Neustadt Leben in der Literatur

«Neustadt». Ernest Hemingway ist eine Ikone: nicht nur, weil er als Schriftsteller die Literatur seiner Zeit revolutionierte, sondern auch als Mensch, Lebemann und Dandy. Bereits mit seinem ersten Roman „The Sun also Rises“ (auf Deutsch: „Fiesta“) gelang ihm der Durchbruch. In ihrem hinreißenden Buch „Und alle benehmen sich daneben“ beschreibt die New Yorker Autorin Lesley M. M. Blume diesen Durchbruch als taktische Meisterleistung.

Wobei der Untertitel ihrer raffiniert konstruierten „Klatschgeschichte“ – „Wie Hemingway seine Legende erschuf“ – durchaus ambivalent erscheint: Ohne die Hilfe von Kollegen, einer großen Portion Glück und jeder Menge gut eingefädelter Intrigen hätte der amerikanische Kurzgeschichten-Autor im Pariser Haifischbecken der 20er Jahre nichts werden können. Ohne sein überragendes Talent und die Fähigkeit, sich von den Erzähltechniken des 19. Jahrhunderts freizumachen, allerdings ebenfalls nicht. Blume, die schon Essays über Jackson Pollock und Truman Capote schrieb, hat ein Händchen für Exzentriker. Systematisch, mit Hilfe von akribischer Recherche und privaten Interviews, nie jedoch ohne Humor, beantwortet sie sich gleichsam die eigenen Fragen, die natürlich auch die ihrer Leserschaft sind: Wie konnte dem 1899 in Oak Park bei Chicago geborenen Sohn eines Arztes so schwindelerregend geradlinig die Planung der eigenen Karriere gelingen? Weil er spontan und mutig genug war, 1917 die Schule abzubrechen, um in Kansas City Reporter zu werden? Weil er sein Leben so liebend gerne aufs Spiel setzte, obgleich ihm doch erkennbar viel daran lag? Im Ersten Weltkrieg ging er als Freiwilliger nach Italien, um dort Sanitätsfahrer zu werden, und nur 20 Jahre später nach Spanien, um auf der Seite der Republik gegen Franco zu kämpfen. Selbstverständlich waren dies politisch und humanistisch geprägte Entscheidungen, sie boten ihm freilich auch stets jenen Nervenkitzel, ohne den er nicht auskommen konnte. Was bedeutet: Von Anfang an hatte Hemingways Leben viel mit dem Schreiben zu tun. Er musste erlebt haben, was er beschrieb, immer wieder versuchte er so dicht wie möglich an die körperlichen und gefühlsmäßigen Exzesse der Menschen heranzukommen, an ihre damit verknüpften Gefährdungen, Abenteuer, Glücksmomente. Eine Art Brutstätte wie Paris jedenfalls, wo er all das, was in ihm brodelte, zu Literatur erwecken konnte und in gewisser Weise vorexerziert bekam, war daher genau das richtige Pflaster für ihn. Ein Empfehlungsschreiben des von der jungen Generation sehr bewunderten Schriftstellers Sherwood Anderson brachte ihn mit Ezra Pound und Gertrude Stein zusammen. Dann ging es umstandslos weiter: Wo, wenn nicht in Sylvia Beachs wunderbarer Buchhandlung „Shakespeare & Company“ konnte er den wichtigsten Persönlichkeiten der damaligen Kultur-Schickeria begegnen: James Joyce, Picasso, Scott F. Fitzgerald, seinem quasi natürlichen Konkurrenten, dessen Frau Zelda und nicht zuletzt Dorothy Parker, der Poetin und Literaturkritikerin, die er bereits aus New York kannte und sowohl hassen als auch lieben gelernt hatte. Wilde Affären, hemmungsloser Ehrgeiz, durchsoffene Nächte: Wichtig allein war es, endlich-endlich einen Roman zu schreiben, so wie all die anderen Kollegen, die den jungen Mann umgaben: Das arbeitet Blume in ihrer stets auf Hemingway fokussierten Reportage so präzise wie unterhaltsam heraus. Zu deren Höhepunkt wird der 1925 unternommene Ausflug nach Pamplona, wohin der damals 27-jährige Literat mit einigen ausreichend verrückten, vom Ersten Weltkrieg seelisch und psychisch versehrten Freunden zum Stierkampf reist: nicht zuletzt, um daraus Literatur zu machen. Dass sie sich fast alle ungeschützt in „Fiesta“ wiederfinden konnten, war im Grunde ein Nebeneffekt. Mit „The Sun also Rises“ hat Hemingway ein Epochenporträt geliefert, das Maßstäbe setzte. Lesezeichen Lesley M. M. Blume: Und alle benehmen sich daneben. Wie Hemingway seine Legende erschuf. Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel. DTV, 528 Seiten, 24 Euro.

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