Neustadt Ein rabenschwarzes Kapitel

Die beiden Konkurrenten auf einem Bild: Das dritte Haus links zeigt das Kaufhaus Wronker vor dem Umbau von 1906. Ein paar Häuser
Die beiden Konkurrenten auf einem Bild: Das dritte Haus links zeigt das Kaufhaus Wronker vor dem Umbau von 1906. Ein paar Häuser weiter an der Ecke Fröbelstraße erkennt man das Kaufhaus Cohrssen.

«Neustadt». Wronker und Cohrssen – das sind die beiden Namen, die den Beginn der Neustadter Kaufhaus-Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts prägten. Beide Häuser entstanden kurz nacheinander in der oberen Hauptstraße und haben auch noch eine weitere (traurige) Gemeinsamkeit: Ihre jüdischen Besitzer mussten in den 30er Jahren vor dem Terror der Nazi-Herrschaft kapitulieren und ihre Geschäfte an sogenannte „Arier“ verkaufen. Ein dunkles und bis heute nicht wirklich aufgearbeitetes Kapitel der Neustadter Geschichte.

Den Anfang machten, wie der Neustadter Historiker Paul Habermehl ermittelt hat, die Wronkers: Wohl 1890/91 eröffnete die Familie in der oberen Hauptstraße – wahrscheinlich noch nicht gleich am späteren Standort Nr. 23/25 – einen Ableger ihres kurz zuvor in Mannheim gegründeten Warenhauses. Das Unternehmen firmierte unter dem Namen „S. Wronker & Cie.“, wobei S nach Habermehl, der derzeit an einer Publikation über den Neustadter Wronker-Zweig arbeitet, für Simon steht und Cie für dessen Brüder Emil und Hermann. Letzterer begründete später von Frankfurt aus ein eigenes Warenhaus-Imperium mit Filialen in ganz Süddeutschland, das in seinen besten Zeiten 3000 Mitarbeiter beschäftigte. Der Verantwortliche für die Neustadter Filiale des als offene Handelsgesellschaft geführten Unternehmens war aber nach Habermehls Erkenntnis Emil Wronker, der auch selbst in Neustadt wohnte. Die Familie stammte ursprünglich aus der preußischen Provinz Posen und war mit Hermann Tietz verwandt, dem eine Generation älteren Begründer des Warenhausunternehmens „Hertie“. Die Brüder Simon, Emil und Hermann wurden 1860, 1864 und 1867 geboren, wie der für das Neustadter Stadtarchiv tätige Historiker Stefan Jamin herausgefunden hat. Das Neustadter Wronker-Kaufhaus scheint schnell einen großen Aufschwung erlebt zu haben, denn bereits 1906 ließ das Unternehmen die Häuser Hauptstraße 23 und 25 abreißen und hier jenes stattliche dreigeschossige Jugendstilgebäude errichten, das in unseren Tagen – bis 2013 – vom Schuh-Filialisten Deichmann genutzt wurde, bevor es für sehr lange Zeit hinter einer Bauplane verschwand, weil ein Investor mitten im Umbau in Insolvenz geriet. Vom hohen Anspruch der Wronkers zeugt bis heute die eindrucksvolle Fassade (beziehungsweise deren Reste nach diversen Umbauten) mit dem von dem Kaiserslauterer Bildhauer Adolf Bernd gestalteten Figurenrelief, das als Allegorie des Textilhandels gedeutet werden kann. Bernd hat seine Spuren unter anderem auch an der Landauer Festhalle hinterlassen. Kurz bevor das Kaufhaus Wronker seine neuen Räume bezog, hatte nur wenige Häuser weiter an der Ecke Haupt-/Fröbelstraße – da wo sich heute das Gebäude der Drogerie Müller erhebt – der jüdische Kaufmann Siegfried Cohrssen seinerseits ein Kaufhaus eröffnet. Auch er war ein Zuwanderer, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hatte: 