Neustadt Das Elend kommt über die Reichen

«Neustadt-Mussbach.» Herz- und raumfüllend begann der Maulbronner Kammerchor am Sonntag mit einem „Kyrie eleison“ von Felix Mendelssohn Bartholdy den Konzertnachmittag in der protestantischen Johanneskirche in Mußbach. Schon zum dritten Mal – allerdings erstmals unter der Leitung des jungen Dirigenten Benjamin Hartmann – gastierte der Chor beim Herbstfestival „Musikalische Lese“ in der Pfalz und überzeugte dabei vom ersten bis zum letzten Ton.

Der 27-Jährige hat 2016 den Taktstock von seinem Lehrer Jürgen Budday übernommen, der den im Kloster Maulbronn ansässigen Kammerchor 1983 gegründet hatte. Hartmann, der neben seiner Tätigkeit als freiberuflicher Dirigent auch noch an der Stuttgarter Staatsoper und im Carus-Musikverlag arbeitet, fand einen überaus engagierten Chor vor, der neuen Projekten mit Neugier begegnet. So hat er, inspiriert von seinen Studien unter anderem in Leipzig, Yale und Stockholm selten gehörte Stücke skandinavischer Komponisten ins Repertoire aufgenommen. Da die Sänger nicht nur aus dem Maulbronner Umfeld stammen, sondern auch aus Weimar oder der Schweiz zu den Proben anreisen, treffe man sich nicht wöchentlich, sondern zu konzentrierter Arbeit an mehreren Wochenenden, erklärt Hartmann. Die Sänger seien dann gut vorbereitet, und er könne mit ihnen intensiv die Projekte erarbeiten – mit jeder Menge Energie und Herzblut auf beiden Seiten, wie er sagt. So waren am Sonntag strahlende, klare Sopranstimmen zu hören, die auf soliden Bass- und Tenorlagen aufbauen konnten, wobei die Alt-Fraktion den reichen Klang noch ausfütterte. Das Programm widmete sich dabei musikalisch dem Thema „Geld und Gerechtigkeit“. Dieser vermeintliche Zusammenhang beschäftigte Martin Luther schon vor 500 Jahren, als er unter anderem gegen den Ablasshandel antrat. Diesen Kampf gab der Chor eindrucksvoll wieder. Alte Meister wie Gottfried August Homilius, Anton Bruckner und Johannes Brahms wurden ebenso berücksichtigt wie der 1954 geborene und in Stockholm lebende Thomas Jennefelt mit seinem frühen Stück „Warning to the Rich“. Dieses 1977 komponierte Werk hat ihn in kurzer Zeit bekannt gemacht. Gut, dass der Dirigent das Publikum auf die eigene Tonsprache dieser ungewöhnlichen Komposition vorbereitete. Der Chor ließ zarte Töne anklingen, denen sich leise geflüsterte, scharf artikulierte Worte anfügten. „Wohlan nun, ihr Reichen, weinend und heulend über das Elend, das über euch kommen wird!“, lautet die Übersetzung des englischen Textes, der schließlich in lautem Rufen und wütenden Schreien gipfelt. Kaum erträglich war die Lautstärke der Klänge. Vor dem inneren Auge erschienen Bilder von Krieg, Elend, Hunger, Dreck, Verzweiflung – dazwischen hämisches Gelächter. „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an“, so die sich anschließenden, versöhnlichen Worte in einem Lied von Charles Villiers Stanford. Es war also ein Konzert, das in besonderer Weise bewegte, weil es die Besucher durch verschiedene Gefühlswelten leitete und mit Texten und Tonfolgen konfrontierte, die sich zum Ende hin schließlich in wohlige Harmonien als Zeichen von himmlischem Frieden auflösten. Dies war von Hartmann auch genauso beabsichtigt, der sich als einfühlsamer Dirigent und Moderator erwies und ohne Künstelei restlos überzeugt. Ohne Noten, ganz aus dem Herzen heraus, gab der Kammerchor zum Schluss noch ein Abendlied von Zoltán Kodály als Zugabe, wobei er sich an den Wänden des Kirchenraumes postierte und so erneut ein neues Klangbild erzeugte.

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