einem größeren Umkreis verstreut wurden. Sie holten die erforderlichen Genehmigungen ein, unter anderem bei der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Speyer und beim zuständigen Förster, um Nachforschungen anstellen zu können. Mit Tellersonden, die eisen- und metallhaltige Substanzen im Boden aufspüren können, gingen sie mehrmals in dem Bereich auf die Suche, in dem sie Wrackteile der Halifax vermuten. Dabei muss häufig mit falschem Alarm gerechnet werden, erklärt Berkel. Denn das Gerät reagiert eben auch auf sonstiges Metall unter der Blätterschicht: „Oft stößt man nur auf eine Caprisonne oder eine Coladose.“ Dann endlich gab die Sonde das erhoffte Signal, das den erfahrenen Hobbyforschern sagte: Hier sind wir auf der richtigen Spur. In geringer Tiefe stießen sie auf britische Munition aus dem Zweiten Weltkrieg, mehrere etwa zehn Zentimeter große „.303-Patronen“, die laut Berkel vermutlich mit Phosphor gefüllt waren – und somit Brandmunition. Die IG Heimatforschung übergab die geborgenen Patronen dem Kampfmittelräumdienst, Räumgruppe Worms. Außerdem wurde eine Metallstange gefunden, die zur abgestürzten Halifax gehört haben dürfte. Nun soll die genaue Absturzstelle lokalisiert werden. Dazu hat die GDKE Berkel und Wieman eine sogenannte Nachforschungs-Genehmigung ausgestellt, die sie dazu berechtigt ab Januar 2017 das komplette Gebiet abzusuchen, in dem weitere Teile des Wracks vermutet werden. Berkel schätzt, dass Bruchstücke der Maschine auf beiden Seiten des Grabens auf einer Länge von mindestens 200 Metern verstreut liegen könnten. Mit dem größten Teil von Funden rechnet er auf der Lachen-Speyerdorfer Seite des Grabens. Wo exakt sich der Bereich befindet, in dem gesucht werden soll, will Berkel nicht preisgeben, um Unbefugte nicht anzulocken. Die Aktiven der IG Heimatforschung, die bereits Absturzstellen von Weltkriegs-Flugzeugen in Limburgerhof und Speyer lokalisiert und untersucht haben, hoffen vor allem darauf, persönliche Gegenstände von Besatzungsmitgliedern zu finden, um das Schicksal vermisster Soldaten zu klären – und auch, um Lücken in Familienchroniken zu schließen. Mit Angehörigen des beim Absturz ums Leben gekommenen Kanadiers Allen Ross hat die IG Heimatforschung – dank einer Veröffentlichung in der kanadischen Zeitung „Vancouver Sun“ – mittlerweile Kontakt. Derzeit arbeiten Berkel und Wieman daran, auch die Familien der anderen Besatzungsmitglieder ausfindig zu machen. An der Absturzstelle will die IG nach Abschluss der Arbeiten einen Gedenkstein aufstellen – damit nicht vergessen wird, was dort in der Nacht zum 17. April geschehen ist. Kontakt — Zeitzeugen, die Hinweise auf Abstürze alliierter oder deutscher Flugzeuge, vermisste Personen oder sonstige Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg haben, können sich bei Erik Wieman, 06236/55152, oder Peter Berkel, 06235/4554748, melden. E-Mail: kontakt@ig-heimatforschung.de. — www.ig-heimatforschung.de.

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