1874 in Hildesheim geboren, verlor er, wie die RHEINPFALZ 1960 schrieb, schon als Sechsjähriger den Vater und trat im zarten Alter von 14 Jahren als kaufmännischer Lehrling ins Geschäft seiner Mutter ein. In Neustadt entwickelte er sich schnell zu einer sehr angesehenen Persönlichkeit, die im öffentlichen Leben der Stadt eine große Rolle spielte. Auch sein Unternehmen florierte und verfügte schon bald über Filialen in Haßloch, Lambrecht und Mundenheim. Eine dem Neustadter Stadtarchiv vorliegende Anzeige von 1914 wirbt für „Cohrssen’s 95 Pfennig-Verkauf“, wobei das Angebot von Email-Kochtöpfen bis zu Kinder- und Damenhüten reichte. Die Goldene Ära der beiden Häuser endete aber, wie es scheint, bereits mit dem Ersten Weltkrieg. Von Cohrssen ist bekannt, dass er 1928 seine Haßlocher Filiale verkaufte. Noch größer wurden die wirtschaftlichen Probleme naturgemäß nach dem Börsencrash von 1929 und der anschließenden Weltwirtschaftskrise. All das war aber noch nichts im Vergleich zu dem, was nach der Machtergreifung der Nazis 1933 folgte. Der Neustadter Historiker Gerhard Wunder beschreibt in einem Aufsatz im Sammelband „Vorbei – Nie ist es vorbei“ zur Geschichte der Juden in Neustadt, dass die SA schon am 11. März 1933 nach Berliner Vorbild vor beiden Kaufhäusern Posten bezog und mit „Deutsche, kauft nur bei Deutschen“-Schildern zum Boykott aufrief. Gau-leiter Bürckel ordnete am 17. März an, alle Kunden der „Ramschwarenhäuser“ zu melden. Auch die Stadt „empfahl“ ihren Bediensteten, nicht mehr in Geschäften mit jüdischen Eigentümern einzukaufen. Was folgte, wird gerne mit dem euphemistischen Begriff „Arisierung“ bedacht, obwohl einem bei dem mehr oder weniger erzwungenen Übergang jüdischer Vermögenswerte an Nicht-Juden auch andere Bezeichnungen einfallen. Doch hier einfach die Fakten: Sowohl Emil Wronker als auch Siegfried Cohrssen verkauften ihre Geschäfte um die Mitte der 30er Jahre an nichtjüdische Deutsche: Wronker 1935 an den Neustadter Karl Vetter, der sein Möbelhaus daraufhin aus der Gerichtsstraße in den Stadtkern verlagerte, Cohrssen 1936 an Friedrich Weickert, der zuvor beim Schocken-Konzern Erfahrungen in der Kaufhausbranche gesammelt hatte und nun die Chance ergriff, sich in Neustadt selbständig zu machen. Zu Wronker nennt Wunder den Kaufpreis von 55.000 Reichsmark, ohne allerdings einzuordnen, ob das ein regulärer Preis war oder die Notlage des Verkäufers ausgenutzt wurde. Zu Cohrssen schrieb dessen Sohn Hans 1996 in seiner im Knecht-Verlag erschienenen Autobiografie, dass der Vater glücklich über Weickerts Angebot gewesen sei, auch wenn dieser „natürlich“ nur einen Bruchteil des tatsächlichen Werts gezahlt habe. Das weitere Schicksal von Emil Wronker ist nicht in allen Details bekannt: Er scheint nach Berlin gezogen zu sein, wo er 1940 starb – unter welchen Umständen ist nicht klar. Sein Bruder Hermann, der Frankfurter Kaufhauskönig, wurde von den Nazis im besetzten Frankreich aufgespürt und zusammen mit seiner Ehefrau Ida 1942 in Auschwitz ermordet. Siegfried Cohrssen dagegen, der nach Stuttgart gezogen war, glückte mit seiner Familie noch kurz vor Ausbruch des Krieges 1939 die Flucht nach Amerika. Mit zehn Reichsmark in der Tasche, wie seine Enkelin Aya Cohrssen