Ludwigshafen Zweite Heimat am Rhein

„Deutsche sind kulturoffen“, sagt Xinqi Wang.
»Deutsche sind kulturoffen«, sagt Xinqi Wang.

Xinqi Wang erinnert sich. Kurz bevor sie Ludwigshafen nach vier Jahren wieder verlässt denkt sie an Jogging-Runden auf der Parkinsel, an die „wunderschöne Rheinpromenade“, an Badminton-Spielen im Verein. Sie denkt auch an den alten Herrn am Mannheimer Bahnhof, mit dem sie einmal so rege über Politik und Wirtschaft diskutiert hat, und daran, wie wenig sich die Klischees bestätigt haben, die in China über Deutsche kursieren: seriös, distanziert und nicht für tiefe Freundschaften zu haben. „Deutsche sind kulturoffen“, sagt die 25-jährige Chinesin. Und Freunde hat sie hier viele. Wir sitzen in einem Raum am OAI. Mit dabei sind auch Wangs Eltern, die extra 13 Stunden Flug auf sich genommen haben, um beim Studienabschluss ihrer Tochter dabei zu sein. Xinqi Wang ist eine von vier chinesischen Studenten, die ihren Bachelor am Ostasieninstitut der Hochschule absolviert haben. Gestern wurden sie offiziell verabschiedet. Die drei Frauen und der Mann waren alle über die Haniel-Stiftung nach Ludwigshafen gekommen und haben International Business Management mit Schwerpunkt Japan studiert. Eine Chinesin, die in Ludwigshafen etwas über Japan lernt? Die selbstbewusste junge Frau, die oft lächelt, berichtet, wie es dazu kam. Sie studierte in China Germanistik, als sie von der Haniel-Stiftung erfuhr. Diese fördert Menschen im Bereich Bildung – und das über Ländergrenzen hinweg. Mit einem Stipendium bekam Wang die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, ans OAI. Dank des Germanistikstudiums kannte sie schon die Sprache, wollte aber „Land und Leute, Sitten und Gebräuche“ kennenlernen. Als sie am 18. September 2013 erstmals Ludwigshafen erreichte – es regnete, wie auch heute wieder – hatte sie schon ein Auslandsjahr in Siegen absolviert. „Eine kleine Stadt im Sauerland“, sagt die Frau aus der Nähe von Guangzhou in Südchina und lacht gut gelaunt. Trotzdem und auch trotz ihres fertigen Germanistik-Studiums sei es anfangs schwer gewesen, den Seminaren am OAI zu folgen. Schließlich sind die fast alle in deutscher Sprache. „Aber unsere Mitstudenten haben mir geholfen, wir haben immer zusammen gelernt“, erzählt Wang – und zwar in bestem Deutsch. Da staunen ihre Eltern: Darüber, dass ihre Tochter heutzutage locker Interviews in der ihnen so fremden Sprache gibt. Dass sie so eigenständig ist. Das alles sagt Xinqi Wangs Vater. Die Tochter übersetzt. Dass sie sich am OAI für den Japan-Schwerpunkt entschieden hat, hatte zunächst einen pragmatischen Grund: China kannte sie schließlich schon. Hinzu kommt: Japan wird von vielen Chinesen negativ gesehen – weniger die japanische Bevölkerung, als deren Regierung. Das hat historische Gründe, wie Wang erklärt. „Die Chinesen haben das Gefühl, dass die Japaner sich nicht für das Massaker von Nanking entschuldigen wollen.“ Es gehört zu den Kriegsgräueln in Asien, noch bevor in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach. Mehrere Hunderttausend Chinesen starben im Dezember 1937. Zum Studium am OAI gehört immer auch ein Auslandsjahr. Sie habe in Japan viele gute Erfahrungen gemacht, berichtet Wang. „Und wir haben dort über Politik und Geschichte diskutiert.“ Deutschland wiederum sei „zu ihrer zweiten Heimat“ geworden. Das Interesse – schon für ihr Germanistik-Studium – sei durch die deutsche Wirtschaft geweckt worden. „Es gibt sehr viel Außenhandel mit China.“ „Wenn Deutsche arbeiten, konzentrieren sie sich zu 100 Prozent“, sagt Wang gefragt danach, wie sich Arbeiten hier und Arbeiten in China unterscheidet. In China würden die Menschen zwar viele Überstunden machen, aber dafür nicht so effektiv arbeiten. Wang überlegt, langfristig nach Deutschland zurückzukehren, auch wenn es jetzt für ein Jahr nach Hongkong geht – zum Masterstudium. Für sie ist das gleichzeitig eine Identitätssuche. „Ich möchte gucken, ob ich mich an die asiatische Arbeitskultur anpassen kann“, sagt sie und spricht von einem „reverse culture shock“, einem umgekehrten Kulturschock, sobald sie in ihre Heimat kommt. Sie schätzt die Arbeitskultur in Deutschland – „sehr sachorientiert“ – und ist sich unsicher, wo sie einen Job suchen möchte. Interessant wäre ein mittelständisches Unternehmen, das Interesse am chinesischen Markt hat. Für ein Jahr ist sie nun mindestens weg. Um den deutschen Winter, den sie verpasst, ist sie nicht traurig. „Der Tag ist dann so kurz und die Nacht so lang“, sagt Wang. Aber: „Ich muss mich von vielen Freunden verabschieden.“ Und das fällt ihr schwer.

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