Ludwigshafen „Verschenktes Potenzial“

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Der Ludwigshafener Stadtrat hat sich Ende September dagegen ausgesprochen, vorläufig mehr Daten als bisher öffentlich bereitzustellen. Oliver Rack, 45, Gründer der Initiative Open Data Rhein-Neckar, haben wir gefragt, was er davon hält und wem Open Data nützt.

Herr Rack, der Stadtrat schiebt das Thema auf die lange Bank. Ist das klug?

Lange Bank ist ein relativer Begriff. Open Data ist ein weitreichendes und amtsübergreifendes Thema und Teil eines weltweiten Kulturwandels in der Administration. Verwaltungen haben in der Regel einen hohen Sorgfaltsanspruch an ihr Handeln. Da hat Zeit manchmal eine andere Dimension, und in einem gewissen Rahmen ist das auch gut. Die Entwicklung des Themas Open Government Data ist durch EU-Richtlinien, eine G8-Charta und durch die Bundesregierung gesetzt und auf Bundesebene bereits kürzlich realisiert worden. Deutschland ist da im Vergleich mit den USA, Großbritannien und Skandinavien, aber auch zu einigen Schwellenländern, hinten dran. Mit dem im August ausgegebenen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Open-Data-Charta der G8 wirbt Berlin deswegen explizit für eine zügige Umsetzung auf kommunaler Ebene. Oberbürgermeisterin Eva Lohse will das Urteil der Enquete-Kommission des Landes abwarten. Klingt doch eigentlich vernünftig, oder? Wenn es dabei hilft, das Land für eventuelle Unterstützung zu gewinnen und sich in der Strategie abzustimmen, ist das sicherlich vernünftig – je nachdem, wie lange das dauert. Man muss aber auch nicht immer das große Ganze abwarten und kann schrittweise in Vorbereitung gehen. Wie zum Beispiel? Die kleine Stadt Moers in Nordrhein-Westfalen hat das gemacht – mittlerweile hat sie erfolgreich einen großen Teil ihrer Daten veröffentlicht: Bei der zunehmend netzpolitisch interessierten Bevölkerung hat Moers neben Hamburg bundesweit einen Namen als Pionier. Auch Mannheim scheint weniger Vorbehalte als Ludwigshafen zu haben, dort wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die Sie beraten. Ich habe das Thema als erstes bei der Stadt Mannheim angeregt und so lange gemeinsam mit dem Referat Strategische Steuerung in der Verwaltung erörtert, dass man diese Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat und ein Vorgehen zu Open Data entwickelt. Die Gruppe wird jetzt ihren Weg gehen und ist fachlich intern in guten Händen. Wenn sie Input braucht oder Output verbreiten will, stehe ich zur Verfügung. Mir geht es darum, Open Data zusammen mit Verwaltungen, Bevölkerung und Wirtschaft nicht nur lokal, sondern regional zu entwickeln und Synergien sowie Cluster-Effekte zu ermöglichen – von Bildungseinrichtungen bis Behörden. Deswegen nannte ich die Initiative von Anfang an „Open Data Rhein-Neckar“ – unsere Metropolregion als womöglich erste „Open Region“. Erklären Sie doch Laien mit einfachen Worten, was Open Data bedeutet? Open Data ist die Öffnung und proaktive Bereitstellung von datenschutzrechtlich unbedenklichen Daten zur möglichst uneingeschränkten und kostenfreien Nutzung aller – auch zur kommerziellen Verwendung. Im Wesentlichen geht es dabei um Daten aus öffentlicher Hand, die aus Steuern finanziert werden. Wie Daten aus Verwaltung, Hochschulen, Verkehrsbetrieben und viele mehr. Wer profitiert denn davon? Wirtschaft, Verwaltung und insbesondere die Bevölkerung. Das reicht von sehr ästhetischen und interaktiven Visualisierungen komplexer Sachverhalte, wie sie etwa daten-journalistisch die New York Times oder The Guardian anbieten, bis zu konkreten Lösungen für den Alltag. Zum Beispiel? Apps zu Nahverkehrsmobilität, Barrierefreiheit, Kita-Empfehlungen