Neustadt Auf dem Gipfel des Genusses

«Neustadt-Hambach.» Wer an diesem launigen Samstagabend Weg und Stufen hinauf zum Hambacher Schloss bewältigt hatte, durfte sich auf dem Gipfel angekommen fühlen – des Bergfrieds ebenso wie des musikalischen Genusses. Beim Festkonzert des 21. Hambacher Musikfests entführte das „Mandelring Quartett“ mit seinen Gästen mittels fulminanter Programmgestaltung zu Höhenflügen interpretatorischer Spitzenkunst. Chapeau.

Auf welchem Niveau das „Mandelring Quartett“ seit Jahren agiert, bedarf kaum der Erwähnung. Dennoch ist das Entzücken groß, wann immer man den Geschwistern Schmidt, Sebastian (Violine 1), Nanette (Violine 2) und Bernhard (Violoncello) sowie Andreas Willwohl (Viola) begegnet: die Freude über die klangästhetische Feinpolitur, den stilistischen Schliff, den Synchron-Atem im Fluss des musikalischen Geschehens, den achtsam konzentrierten Umgang mit Nuancen, musikalischen Kommata, den zupackend virtuosen Impetus. Das temperamentvolle Streichquartett e-Moll op. 4,2 von Felix Mendelssohn – eine Geburtstagsgabe des Komponisten an seinen Cello spielenden Bruder Paul – gab davon beredt Zeugnis. Mit Ausnahme des ungemein innigen Andante-Satzes mit seiner wunderbar weitgreifenden Kantilene, ist dem Werk eine gewisse Rastlosigkeit eigen. Es „spukt“ darin gewissermaßen, und erst der Schlusssatz, das Presto agitato, immer noch ungemein aufgeregt, strahlt Heiterkeit. All diese Gefühlsströme exponierte das Quartett geradezu exemplarisch und zupackend verbindlich. Mit Camille Saint-Saëns Septett Es-Dur op. 65, füllte sich das Podium. Hinzu kamen nun der Trompeter Peter Leiner, Kontrabassist Christoph Schmidt und Paul Rivinius am Klavier. Das Werk, wiewohl seit seiner Uraufführung ungebrochen beliebt, hat es seiner unorthodoxen Besetzung wegen nicht wirklich zum Repertoirestück geschafft. Gleichwohl: An diesem Abend sorgte es für Vergnügen pur. Das klangliche Erscheinungsbild ist apart, ungewohnt, dennoch wunderbar vereinbar. Das unverhohlen aus der Mottenkiste gezauberte Arsenal an barocken Versatzstücken wird in geistreicher Weise parodiert. Es ist Ohrenschmaus und Zwerchfell-Futter gleichermaßen, und das fabelhafte Ensemble gab seinem Affen ordentlich Zucker, trumpfte fabulierlaunig auf (Trompeten-Fanfare, 1. Satz), zündete spieltechnische Feuerwerke (Schlusssatz, Klavier) und badete genüsslich und überaus elegant in all den zuweilen fast frivol auf die Spitze getriebenen Klischees barocker Stilistik. Nach der Pause nahm das Programm erneut Fahrt auf. Daniel Schnyder, Wahl-New Yorker Schweizer Provenienz und Stargast des aktuellen Musikfests, war unübersehbar angetan von der glanzvoll spritzigen Wiedergabe seiner 2014 entstandenen Komposition „Impetus“, die in der Version als Klavierquintett hier ihre Uraufführung erlebte. Schnyder ist ein begnadeter Türöffner zwischen den Genres Klassik und Popularmusik; ein versierter, kenntnisreicher Kammermusiker zum einen und begnadeter Jazzer mit Virtuosen-Reputation als Saxophonist. Und vor allem: Er ist ein musikalischer Geschichtenerzähler von geradezu überbordender Fantasie. Wenn „Impetus“ mit seinen rhythmischen Verwerfungen, metrischen Purzelbäumen, Flageoletts, überraschenden Harmoniebrüchen und Glissandi aufgepeitscht auf die Schiene geht, setzt das Kopfkino ein. Der dramatische Fluss zwischen dichten, aufgewühlten szenischen Wechseln und schmeichelnd elegischen Lyrismen, spult Bilderfolgen ab. Und das „Mandelring Quartett“ und Paul Rivinius „erzählen“ die Story quasi in Superbreitwand, Dolby und 3D. Super! Noch eine Pause, und dann geht’s über zum gehaltvoll geselligen Teil in Form eines Überraschungskonzerts. Überraschung Nr. 1 ist, dass Peter Leiner nun unversehens flankiert ist von seinen Kollegen vom „Rennquintett“, das sich zunächst barock in Szene setzt mit einem prachtvoll höfischen Rondeau von Jean-Baptiste Moreau. Es folgt in fliegendem Wechsel zwischen Streichquartett und Bläsern, auch mal gemischt oder in Duo-Besetzung, ein schillerndes Pasticcio aus klassischen Schmankerln und Ausflügen in Jazz und Slapstick. Rachmaninov ist dabei – Sebastian Schmidt und Paul Rivinius makellos, gefühlvoll, einfach anbetungswürdig –, aber auch Stevie Wonder und Duke Ellington, teils in fantastischen Arrangements durch Schnyder, feierten grandios Auferstehung. Bei Schnyders Titel „Alpensax“, von ihm selbst auf köstlich unernst und urkomisch zelebrierte Weise im Duo mit Ralf Rudolph (Tuba) vorgetragen, feiert der Schweizer Ländler feinsinnig ironisierend fröhliche Urständ, ohne verhöhnt zu werden. Das hat Esprit. Und mit Duke Ellingtons Hit „In a sentimental Mood“ im Arrangement von Daniel Schnyder, der auch das grandiose Tenorsaxophon-Solo spielte, bebte das Podium nochmals mit Streichern, Bläsern und Klavier gefühlvoll, exaltiert. Grandioser Abschluss eines fantastischen Abends.

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