Kultur Lieder der Nacht

„Les Illuminations“, deutsch „Erleuchtungen“ oder „Schwärmereien“, der französische Titel von Benjamin Brittens neunteiligem Liederzyklus nach Gedichten Arthur Rimbauds, ließe sich auch als Motto verstehen zum zweiten Programm des Festivals „Modern Times“. Das Konzert in der Ludwigshafener Friedenskirche unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens und dem phänomenalen Solisten Ian Bostridge, kam einer Art musikalischen Offenbarung gleich.

Die Begeisterung bezieht sich sowohl auf das Programm als auch die Aufführungen. Der erste, englische Teil des Abends gab Gelegenheit zu überaus reizvollen Begegnungen und Entdeckungen bei Ralph Vaughan Williams` (1872-1958) Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis, und Henry Purcells (1659-1705) „Abendlicher Hymne“ („An Evening Hymne“), bearbeitet von Britten. Auch dessen „Illuminations“ für hohe Stimme und Streicher, ein überwältigender Geniestreich von ganz unverwechselbarer, poetischer Schönheit, gehören nicht zu den im Konzertbetrieb häufig strapazierten Standardstücken. Nach der Pause folgte dann Schönbergs erste Kammersinfonie in E-Dur, mit der der Komponist nach seinen spätromantischen Anfängen auf den Spuren von Brahms und Wagner zum ersten Mal Neuland betreten hat. Damit schlug die Geburtsstunde der Moderne des 20. Jahrhunderts. Zurück nach England. Die Fantasie von Vaughan Wiliams für Streichquartett und räumlich aufgeteiltes Streichorchester beschwört sehr anregend, mit fein ausgehörten Raumklangwirkungen und orgelähnlichem Sound die kirchenmusikalische Sphäre. Der Zuhörer wurde dabei gefangen genommen von dem kernigen, besonders in den tiefen Regionen sehr dichten Streicherklang, den Steffens mit deutlicher Zeichengebung koordinierte. Eine sehr anregende Leistung lässt sich dem philharmonischen Quartett mit den Violinisten Nikolaus Boewer und Markus Diehl, dem Bratschisten Jacques Mayencourt und dem Cellisten Florian Barak bescheinigen. Bei Purcells Hymne und den Brittenschen „Illuminations“ dann der Auftritt des großen Sängers. Ian Bostridges Solopart kann nur als absolut beglückend bezeichnet werden. Es begann bei der ganz seltenen Qualität seines hell leuchtenden, biegsamen, geschmeidigen lyrischen Tenors. Wie er dieses kostbare Organ bis in seine letzten Regungen beherrschte, war ebenso begeisternd wie die wunderbar ebenmäßige Gesanglinie, die exquisiten Tonabstufungen und Farbwirkungen. Ein weiteres Kapitel stellte die gestalterische Präsenz des englischen Tenors dar. Jede noch so kleine Einzelheit wurde mit bedingungsloser Hingabe, mit Fantasie und Raffinement zum spannenden Ereignis geformt: ein Poet auf dem Konzertpodium, der übrigens auch die pathetisch-heroischen Gesten, die heftig erregten, ja zornigen Aufschwünge von Brittens ungemein abwechslungsreicher und farbenprächtiger Komposition mit genuin dramatischem Impuls nachvollzog. Steffens und die Staatsphilharmonie waren Bostridge vorzügliche, konzentriert mitformende Partner. Bei Schönbergs Kammersinfonie exponierten dann Steffens und das Orchester mit kompromissloser Intensität die ständige fiebrige Bewegung der dicht ineinander verschränkten Stimmen, die großen Verdichtungen, die unverstellt expressionistischen Gesten der Komposition. In exemplarischer Klarheit wurden zudem die außerordentlich dichten mehrstimmigen Strukturen freigelegt.

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