oder kleine Gadgets mit Augenzwinkern, die bei der außergewöhnlichen Namensfindung für Familienzuwachs auf Basis der lokalen offenen Standesamts-Daten helfen. In Wien wurden in drei Jahren mit Open Data über 150 Anwendungen entwickelt. Und das Mannheimer Stadtmarketing hat kürzlich bei einer Veranstaltung einen Gastvortrag eines Start-up-Unternehmers aus Berlin im Haus gehabt, der Mobilitäts-Apps großenteils mit offenen Daten entwickelt und mittlerweile 30 Mitarbeiter beschäftigt. In Deutschland wenden Statistikämter rund eine halbe Milliarde Euro jährlich auf. Das braucht die Administration, das gehört zum „Handwerk“. Und das sind nur die Statistik-Daten. Dazu kommen Geo-Daten, Studien und so weiter. Diese nicht der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, wäre verschenktes Potenzial. Jeder redet von Potenzialen der Share Economy. Warum nicht auch und gerade dort schauen, wo das in den Genen steckt? – bei der Gemeinwohlverantwortung der öffentlichen Hand. Für Verwaltungen bedeutet das Ganze erst mal Mehrkosten und einen personellen Aufwand. Was bringt ihnen denn Open Data? Die Möglichkeiten für die Bürger, die sich aus den Daten der Verwaltung ergeben können, sind so vielfältig, dass die öffentliche Hand diesen Service sehr wahrscheinlich gar nicht alleine leisten könnte. Da macht es Sinn, durch die Öffnung dieser Daten Bürger-Engagement und Drittanbieter an diesem Potenzial zu beteiligen. Dazu kommt die eigene Verwaltungsvereinfachung: Über die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH wurde beispielsweise eine Anwendung zu Durchfahrtshöhen im Straßennetz unserer Region entwickelt. Das entlastet das Antragsverfahren in den verschiedenen Verantwortungsbereichen der Verwaltungen. Das gäbe es nicht, wenn nicht die Daten zugänglich gemacht worden wären. Datenschützer üben Kritik an dem Herausgeben von Daten. Wer kontrolliert denn, was raus darf oder nicht? Na eben die Datenschützer. Das ist ihr Job. Und Leute, die sich für Open Data einsetzen, brauchen sie als Partner und schätzen ihre Kompetenz. Ich habe noch keine Vorbehalte des Datenschutzes wahrgenommen und setze mich immer dafür ein, den Datenschutz von Anfang an beim Thema Open Data einzubeziehen. Zunehmend bilden die Beauftragten für den Datenschutz sowie für Informationsfreiheit, wozu auch Open Data zählt, sogar eine Funktionseinheit – wie beim Land Rheinland-Pfalz. Das finde ich logisch, wobei ich da für ein paritätisches Prinzip plädiere. Mal ganz ehrlich: Werden wir nicht schon im Alltag mit Daten, Zahlen und Statistiken zugeschüttet? Ist weniger in diesem Fall nicht mehr? Wir werden auch mit Fernsehen, Katzenfotos, schlimmen Nachrichten und jetzt schon wieder mit Weihnachtsgebäck zugeschüttet. Da sind mir Evidenz und Wissen weitaus lieber. Zum Glück werden wir aber auch täglich von Innovation und erhellenden Dingen inspiriert. Offene Daten zähle ich zu letzteren. Der Überfluss ist nicht eine Sache des Angebots, sondern des eigenen Maßes und zudem relativ. Da ist schlicht eigene Informationshygiene gefragt. Angenommen der Ludwigshafener Stadtrat lädt Sie ein, um sich die Vorteile von Open Data in drei Sätzen erläutern zu lassen. Wie würden diese lauten? Open Data eint drei Dimensionen von Teilen und Teilhabe: Technologische Teilhabe im Sinne von allgemeiner Daten-Kompetenz innerhalb der Transformation zur „Digitalen Gesellschaft“, wirtschaftliche Teilhabe hinsichtlich einer Gemeinwohl-Share Eonomy und politische Teilhabe, also Basiswissen für eine wachsende Partizipation. Aus meiner Sicht ist das alles von Grund auf gutartig. Interview: Steffen Gierescher

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