Neustadt „Ich steche zu, aber nichts bewegt sich“

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Spargel ist Genuss. Bei der Spargelernte kann davon allerdings keine Rede sein. In Feldern des Weinguts Nett in Geinsheim hat RHEINPFALZ-Mitarbeiterin Verena Teichmann einige Erntehelfer beim Spargelstechen begleitet. Herausgekommen ist eine Geschichte über Graben, Stechen und Schaufeln.

Die Sonne strahlt schon kräftig an diesem Morgen um 8 Uhr. Ich stehe mit Vasile und Michaela, den Erntehelfern aus Rumänien, vor den Spargelfeldern. Michaela erklärt mir in knappen Worten, wie ich mit zwei Fingern nach dem Gemüse grabe. Ich biege Zeige- und Mittelfinger ein wenig und bohre sie in die Erde. Eine Daumenlänge tiefer komme ich nicht mehr weiter. Der Boden ist dort feucht und schwer. Ich schaue noch mal zu den Erntehelfern. Sie tauchen die Hand bis fast zur Elle in einem Zug in die Erde und schaufeln sie weg. Und dann steht da ein Spargel. Gut, denke ich mir, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich bin mit einem Spargelstecher, einer Traufel, Handschuhen und einem Korb ausgerüstet. Der Spargelstecher ähnelt in seiner Form einer Spachtel, die an einem langen schmalen Griff angebracht ist. Mit der Traufel schließen die Erntehelfer die gegrabenen Löcher mit Erde und drücken diese anschließend fest. Gerhard Nett ist hinzugekommen. Ich habe inzwischen einen Spargel ausgegraben. Bevor ich steche, erklärt mir der Landwirt, worauf es ankommt. Es sei wichtig, den Spargel so tief wie möglich zu stechen. Der beste Stich sei knapp oberhalb der Wurzel. Kurz und kraftvoll soll ich stechen, denn nur so kann ich die Fasern des Spargels durchtrennen. Dabei halte ich den Spargel mit der anderen Hand zwischen Daumen und Zeigefinger fest. Ich steche zu, aber der Spargel bewegt sich nicht. Ich versuche es noch mal. An einer Stelle habe ich die Fasern wohl durchtrennt, denn der Spargel lässt sich ein wenig zur Seite kippen. Erst beim vierten Versuch, kann ich ihn ganz stechen. Natürlich haben Vasile und Michaela Routine beim Spargelstechen. Bis ich mühsam drei Spargel in meinem Korb habe, ernten sie schon das nächste Beet. Die Spargelernte sei sehr aufwendig, sagt Nett. Es gebe bisher keine Technik, die die Ernte unterstützt. Es koste viel Zeit und Kraft und rechtfertige so den höheren Preis als bei anderen Gemüsearten. Nett geht mit mir zum nächsten Spargelbeet. Es ist mit zwei Folien bedeckt. Auf der Erde liegt eine dicke schwarze Plane. Darüber ist ein sogenannter Tunnel aus transparenter Folie gespannt. Nett weist mich an, beide Abdeckungen aufzumachen. Als ich die Folien wegziehe, steigt ein Schwall warmer Luft auf. Ich sehe ein kurzzeitiges Flimmern wie über Asphalt in sengender Hitze. „Das ist die Thermik“, erklärt Nett. Vor ungefähr 20 Jahren wurde die Folientechnik im Spargelbau eingeführt. Die schwarze Plane schützt in erster Linie vor Sonnenstrahlen. Ist der Spargel zu lange der Sonne ausgesetzt, verfärbt er sich violett. Das Schwarz absorbiert zugleich Sonnenstrahlen. So erwärmt sich der Raum zwischen der schwarzen und der transparenten Folie. Ähnlich wie in einem Gewächshaus entsteht ein feucht warmes Klima. Das sorgt für eine lockere und feuchte Erde, die für den Spargelanbau Grundvoraussetzung ist. Diese Technik habe den Spargelmarkt komplett verändert, erläutert Nett. Mit der neuen Methode könne Spargel nun auch in Regionen angebaut werden, in denen es zuvor nicht möglich gewesen sei. „Früher lag die Nachfrage stets über dem Angebot, und es war ein lukratives Geschäft“, sagt der Fachmann. Heute gebe es mehr Ware als Kunden. Die neue Technik habe dazu geführt, dass Spargelbetriebe in vielen Regionen aus dem Boden gestampft würden. Nett erntet für seinen Hofladen und für Gastronomiebetriebe. Auf dem Großmarkt erziele er keinen Gewinn, da die großen Spargelbetriebe kostengünstiger anbieten könnten. Am 10. April hat der Nett’sche Betrieb mit der Spargelernte begonnen. „Wenn man ohne Bettdecke schlafen kann, ist der Spargel reif“, erzählt der Chef. Die Bauernregel habe er von seinem Vater, von dem er den Betrieb übernommen hat. Bis 20. Juni werden Vasile und Michaela täglich einmal Spargel stechen. In der Hochsaison, von Anfang bis Mitte Mai, erntet Nett selbst mit. „Dann wird jede Hand gebraucht“, weiß der Landwirt aus Erfahrung. Nach sieben bis acht Jahren ist das Spargelbeet abgeerntet. Die Wurzeln sind dann nicht mehr wuchsstark, Nett wird neu säen. Ich suche weiter nach Spargel. An einigen Stellen lugt schon mal ein Köpfchen aus der Erde. Aber auch an Stellen, an denen nichts zu sehen ist, kann etwas zu ernten sein. Feine Risse in der Erde deuten auf Spargel hin, erklärt mir Nett. Ich beginne ein paar Mal zu graben – allerdings ohne Erfolg. Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem Riss, der durch den Spargel erzeugt wird, oder einem, der nur durch trockene Erde entstanden ist. Bei mir scheint die Spargelernte eine reine Glückssache zu sein. Und ich scheine an diesem Tag reichlich Glück zu haben, denn nach zwei Stunden ist mein Korb zu zwei Drittel gefüllt.

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