berichtet, baute er sich in New York eine neue Existenz als Buchhändler auf. 1953 kehrte er nach Deutschland zurück und verbrachte seine letzten Lebensjahre in Heppenheim an der Bergstraße. Er starb 1957 und wurde auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin auf dem jüdischen Friedhof in Neustadt beerdigt. Während Weickert nach dem Krieg einige Jahre Zahlungen „in wertlosen Reichsmark“ an Cohrssen leistete, wie der Sohn Hans berichtete, und sich in einem Brief, an den sich die Enkelin Aya erinnern kann, wortreich für die Vorgänge in den 30er Jahren entschuldigte, kam es zwischen Karl Vetter und den beiden Wronker-Erben Werner und Hildegard 1949/50 in Berlin zu einem außergerichtlichen Vergleich. Paul Habermehl, der die Akten eingesehen hat, verrät gewissermaßen als Vorab-Info zu seiner geplanten Publikation schon soviel, dass der Käufer dabei in vielen Punkten nachgeben musste, im Endeffekt aber ein ordentlicher Ausgleich der Interessen erreicht wurde. Die Karl Vetter OHG nutzte das Wronker-Gebäude noch bis 1986 für ihren Möbelhandel, bevor auch dieses Neustadter Traditionsgeschäft nach mehr als 190 Jahren für immer die Tore schloss. Aktuell steht das Gebäude leer. Letzter Stand der Dinge ist, dass der Textildiscounter Kik hier demnächst einzieht. Das von Friedrich Weickert übernommene Kaufhaus bestand noch bis 1984 und erlebte in der Nachkriegszeit einen enormen Aufschwung, der sich 1958 in einem großzügigen Neubau niederschlug, der mit seiner Glasfassade und dem mannshohes, in blauem Neonlicht leichtenden „W“ auf dem Dach stadtbildprägend wurde. Die erste Rolltreppe in einem Neustadter Geschäft war für die Bevölkerung fast eine kleine Sensation. Weickert expandierte auch – sogar in Hamburg gab es eine Niederlassung – und hatte 1961 rund 250 Mitarbeiter. In diesem Jahr feierte die Firma einem Bericht der RHEINPFALZ zufolge auch groß ihr 25-jähriges Bestehen. Bezugspunkt war der Kauf von 1936. Die Vorgeschichte spielte in dieser Zeit offenbar keine große Rolle – wie auch sonst das Thema der ehemaligen jüdischen Geschäfte in der Stadt – Wunder nennt „noch 57“ für das Jahr 1935 – und ihrer Besitzerwechsel lange nur sehr dezent behandelt wurde. Beim Ende des Kaufhauses Weickert in den 80er spielte natürlich auch die Konkurrenz des neuen Karstadt-Hauses eine Rolle, das 1973 am Rand der Altstadt eröffnet wurde und 2007 an Hertie ging – beides übrigens Aktiengesellschaften, die ebenfalls von den Nazis „arisiert“ wurden.

Das Kaufhaus Cohrssen lag einst da, wo sich heute das Gebäude der Drogerie Müller erhebt.
Das Kaufhaus Cohrssen lag einst da, wo sich heute das Gebäude der Drogerie Müller erhebt.
Das 1906 für die Firma Wronker errichtete Jugendstilgebäude in der Hauptstraße 23/25.
Das 1906 für die Firma Wronker errichtete Jugendstilgebäude in der Hauptstraße 23/25.
Mondäne Welt: Szene mit Wronker-Kundinnen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Mondäne Welt: Szene mit Wronker-Kundinnen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Das Kaufhaus Weickert trat 1936 die Nachfolge Cohrssens an. Der Neubau entstand 1958.
Das Kaufhaus Weickert trat 1936 die Nachfolge Cohrssens an. Der Neubau entstand 1958.
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