Neustadt Ein Unhold zwar, aber ein sehr unterhaltsamer

Wer einen solchen Onkel hat, braucht keine Feinde mehr: Lena Schneider (links) und Lars Reif (rechts) als königliche Prinzen, di
Wer einen solchen Onkel hat, braucht keine Feinde mehr: Lena Schneider (links) und Lars Reif (rechts) als königliche Prinzen, die ihrem Onkel Richard (Andreas Müller) auf dem Weg zum Thron im Wege stehen.

«Neustadt». Ein stoischer Henker stiehlt dem „Titelhelden“ zunächst fast ein wenig die Schau in der aktuellen Inszenierung von Shakespeares finsterer Tragödie „Richard III.“ durch die Neustadter Schauspielgruppe, die am Samstag im Park der Villa Böhm Premiere feierte – nur fast allerdings, denn schnell spielt sich Andreas Müller in der Rolle des blaublütigen Oberschurken derart in Rage, dass es kein Halten mehr gibt. Es ist der Auftakt zu einem gelungenen Theaterabend, der auch zeigt, wie gut die Mischung aus arrivierten und jungen Kräften bei der traditionsreichen Amateurtheatertruppe funktioniert.

Dass Müller als Richard nicht sofort in die Gänge kommt, ist von Regisseur Christoph Frey so gewollt. Zwar sitzt er schon vor dem ersten Gong auf der Bühne und spielt sichtlich gelangweilt mit seinem Handy, doch das erste Wort hat in dieser Inszenierung Frank Unger als Henker. Nachdem der ganze Hofstaat mit „Pomp and Circumstance“ aufmarschiert ist, friert dieser die Szene ein und hält dem Publikum den Spiegel vor: „Schaut auf uns und auf euch selbst, und macht es euch nicht allzu leicht“, ist der zentrale Satz, der die vielfältigen Aussagen zum Verhältnis von Bühne und Welt paraphrasiert, die man aus anderen Stücken Shakespeares kennt. Dass damit nicht wie im Original der berühmte Monolog am Anfang steht, in dem Richard ohne Vorwarnung seinen skrupellosen Charakter und seine blutrünstigen Pläne in äußerst wohlgedrechselten Worten kundtun darf, kann man als Purist vielleicht bedauern. Nicht einmal den vielzitierten „Winter unseres Missvergnügens“ lässt Regisseur Frey der Titelgestalt im Original. Richard äfft ihn nur nach, als er schließlich doch endlich zu Wort kommt und über die „schlaffe Friedensflötenzeit“ lästern darf, mit der er, der Falke, so wenig anfangen kann. Schon hier zeigt sich, dass Andreas Müller in der Rolle des charismatischen Bösewichts wirklich aufgeht. Und so nimmt das blutrünstige Geschehen seinen Lauf – sehr zum Vergnügen des Publikums, das vor allem Müller immer wieder mit Szenenapplaus bedenkt. Natürlich ist dieser Richard, der auf dem Weg zum Thron durch Meere von Blut watet, ein monströser Verbrecher, aber ein sehr unterhaltsamer eben. Sein erstes Opfer ist der milde Bruder Clarence, der so schnell seinen Kopf verliert, dass Christoph Frey diese Rolle ohne große Probleme neben seiner Hauptaufgabe als Regisseur bewältigen konnte. Schon im Dialog mit ihm sieht man, dass dieser Richard im Grunde ein Schauspieler ist, dem es riesiges Vergnügen bereitet, sich zu verstellen. Wie er dann später bei der von seinem königlichen Bruder Edward (Christian Reif) angeordneten Versöhnung alle mit wilder, falscher Herzlichkeit umarmt, wie er Lady Anne (Noëlle Hughes), die Witwe des von ihm ermordeten Prinzen von Wales, mit Liebesworten umgarnt, um sie sofort nach der Hochzeit umzubringen, oder wie er sich von den Vertretern der Stadt London scheinheilig mit Gebetbuch in der Hand die Krone aufnötigen lässt – das sind alles große Momente, in denen Müller, von Haus aus Wirtschaftsinformatiker bei einem großen Pharma-Unternehmen, zeigt, dass an ihm ein Profi-Schauspieler verloren gegangen ist. Unter allen Königsdramen Shakespeares ist „Richard III.