Ludwigshafen Blick aus dem Taxi

Wir fahren mit ihr im Taxi durch Paris. „Tricolarum“ ist der erste Film der französischen Fotografin und New-Media-Künstlerin Elodie Lachaud. Er ist Spielfilm, Dokumentation und Experiment zugleich. Zu entdecken ist das ungewöhnliche Werk im Wettbewerb des Filmfestivals Mannheim-Heidelberg.

„Tricolarum“ sei vor allem eine Reise, meint Elodie Lachaud bei ihrem Besuch in Mannheim. „Eine Reise, auf der man Paris von einer anderen Seite erleben kann, aus dem Innern eines Taxis heraus.“ Manchmal wackelt das Bild, aber die meiste Zeit gleiten wir am Außen vorbei, an Fassaden und geparkten Autos, Fahrradfahrern und Passanten, Kaffeetrinkern und den Bouquinisten, den Bücherverkäufern am Seineufer. Wir sehen Ampelmännchen, Reklame, verschwommene Lichter, das nächtliche Moulin Rouge, den funkelnden Eiffelturm und immer wieder die Freiheitsstatue an der Bir-Hakeim-Brücke. Innen, ganz nah: das laufende Taxameter, das sprechende Navi und das Armaturenbrett, der Rückspiegel und natürlich der jeweilige Taxifahrer. Einmal steigt ein Gast zu, die französische Streetart-Künstlerin Miss.Tic, aber die eine Frau, an deren Seite wir 80 Minuten lang Paris durchqueren, bekommen wir nie zu Gesicht. Wir sehen nur ihre angewinkelten Knie und ihre Hände. Sie sitzt auf den Rückbänken der verschiedenen Autos und spricht mit den Chauffeuren über alle möglichen Themen: über den Beruf, über Musik, über die Verkehrssituation, Wegstrecken und am häufigsten über Beziehungen und die Liebe. Im Taxi, wo zumindest der Fahrer den Gesprächspartner in seinem Rücken nicht sieht und überhaupt die Begegnungen nur von begrenzter Dauer sind, kann man frei sprechen wie sonst nur auf der Couch eines Psychoanalytikers. „Auf eine Art ist ein Taxifahrer ein Therapeut“, sagt ein Chauffeur im Film. „Er ist ein Federbett.“ Unterhaltungen im Taxi sind persönlich und doch anonym, findet Elodie Lachaud. Sie bewegten sich irgendwo zwischen Intimität und Distanz, zwischen Wahrhaftigkeit und Behauptung. Lachaud fotografiert seit zehn Jahren in Taxis. Aufnahmen vom Innen, Blicke nach draußen, in New York City, Caracas und anderen Großstädten. Ihre Bilderserien „Chromobiles“ waren vielerorts ausgestellt. Als sie daranging, in Pariser Taxis zu fotografieren, wollte sie bald nicht mehr auf den Ton verzichten, und begann mit derselben Kamera, die sie zum Fotografieren benutzte, zu filmen. Die Kamera, sagt sie, ist die Verlängerung ihres Körpers. Sie wählte keine besonderen Routen, keine bestimmten Autos oder Fahrer, sondern fuhr von ihrer Wohnung im 13. Arrondissement, im Süden der Stadt, ins 17. im Norden, zu Scotto Productions in Batignolles-Monceaux, die den Film finanzierten. Die Gespräche, die sie in den Autos führte, seien zu Beginn völlig frei und improvisiert gewesen, berichtet Lachaud. „Ich hatte nur meine Fantasie, die Begegnungen mit den Fahrern und ihre Äußerungen.“ Später habe sie die Unterhaltungen bewusster gesteuert. In den Wortwechseln und in eingeblendeten SMS-Nachrichten entspinnt sich die Spielfilmebene von „Tricolarum“, eine mögliche Begegnung mit R. (im Französischen ausgesprochen wie „air“, Luft), ein Besuch in Rs Appartement, während der eigene Mann und die eigene Tochter auf Sizilien in Urlaub sind. „Es ist Sommer in Paris und es ist heiß“, beschreibt Elodie Lachaud die Szenerie, „die Frau ist allein und fühlt sich frei.“

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