Neustadt Auf der Suche nach dem Ziel

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Mut und Selbstkritik kann der Beobachter der Neustadter CDU derzeit nicht absprechen. Zur Diskussion über die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Neustadt hatte die Partei in das Autohaus Raber mit Jürgen Vogel von der Industrie und Handelskammer (IHK) und Kreishandwerksmeister Dirk Fischer Kritiker eingeladen, die sich nicht scheuten, deutliche Worte an die Partei zu richten, die im 16. Jahr Oberbürgermeister und Bürgermeister stellt. Ingo Röthlingshöfer, der Bürgermeister, der Oberbürgermeister werden will, versuchte, sich abzugrenzen. „Ich bin nicht hier, um die Wirtschaftspolitik der Stadt zu rechtfertigen, ich war für andere Bereiche zuständig“, so der Sozialdezernent, ohne den Namen von Oberbürgermeister Hans Georg Löffler, dem Dezernenten für die Wirtschaftsförderung, zu nennen. Löffler war nicht anwesend. Er vermied es so, die ungeschminkte Bestandsaufnahme anzuhören, die Jürgen Vogel, Leiter Standortpolitik bei der IHK, mit Fakten untermauerte. In der Pfalz komme produzierendes Gewerbe im Vergleich zu den Dienstleistungen auf ein Drittel, in Neustadt nur auf 17 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren sei die Produktion in der Pfalz um fast vier Prozent angestiegen, in Neustadt um über fünf Prozent gefallen. Auch die Wertschöpfungen aus Dienstleistungen seien in Neustadt deutlich geringer als im Pfalz-Durchschnitt. Vogel verwies auf die im Vorjahr durchgeführte IHK-Umfrage zur Standortqualität. 14 Prozent der angeschriebenen Unternehmen hätten geantwortet, was eine gute Rücklaufquote sei. „Neustadt schneidet bei weichen Faktoren wie Lebensqualität hervorragend ab und hat bei Wirtschaftsförderung und Verwaltung richtig schlechte Werte. Dass Sie da ein Problem haben, lässt sich nicht wegdiskutieren“, so Vogel. Wie es anders gehe, zeige die Entwicklung von Landau in den vergangenen 20 Jahren. Noch tiefer in der Wunde bohrte Kreishandwerksmeister Dirk Fischer: „Wo ist denn die versprochene Wirtschaftsplattform oder der Beirat, der uns in Entwicklungen einbindet. Dass auf dem Sulo-Gelände Wohnungen entstehen sollen, habe ich aus der Zeitung erfahren.“ Das Handwerk stehe für 732 Betriebe mit 2800 Mitarbeitern in der Stadt. Trotzdem gebe es keine Kommunikation und Transparenz von Seiten der Verwaltung. Die Interessen der Landwirtschaft vertrat Günter Hoos vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum, der noch den zufriedensten Eindruck machte. Die Feldwege seien in einem schlechten Zustand, Ausgleichsflächen würden nur unzureichend gepflegt, was die Verbreitung der Kirschessigfliege fördere. Im Hinblick auf Flächenverbrauch und Grundwassernutzung gebe es einen klassischen Zielkonflikt mit dem Gewerbe. Er könne darin aber kein spezifisches Problem von Neustadt ausmachen. Ingo Röthlingshöfer sieht das Grundproblem in der fehlenden Zieldefinition. „Was wollen wir eigentlich. Wo wollen wir Wohnungsbau, wo wollen wir Gewerbe, wie soll unsere Innenstadt aussehen?“, erklärte der OB-Kandidat. Es gebe keine formulierten Ziele, kaum Netzwerke, und deshalb fließe ganz viel Energie in Konflikte, statt in lohnenswerte Projekte. Unter Alt-Oberbürgermeister Dieter Ohnesorge sei Anfang der 1990er Jahre ein Parkhaus am Bachgängel beschlossen worden. Es sei unglaublich, dass noch heute darüber diskutiert werde. Es fehle an Kommunikation und Transparenz, den Eigentümern offen zu sagen, was auf ihren Grundstücken gewollt sei. Stattdessen gebe es eine Einzelentscheidung nach der anderen, was Zielkonflikte provoziere. Jürgen Vogel stimmte zu und warf der Stadt vor, bei raren Flächen zu wenig die Instrumente des Planungsrechts einzusetzen: „Was Neustadt braucht, sind in Zeiten des Online-Handels Logistikflächen, nicht an einem so guten Standort auf der grünen Wiese ein Handelsunternehmen wie Decathlon.“ Bau-Unternehmer Günther Hiegle kritisierte, dass es kein Gründerzentrum für Jung-Unternehmer gebe. Wolfgang Kochanek will in der ehemaligen Papierfabrik von Hoffman & Engelmann ein solches aufbauen. Er sieht das Hauptproblem darin, dass viele freie Gewerbegrundstücke in der Hand von Spekulanten seien, was eine heftige Diskussion über die Grundstückspreise auslöste. Dirk Fischer machte deutlich, dass kein Handwerker 100 Euro den Quadratmeter für ein Gewerbegrundstück auf dem Messegelände zahlen könne. Im Umland gebe es vergleichbare Flächen für 55 oder 60 Euro. Ingo Röthlingshöfer verwies auf die finanzielle Situation der Stadt. Dieter Vogel stellte klar: „Sie können die Marktwirtschaft nicht ausschalten. Grundstücke sind begehrt und teuer.“ Stefan Klein, der Landmaschinen verkauft, nannte es kurzsichtig, wenn die Stadt auf hohe Erlöse schiele: „Je schneller das Grundstück zurückgezahlt ist, desto eher fließt Gewerbesteuer.“ Röthlingshöfer schlug vor, dass Know-how vieler in Neustadt lebender Professoren besser zu nutzen, um Ziele und Visionen aufzustellen. Im Ruhestand könnten die sich ehrenamtlich einbringen. Einige Unternehmer widersprachen heftig. Es gehe darum, junge, dynamische Menschen nach Neustadt zu locken, nicht die Baby-boomer-Generation krampfhaft in der Beschäftigung zu halten. IHK-Vertreter Dieter Vogel stimmte zu: „Schauen Sie sich Ihre Altersstruktur an. Neustadt ist im Vergleich eine sehr alte Stadt. Sie müssen die Jugend herholen. Die setzt Impulse.“

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