“ dabei sicher das Stück, das am stärksten auf die Titelperson zugeschnitten ist. Aber auch die anderen 21 Darsteller verkommen in der Inszenierung der Schauspielgruppe nicht etwa zur Staffage. Einige der etablierten Mitglieder wie Christian Reif als schwacher König Edward sowie als eilfertiger Bürgermeister von London, Christine Bachtler als in die Enge getriebene Königin, die nacheinander Ehemann und Söhne verliert, Christoph Keppler als Richards intriganter Helfershelfer Buckingham oder Siegfried Kralik als von Furcht getriebener Parteigänger Stanley spielen souverän ihre langjährige Bühnenerfahrung aus. Sabine Sommer tritt als Herzogin von York mit der Wucht einer antiken Schicksalsgöttin auf, als sie Richard, ihren missratenen Jüngsten, mit einem Fluch belegt. Aber auch viele der jungen Kräfte, Saskia Mai als Lady Rivers oder der erst 15-jährige Tomás Pereira als Richards emotionsloser Handlanger Catesby etwa, machen ihre Sache sehr gut. Einen Sonderapplaus haben sich auch Lena Schneider (13) und Lars Reif (11) in der Rolle der jungen Prinzen verdient, die der liebe Onkel Richard ebenfalls über die Klinge springen lässt. Der ebnet sich auf diese Weise mit machiavellistischer Virtuosität den Weg zur Macht, doch als er sein Ziel erreicht und sich einmal selbstverliebt auf dem Thron herumgelümmelt hat, kann er auch schon nichts mehr damit anfangen. Wem käme da nicht mancher heutige Politiker in den Sinn? Von da an geht’s mit ihm bergab. Es häufen sich die strategischen Fehler, und am Schluss, in der Schlacht von Bosworth, ist das ganze Königreich dann bekanntlich weniger wert als ein einziges Pferd. Es entspricht dabei unserer um Ausgewogenheit bemühten Zeit, dass das negative Bild des buckligen, dämonisch-verschlagenen Königs von der Schauspielgruppe zumindest ein Stück weit modifiziert wird. Die anderen sind auch nicht viel besser, lautet die Botschaft, was besonders an der Gestalt des Siegers Richmond (Lennart Lube), des nachmaligen Heinrichs VII., demonstriert wird. Anders als bei Shakespeare hat in Neustadt aber nicht er, der Begründer der Tudor-Dynastie, das letzte Wort, sondern Frank Unger, der gelassene und äußerst effiziente Mörder, der während des ganzen Stücks lesend im Hintergrund sitzt und nur von Zeit zu Zeit kurz in die Büsche verschwindet, um wieder einmal einem von Richards Opfern eine Kugel zu verpassen. Ein Satz wie sein „Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind, doch manchmal sind die ziemlich grauenvoll“, kommt dabei in Duktus und Gehalt sicher nicht ganz an die großen Monologe Shakespeares heran, doch Richmonds staatstragende Rede, mit der der Dichter aus Stratford, sein Stück eigentlich enden lässt, ist – seien wir ehrlich – auch nicht der große rhetorische Kracher. Insgesamt besticht die Inszenierung aber durch viele gute Einfälle und ein stimmiges Konzept, das die Getriebenheit Richards auch psychologisch glaubhaft motiviert. Zwischen den Szenen erklingt Musik, die stilistisch von der Renaissance bis zu Rock und Elektro-Sounds reicht. Bei der Schlacht kommt ordentlich Pyrotechnik zum Einsatz. Bühnenbild und Kostüme tragen das Ihre bei – super zum Beispiel die Pistolenhalfter, die alle unter den Anzügen oder wie Elmar Weik als Erzbischof auch unter der Soutane tragen. Und das ist nicht das einzige witzige Elemente in dieser munteren Tragödie – so taucht etwa der Singer-Songwriter James Blunt zwischen Earls und Lords in der Liste der Aufständischen auf. Und ein Satz wie „Oh Gott, ich hätt’s verhindern können, doch ich war so blöd“, kurz vor der Hinrichtung gesprochen vom überrumpelten Hastings (Sven Bohnert), wirkt angesichts des sonst vorherrschenden hohen Sprachstils wie eine ironische Dissonanz. Termine Die Neustadter Schauspielgruppe spielt ihre Inszenierung von William Shakespeares „Richard III.“ noch zehn weitere Male auf der Open-Air-Bühne im Park der Villa Böhm: am 23., 24. und 25. Juni sowie am 1., 2., 7., 8., 9. 14. und 15. Juli, jeweils um 20 Uhr. Karten (15/12 Euro) bei Tabak Weiss (06321/2942).

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